8. Nov. 2012Migränepatienten

Migränetrigger: Mythos oder Wahrheit?

Attacken unter Stress oder nach stressigen Phasen – das beschreiben viele Migränepatienten. Über zuverlässige Daten dazu verfügt man aber nicht, berichtete Privatdozentin Dr. Sigrid Schuh-Hofer vom Zentrum für Biomedizin und Medizintechnik in Mannheim auf dem Deutschen Schmerzkongress. Zudem basieren die Erhebungen in der Regel auf „Fragebögenaktionen“.

Ein weiteres Problem liegt in der mangelhaften Definition von Stress. Nur eine Studie hat sich überhaupt die Mühe gemacht, Stress zu differenzieren. Am häufigsten gaben die Betroffenen „zu hohe Arbeitsbelastung“ als Auslöser an.

Eine der wenigen Arbeiten, die physiologische Parameter erfasste (Herzfrequenz, Cortisolkonzentration), ergab keine Korrelation zwischen entsprechend veränderten Werten und Kopfschmerzattacken. Allerdings war die Studie nach Aussage von Dr. Schuh-Hofer methodisch „unsauber“.

Eine aktuelle Untersuchung deutet darauf hin, dass möglicherweise der Cortisolabfall bei abflauendem Stress für Anfälle in der Entspannungsphase verantwortlich sein könnte. Vielleicht hat das Hormon eine protektive Wirkung. „Insgesamt bleiben alle Aussagen über Stress und Migräne derzeit aber reine Spekulation“, so das Fazit der Kollegin.

Schokolade und Käse zu Unrecht in Verruf als Migräneauslöser

Eine Reihe von Studien zeigt eine Assoziation mit Schlafstörungen: Zum einen treten bei vielen Betroffenen Migräneattacken aus dem Schlaf heraus auf, umgekehrt leiden nicht wenige unter gestörter Nachtruhe. In polysomnografischen Untersuchungen – allerdings mit geringer Probandenzahl – fanden sich signifikante Hinweise auf eine Beeinträchtigung des „Arousal-Systems“ – dessen charakteristische Merkmale sind z.B. Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft. Was kurzfristige Änderungen des Schlafverhaltens (zu kurz, zu lang) betrifft, fehlen aber Daten.

Lebensmittel und Gerüche sind ebenfalls oft angeschuldigte Migräneauslöser. Wein kann tatsächlich Attacken begünstigen, erklärte Dr. Lars Neeb von der Klinik für Neurologie der Charité Universitätsmedizin Berlin. Allerdings gilt das für Weißwein nicht weniger als für roten. Und die Konzentration des  häufig angeklagten Tyramin liegt sogar in weißem sehr viel höher.

Bier dagegen scheint das Attackenrisiko zu senken. Für Schokolade, Käse oder glutamathaltige Speisen gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang. „So viel Glutamat, wie man zum Auslösen einer Attacke bräuchte, ist definitiv in keinem chinesischen Gericht enthalten“, betonte der Experte.

Auch für nitrit- oder histaminhaltige Lebensmittel als Trigger konnten keine wissenschaftlichen Belege gefunden werden. Eine spezielle Migränediät ist daher nach Aussage von Dr. Neeb überflüssig.

Warum der Ramadan Migräne begünstigt ...

Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug dagegen sind mögliche Risikofaktoren. Das zeigte auch eine Studie, an der Moslems teilnahmen. Im Ramadan stieg die Anzahl der Migränetage pro Monat im Vergleich zu anderen Monaten von 3,7 auf 9,4.

Eine Geruchsüberempfindlichkeit (Parfum etc.) findet sich bei 38,5 bis 48 % der Patienten. PET-Aufnahmen deuten auf eine möglicherweise veränderte zerebrovaskuläre Antwort hin. Unklar bleibt aber, ob die Osmophobie wirklich ein Trigger ist oder nicht vielmehr als Prodrom angesehen werden muss, so Dr. Neeb.

Luftdrucksensor sitzt  in den Nebenhöhlen

Temperatur, Feuchte, Luftdruck, Sonnenschein – was den Einfluss des Wetters angeht, gibt es eine Fülle von Studien. Leider sind die Ergebnisse z.T. widersprüchlich, sagte Professor Dr. Karl Meßlinger vom Institut für Pathophysiologie und Physiologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Aktuelle experimentelle Daten haben tatsächlich Änderungen der neuronalen Aktivität bei raschem Absinken des atmosphärischen Drucks gezeigt, was einen Einfluss auf die Migräne wahrscheinlich macht. Der „Luftdrucksensor“ sitzt laut Prof. Meßlinger vermutlich in den Nasennebenhöhlen.

Kein Mythos ist auch die Induktion von Attacken durch helles Licht in manchen Fällen. Bei den Betroffenen steigert das Licht die neuronale Aktivität trigeminaler Neuronen und kann so zentrale Schmerzen induzieren.