17. Dez. 2012Androgendeprivationstherapie

Prostatakarzinom – der intermittierende Hormonentzug bleibt eine Option

In Deutschland wird seit Jahren die intermittierende Androgendeprivationstherapie (ADT) als wichtige Option für Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom eingesetzt und von der deutlichen Mehrzahl der Patienten geschätzt.

Männliche hüfte und Penis
iStock/ericsphotography

Das Problem: Die auf dem diesjahrigen ASCO präsentierte Studie SWOG 9346, die die Nicht-Unterlegenheit der intermittierenden gegenüber der kontinuierlichen Androgendeprivation zeigen sollte, kam zu einem negativen Ergebnis. Welchen Einfluss diese Daten auf den klinischen Alltag in Deutschland haben, erläutern zwei Experten im Gespräch mit Medical Tribune Onkologie.

Geringer Unterschied beim Überleben

Es wird sicherlich Unterschiede bei der Interpretation der Studienergebnisse geben, räumt Professor Dr. Peter Albers, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, ein. Für Prof. Albers ist jedoch klar, dass die Ergebnisse nicht unreflektiert in den klinischen Alltag übernommen werden sollten. Dem schließt sich Professor Dr. Axel Heidenreich, Direktor der Klinik und Poliklinik fur Urologie am Universitätsklinikum Aachen, an und betont, dass die intermittierende Gabe für ihn nach wie vor einen wichtigen Stellenwert im klinischen Alltag hat.

Bessere Lebensqualität bei intermittierender Gabe?

Beide Experten sind sich einig: Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Lebensqualitätsanalyse der Studie klare Vorteile zugunsten der intermittierenden Gabe gezeigt hat. Der Überlebensunterschied war dagegen vergleichsweise gering. So wurde das obere Konfidenzintervall der Hazard Ratio, das mit 1,20 bewertet war, mit 1,24 denkbar knapp überschritten.

Letztlich müsse die Therapieentscheidung immer individuell unter Abwägung verschiedenster Faktoren erfolgen. Dies gilt insbesondere in der palliativen Situation des metastasierten Prostatakarzinoms. Können wir keine Heilung mehr erreichen, müssen wir neben der Wirksamkeit einer Behandlung die Lebensqualität der Patienten in den Vordergrund stellen und eine Abwägung vornehmen, sagt Prof. Heidenreich.  

SWOG-Studie: Re-Induktion viel zu spät

Unabhängig davon sehen beide Experten einen Schwachpunkt der Studie im Studiendesign, der das formal korrekte Ergebnis der statistischen Analyse angreifbar macht und möglicherweise ursächlich dafür ist, dass der primäre Endpunkt der Nicht-Unterlegenheit knapp verfehlt wurde. So verweist Prof. Heidenreich darauf, dass das negative Studienergebnis darauf basiert, dass von insgesamt 1600 Studienpatienten im intermittierenden Arm nur etwa 30 Patienten mehr gestorben sind. Das, so Prof. Heidenreich, könnte allein daran gelegen haben, dass die Re-Induktion der Androgendeprivation erst erfolgte als der PSA-Wert bereits wieder auf 20 ng/ml gestiegen war.

Laut Prof. Heidenreich ist dieses Vorgehen für Europa und Deutschland nicht tolerabel. Die Re-Induktion erfolgte definitiv zu spät und entspricht nicht der heutigen Praxis, betont auch Prof. Albers. Prof. Heidenreich kritisiert darüber hinaus, dass alle Studienpatienten über einen Kamm geschert wurden. Das Patientenkollektiv setzte sich jedoch in Abhängigkeit vom erreichten PSA-Nadir nach der Induktionsphase aus unterschiedlichen Risikogruppen mit unterschiedlicher Prognose zusammen. Patienten mit einem PSA-Nadir < 0,2 ng/ml überleben jedoch deutlich länger als jene mit einem PSA-Nadir von 2 bis 4 ng/ml oder gar > 4 ng/ml, weshalb die Autoren ihre Schlussfolgerung nicht auf jene Patienten beziehen können, deren PSA-Nadir nach sechs Monaten im Nullbereich (< 0,2 ng/ml) liegt.

SWOG: Studienlaufzeit zu lang, Methoden überholt?

Kritisch ist laut Prof. Albers auch die lange Laufzeit der Studie, die bereits 1995 startete. Zwischenzeitlich haben sich viele Dinge verändert. Prof. Albers: Wir diagnostizieren heute anders als vor 17 Jahren und wir intervenieren viel früher, weil wir zum Beispiel viel besser sehen, wann und wo welche Knochenmetastasen progredient sind. Keine klinische Relevanz hat nach Aussagen beider Experten die Subgruppenanalyse, die sehr subjektiv (Prof. Heidenreich) und völlig willkürlich (Prof. Albers) nach Patienten mit minimaler bzw. extensiver Erkrankung unterschieden hat.

Mehr therapiefreie Zeit für den Patienten

Ausserdem, so Prof. Heidenreich, hat die Krankheitsausdehnung in der Regel nichts mit dem Therapieansprechen an sich zu tun. Hinter der intermittierenden Gabe steht die Uberlegung, den Patienten Nebenwirkungen der Therapie zu ersparen, ihnen mehr therapiefreie Zeit zu geben und so ihre Lebensqualitat zu verbessern. Genau das zeigt die Lebensqualitatsanalyse der SWOG-Studie und auch das müsse berücksichtigt werden, betont Prof. Albers. Er empfiehlt daher, die Patienten darüber aufzuklären, dass die kontinuierliche Gabe einen Überlebensvorteil von wenigen Monaten bringt und dass dem ein deutlicher Gewinn an Lebensqualitat unter der intermittierenden Androgendeprivation gegenübersteht.

Wann intermittierende ADT anbieten?

Prof. Albers: Nach 17 Jahren waren im intermittierenden Arm 42 % und unter kontinuierlicher Androgendeprivation 38 % der Patienten gestorben. Es ist zweifelhaft, ob sich ein Unterschied bei der Überlebensrate von 4 % nach 17 Jahren tatsächlich relevant im klinischen Alltag niederschlägt. Für beide Experten bleibt die intermittierende Androgendeprivation für Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom eine Option im klinischen Alltag, wenn diese auf die Androgendeprivation mit einem deutlichen PSA-Abfall ansprechen. Laut Prof. Heidenreich sind dies Patienten, deren PSA-Nadir < 1 ng/ ml abfällt.

Desweiteren sieht er eine Indikation fur die intermittierende Gabe bei hormonsensiblen Patienten mit sehr ausgeprägter kardiovaskulärer Morbidität sowie bei jungen, noch voll im Leben stehenden Patienten, die erfahrungsgemäß durch die typischen Nebenwirkungen der Androgendeprivation stärker belastet sind. Grundsatzlich, sagt Prof. Heidenreich, reicht es ihm für die Indikation einer intermittierenden Androgendeprivation in der metastasierten Situation nicht aus, wenn der PSA-Nadir lediglich < 4 ng/ml liegt. Bei diesen Patienten empfiehlt er, weitere Faktoren zu berücksichtigen, wie z.B. den PSA-Ausgangswert, das Metastasierungsmuster oder das Alter des Patienten.

Kein standardisiertes Rezept für Re-Induktion

Wird der PSA-Wert in den ersten sechs Monaten der Androgendeprivation nicht mindestens halbiert, sieht Prof. Heidenreich keine Indikation für eine intermittierende Gabe. Für die Re-Induktion der Androgendeprivation gibt es laut Prof. Albers kein standardisiertes Rezept. Auf jeden Fall ist es zu lang, einen PSA-Anstieg auf > 20 ng/ml abzuwarten, wie dies in der SWOG-Studie der Fall war.

Ist der PSA-Wert bei metastasierten Patienten unter der Androgendeprivation < 4 ng/ml gefallen, startet Prof. Albers die Re-Induktion in der metastasierten Situation in der Regel, sobald der PSA-Wert wieder bei 4 ng/ml liegt. Prof. Albers: Das ist den Patienten auch gut vermittelbar. In Aachen, berichtet Prof. Heidenreich, wird bei metastasierten Patienten der zweite Therapiezyklus meist bei PSA-Werten zwischen 5 bis 10 ng/ml gestartet. Letztlich hängt der Wiedereinstieg aber auch von der Psyche des Patienten ab. Manche Patienten mochten sehr schnell wieder behandelt werden, sobald der PSA-Wert wieder anfängt zu steigen, sagt Prof. Heidenreich.

Grundsätzlich, so beide Experten, ist die Akzeptanz der Patienten für die intermittierende Gabe groß. Prof. Heidenreich: Von den infrage kommenden Patienten lehnen nach unseren Erfahrungen nur 10 bis 15 Prozent eine intermittierende Therapie ab.