Online-Marketing ist Chefsache

BEWERTUNGSPORTALE – „Nie wieder – ignorante und unfähige Ärztin“ oder „Kompetent, freundlich, besser geht nicht“. Im Internet können Stars gemacht, aber auch Karrieren zerstört werden. MT zeigt, wie schlaue Ärzte online agieren. (Medical Tribune 28/2017)

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„Etwas komisch – Hatte einfach nicht das Gefühl, dass sich der Arzt wirklich für mich intersiert.“ So beurteilt ein Benutzer des Ärztesuchportals docfinder einen gewissen Dr. Johannes Steinhart, niedergelassener Urologe in Wien Simmering. Und nebenbei auch noch der soeben in seiner Funktion als Bundesobmann der niedergelassenen Ärzte bestätigte Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Insgesamt kommt Steinhart bei docfinder auf gerade einmal zwei von fünf „Sternen“, in dem Fall eigentlich Arztkoffer – wobei allerdings nur drei Bewertungen abgegeben wurden. Der Ex-Präsident der ÖÄK, der in Tirol praktizierende Allgemeinmediziner Dr. Artur Wechselberger, kommt auf auch nicht gerade berauschende drei Koffer.

Das zeigt, dass selbst Präsidenten und prominente Ärzte nicht vor Tadel oder gar Frustattacken im Internet gefeit sind. Im Gegenteil! Davon kann ein weiterer prominenter Vertreter der Zunft ein Lied singen: Dr. Dietmar Bayer, seines Zeichens Vizepräsident der steirischen Ärztekamnmer und in der ÖÄK ausgerechnet als Referent für Telemedizin und medizinische Informatik tätig. „Ich war selbst ein Opfer“, berichtet der Facharzt für Psychiatrie im Gespräch mit der Medical Tribune. Bayer erstellte Gutachten für die Pensionsversicherungsanstalt. Wenn ein Gutachten negativ ausgefallen war, kam offensichtlich des Öfteren die Revanche übers Netz: „Unter anderem hieß es, meine Sprechstundenhilfe wäre extrem unfreundlich. Dabei hatte ich damals gar keine“, erinnert sich Bayer.

Nachsatz: „Man kann dagegen de facto nichts machen. Ich habe mich damals furchtbar geärgert und fühlte mich ohnmächtig – dem bösen Internet ausgeliefert.“ Viele Kollegen würden das heute noch so sehen. Nicht so Dietmar Bayer. Er machte gewissermaßen aus der Not eine Tugend und rührte aktiv die Werbetrommel, indem er Patienten ersuchte, sie mögen ihn doch online benoten. Die Logik dahinter: Bei vielen positiven Bewertungen fallen einzelne negative nicht ins Gewicht und man baut sich eine gute Reputation auf. Ergebnis: 2014 war Bayer einer der am besten bewerteten Psychiater in der gesamten Steiermark. Damit ist der Ärztekammer- Funktionär ein Role Model für seine Zunft.

Reputationsmanagement

„Durch aktives Reputationsmanagement im Netz erfassen sie kontinuierlich den Tenor der Erwähnungen und Meinungen über sich selbst,“ sagt Markus Reif, Geschäftsführer der deutschen Praxismarketing- Agentur Reif & Kollegen, die sich unter anderem darauf spezialisiert hat, Arzt-Webseiten bei Google nach vorne zu bringen. Bayer pflichtet dem bei: „Man kann das Internet auch positiv sehen. Ich rate jedem Arzt, sich regelmäßig selbst zu googeln, am besten Google Alerts zu nützen.“ So bekomme man auch wertvolles Feedback, für das andere Mystery Shopper oder Meinungsforscher engagieren müssen. Der Arzt kommt im digitalen Zeitalter ohnehin nicht drum herum, Online-Marketing zu betreiben. Das geht anderen Branchen genauso, auch Gastronomen oder Hoteliers müssen sich dem Online-Voting stellen. Das zu managen kostet Zeit, lohnt sich aber. Schließlich nützen immer mehr potenzielle Kunden – in diesem Fall Patienten – das Internet als Entscheidungshilfe bei der Arztwahl.

Die Zeit für Online-Marketing, da sind sich Experten einig, ist also gut investiert. Der Vertreter der niedergelassenen Ärzte, der eingangs erwähnte Dr. Steinhart, meint indes, man müsse differenzieren. „Meine Patienten sind meist über 70 – da gibt es keine Internet- Affinität.“ Er überlegt stattdessen, Umfragebögen auszuteilen, um Feedback zu bekommen. Das Reputationsmanagement ist jedenfalls Chefsache, sollte auch nicht an Agenturen ausgelagert werden, wie selbst Agenturchef Reif betont. Schließlich müsse man authentische Inhalte liefern und in einen Dialog mit den Patienten treten. Außerdem gibt der Experte zu bedenken: „Gute Online-Reputation beginnt bereits in der Sprechstunde.“ Doch wie sollte man mit Kritik umgehen? „Jeder hat das Recht, Meldungen über sich im Intrernet zu löschen“, erklärte Isabell Feil, Rechtsexpertin der Ärztekammer Salzburg, in einer bereits 2013 erschienenen Publikation. Allein, es ist nicht ratsam: „Eine Löschung schädlicher Beiträge kommt nur in Ausnahmefällen infrage“, erklärt Marketing- Experte Reif. Zensur könne nämlich unerwünschte Nebenwirkungen nach sich ziehen: den sogenannten Streisand-Effekt. Hierbei passiert Folgendes: Der empörte Patient tut in sozialen Netzwerken seinen Unmut über die Zensur kund, wodurch die Angelegenheit erst recht Aufmerksamkeit nach sich zieht und einem noch größeren Personenkreis bekannt wird. Die Löschung bewirkt dann also das Gegenteil dessen, was man damit erreichen wollte.

Fünf goldene Regeln

Stattdessen sollte man, so raten die Experten, mit Kritik offen umgehen und gegebenenfalls Kommentarfunktionen nutzen. „Bewertungsplattformen können auch ein hervorragendes Tool für das Qualitätsmanagement sein“, gibt Markus Leiter, der Inhaber und Geschäftsführer von medienleiter, einer Wiener Spezialagentur für Branding- und Kommunikationslösungen, zu bedenken. Die Schattenseite des Internets sei nicht zu leugnen, aber es böten sich auch reichlich Chancen. Vorausgesetzt, man beachtet fünf „goldene Regeln“ im Umgang mit Bewertungsplattformen: „1. Nutzen Sie diese als Präsentationsplattform; 2. Animieren Sie Patienten dazu, Ihre Praxis zu bewerten; 3. Bleiben Sie auf dem Laufenden; 4. Reagieren Sie professionell auf Kritik und 5. Nehmen Sie die Rückmeldungen ernst.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune