16. Aug. 2012

„Keine Reanimation“ auf die Brust gestempelt?

Eine Schweizer Initiative propagiert einen Stempel mit der Aufschrift „No CPR“ (No Cor-Puls-Reanimation). Mit ihm können Menschen ihren Willen bekunden. Dürfen oder müssen Ärzte, wenn sie vor solch einem Patienten stehen, untätig bleiben?

Oft hört man Ärzte auf juristischen Veranstaltungen: Am besten sollten Patienten es für den Notfall auf die Brust tätowiert haben, wenn sie keine Reanimation wünschen. Der Stempel der im Schweizer Güttingen ansässigen No CPR GmbH entspricht diesem Gedanken.

Das Unternehmen wurde von fünf Menschen gegründet, die Erfahrung in der Pflege von reanimierten Patienten gesammelt haben. Diese Menschen müssten nach der Wiederbelebung oft mit massiven Behinderungen leben, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Sofern Patienten noch dazu in der Lage seien, sei oft die Aussage zu hören: „Hätten sie mich doch gehen lassen. So will ich nicht leben.“

Mit dem Stempel, der für 141 Schweizer Franken plus Versandkos­ten bestellt werden kann, möchte die Initiative auch eine gesellschaftliche Diskussion anfachen, um das Thema Sterben zu enttabuisieren.

No CPR: Stempelfarbe hält nur wenige Tage

Der Stempel mit der Aufschrift „No CPR“ soll gut sichtbar im Bereich des Brustbeins oder dem unteren Rippenbogen aufgebracht werden. Die Stempelfarbe hält zwei bis drei Tage bzw. lässt sich auch leicht mit Seife oder Babyöl entfernen. Der Stempel muss also alle paar Tage „aktualisiert“ werden.

Neben dem Stempel, so die Schweizer Firma, soll unbedingt auch eine Patientenverfügung, z. B. beim Hausarzt, hinterlegt werden. Den Vorteil des Stempelns sieht das No-CPR-Team vor allen Dingen darin, dass der Wille des Menschen von ihm immer wieder aktuell bekundet wird.

Reanimiert ein Arzt bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand einen Menschen mit dem „No CPR“-Zeichen auf der Brust trotzdem, würde er (zumindest in der Schweiz) eine Klage wegen Körperverletzung riskieren, so der Stempelhersteller. Aber stimmt das wirklich? Muss ein Arzt sogar untätig bleiben, um juristisch auf der sicheren Seite zu stehen?

Bei einem bleibenden Tattoo auf der Brust, meint Rechtsanwalt Wolfgang Putz aus München, könnte man noch sagen: „So etwas lässt sich niemand aus Jux und Tollerei auf die Brust stechen.“ Trotzdem ist auch diese Willensbekundung für Ärzte mit Vorsicht zu genießen, sagt Jurist Putz. Denn immer muss der Arzt im Notfall entscheiden: Ist diese Willensbekundung tatsächlich aktuell?

Bei einem Stempel dürfte die Frage nach der Willensbekundung beantwortet sein, dann aber sind andere Zweifel angesagt: War es der Mensch selbst, der sich gestempelt hat? Oder war es vielleicht der Ehepartner, der noch ganz schnell aktiv wurde, bevor der Notarzt eintraf? Zudem muss der Arzt auch entscheiden, ob der Notfallpatient durch Wiederbelebungsmaßnahmen aller Voraussicht nach noch ein normales Leben führen kann bzw. wie hoch die Chancen dafür stehen.

Im Zweifel für die Wiederbelebung

Aus juristischer Sicht rät Anwalt Putz Ärzten eher zur Wiederbelebung als zur Untätigkeit. Auch findet der Jurist die Idee mit dem Stempel etwas merkwürdig. Schließlich impliziert dies, dass ein Notfallpatient nach einer Reanimation automatisch ein Pflegefall wird, der in Zukunft willenlos an Schläuchen dahinvegetieren muss. Aber das ist nicht die Regel.

Bei älteren Menschen, die z.B. mit 80 Jahren sagen: „Ich habe ein erfülltes Leben gehabt und ich will keine Reanimation mehr“, stellt sich die Lage etwas anders dar. Auch ein Herzkranker, der schon diverse Wiederbelebungen und eine nachfolgende Hölle hinter sich hat, kann die Folgen einer Reanimation durchaus abschätzen und diese verneinen. Juristisch haltbar wären auch religiöse Gründe, weshalb eine Reanimation abgelehnt wird.

Hausärzte kennen den Willen ihrer Patienten am besten

Die Patientenverfügung, die das Schweizer Unternehmen anbietet, stellt für Putz rechtlich ebenfalls keine runde Sache dar. „Wenn ein Mensch auf dem Marktplatz plötzlich zusammenbricht und der Arzt sieht das „No CPR“-Zeichen auf der Brust, wird er sich sicher nicht auf die Suche nach der Patientenverfügung begeben können.“

Juristisch korrekt und nachvollziehbar ist es für Putz, wenn z.B. ein Hausarzt zu einem seiner älteren Patienten gerufen wird und der Mediziner aus der langen Arzt-Patient-Beziehung weiß: Mein Patient hat ausdrücklich die Reanimation abgelehnt. Nur dann ist ein Nicht-Handeln in Ordnung. Im Zweifel rät Putz jedoch, sollte der Arzt versuchen, den Patienten zu retten. Denn ein möglicherweise verblassender Stempel wird von Angehörigen bzw. deren Juristen im Zweifelsfall sicher zerpflückt à la: „Wie konnten Sie nur? Der Patient hätte noch lange gut leben können!“ Anke Thomas