12. Jan. 2013Die palliative Chemotherapie

Tumorkranke machen sich oft falsche Hoffnungen

Inkurabel krebskranke Menschen haben verständlicherweise mitunter unrealistische Hoffnungen. Doch das Ausmaß, das eine US-Studie aufdeckt, legt systematische Aufklärungsfehler nahe.

Falscher Optimismus bei multiplen Metastasen!

einem Kollektiv von 1193 Patienten, die wegen metastasierendem bronchialem oder kolorektalem Karzinom (Stadium IV) eine palliative Chemotherapie erhielten, hatte die Mehrzahl völlig falsche Vorstellungen von der Intention der Therapie. 81 % der Darmkrebskranken und 69 % der Lungenkrebspatienten waren sich nicht darüber im Klaren, dass es keine Heilungschance gab, berichtet das Team um Dr. Jane C. Weeks vom Dana-Farber Cancer Institute, Boston, im „New England Journal of Medicine“.

Um eine gut fundierte Therapieentscheidung treffen zu können, muss der Patient über Nutzen und Risiken genau aufgeklärt sein, mahnen die Kollegen. Die palliative Chemotherapie kann das Leben um Wochen oder sogar Monate verlängern sowie tumorassoziierte Symptome lindern, doch sie ruft bekanntlich toxische Effekte hervor. Die Entscheidung, ob ein Patient diese in Kauf nehmen will, kann er nur nach eingehender Aufklärung treffen.

Gemeinsame Therapie-Entscheidung Fehlanzeige?

Von „informed consent“ kann aber bei den meisten Studienteilnehmern offenbar keine Rede sein. Wie erklären sich die eklatanten Missverständnisse? Paradoxerweise berichteten gerade die Patienten mit unrealistischen Therapie-Erwartungen von einer besonders guten Arzt-Patient-Beziehung und Kommunikation mit ihrem Doktor.

Möglicherweise, so die Interpretation der Studienautoren, empfinden Betroffene ein Gespräch als angenehmer, wenn der Arzt eine optimis­tische Sichtweise vermittelt. Fatal, wenn dieser Optimismus jeder Grundlage entbehrt. Man weiß, dass viele Menschen mit fortgeschrittenen Tumorleiden die Unannehmlichkeiten einer toxischen Therapie auf sich nehmen würden, wenn auch nur eine 1%ige Heilungschance bestünde – nicht aber, wenn diese gleich null ist.

Unheilbarkeit und Lebenserwartung klar ansprechen!

Falsche Erwartungen zu schüren kann eine optimale Planung des Patienten am Ende seines Lebens stark behindern, kritisieren die Kollegen. Dabei unterstellen sie den aufklärenden Ärzten keine vorsätzlichen Lügen. Es genüge bereits, wenn der Doktor das Gespräch recht schnell vom unangenehmen Thema Lebenserwartung auf Details der Therapieplanung lenke. Die Botschaft der Unheilbarkeit kann dabei schnell untergehen bzw. überhört werden.

Ärzte müssen bei der Aufklärung vor einer palliativen Chemotherapie die Prognose unmissverständlich klarmachen und gewiss sein, dass der Patient alles verstanden hat. Dies gilt auch mit dem Risiko, vom Betroffenen schlechter beurteilt zu werden. Eine ehrliche und vertrauensvolle Kommunikation, so die Kollegen, sei das höhere Gut.

Zwei Monate vor dem eigenen Tod noch ahnungslos?

Andere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass viele Ärzte zwar über fehlende Heilungschancen informieren, aber nur jeder zweite über die voraussichtliche Lebenserwartung redet. Dies könnte der Grund sein, warum die Hälfte aller Lungenkrebspatienten noch zwei Monate vor dem Tod von ihrem Arzt das Wort Hospiz nicht einmal gehört hat, schreiben Dr. Thomas J. Smith und Dr. Dan L. Longo von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore in ihrem Kommentar zu der Studie. Tatsächlich aber wollen die meisten Krebskranken die Wahrheit wissen, auch über ihre Prognose.

Ehrlichkeit erzeugt keine Depression

Damit diese wichtigen Informationen im Arzt-Patienten-Gespräch nicht verloren gehen, empfehlen die Kollegen die Frage-Antwort-Frage-Methode: „Was wollen Sie über Ihre Prognose wissen?“ – erklären, was der Patient wissen will – und erneut fragen: „Was haben Sie nun genau über Ihre Situation verstanden?“

Ehrliche Gespräche erzeugen entgegen verbreiteter Meinung keine Verzweiflung oder Depression. Allerdings ist es nicht mit einem ausführlichen Gespräch getan, sondern es bedarf nach der ersten Mitteilung über die tödliche Krankheit einer ganzen Serie guter Gespräche, betonen die Kommentatoren. Sehr früh, so empfehlen sie, sollte zudem ein Termin für einen Informationsbesuch im Hospiz vereinbart werden.

Quelle:

  1. Jane C. Weeks et al., N Engl J Med 2012; online first, 2. Thomas J. Smith et al., a.a.O.