18. Okt. 2019

Harnanalyse um 1817

Ami Boué hat den Arztberuf nie ausgeübt.

Die „Dissertation über den Harn bei Erkrankungen“ von Ami Boué, einem aus Hamburg stammenden und später zum Österreicher gewordenen Hugenotten, ist von großem medizinhistorischen Interesse. (Medical Tribune 42/19)

Erst 2012 wurde die „Dissertatio inauguralis de urina in morbis auctore Amico Boué Reipublicae Hamburgenis civis 1817“ von Univ.-Doz. Mag. Dr. Johannes Seidl in der Bibliothek der geologisch-paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien wiederentdeckt. Dies überrascht nicht gänzlich, da Ami Boué als Pionier der geologischen Forschung gilt. Er war 1830 Mitbegründer (und bis 1835 Präsident) der Geologischen Gesellschaft Frankreichs sowie Mitglied der Geographischen Gesellschaften in London und Wien, wo er sich 1835 niederließ und 1841 die österreichische Staatsbürgerschaft annahm.

Die Geschichte der medizinischen Dissertation skizziert Prim. Univ.-Prof. DDr. Bruno Schneeweiß, der für die Edition des lateinischen Originaltextes samt deutscher Übersetzung verantwortlich zeichnet: Die „Dissertation über den Harn bei Erkrankungen von Ami Boué, Bürger von Hamburg“ wurde 1817 verfasst und in Edinburgh eingereicht. Boué hatte in den Jahren 1814 bis 1817 in Edinburgh das Medizinstudium absolviert und mit zwei Dissertationen abgeschlossen. In seiner zweiten Arbeit beschreibt Boué die geologischen Bedingungen des Pflanzenwuchses. „De Methodo Floram regionis cujusdam conducendi exemplis e Flora Scotica ductis“ (Über die Methode der Sammlung von Pflanzen einer Region am Beispiel der Flora Schottlands) wurde 1817 gedruckt und in Edinburgh veröffentlicht. Die Promotion zum Doktor der Medizin erfolgte am 15. August 1817 – den Beruf eines Mediziners hat Boué jedoch nie ausgeübt.

Medizin und Chemie an der Universität Edinburgh

Viele bedeutende Wissenschafter prägten Boué, wie Schneeweiß ausführt: Während seines Studiums hatte Boué Gelegenheit, an einer der damals bedeutendsten medizinischen Fakultäten mit seinen berühmten Lehrern in Kontakt zu treten: Andrew Duncan sen. (1744– 1828), John Gordon (1786–1818), Sir Everard Home (1756–1832). Die Universität Edinburgh zeichnete sich durch eine enge Verbindung zwischen chemischem und medizinischem Studium aus. Vor Boués Studien in Edinburgh hatte William Cullen (1710–1790) bereits eine neue Systematik der Erkrankungen – die nosologische Einteilung der Krankheiten in vier große Gruppen – entwickelt, die Boué in seinem Werk über den Harn verwendet.

1 Link, H.F., Commentatio de Analysi Urinae et Origine calculi, Göttingen 1788
2 Gaertner, K.F. von, Observata quaedam circa Urinae Naturam, Tübingen 1796
3 Loew, J., Über den Urin als diagnostisches und prognostisches Zeichen in physiologischer und pathologischer Hinsicht, Landshut 1808

Drei Fragen an Prim. Univ.- Prof. DDr. Schneeweiß

Wie ist die Dissertation Boués aufgebaut?
Schneeweiß: Die Dissertation ist als Handschrift überliefert. Es handelt sich um eine sogenannte Konzeptschrift mit multiplen schwer lesbaren, zum Teil auch fehlerhaften, Korrekturen, welche die Entzifferung und auch die Übersetzung schwierig gestalteten. Das Werk ist in zwei Abschnitte gegliedert: 1. Teil – Der Harn beim Gesunden; 2. Teil – Der Harn bei verschiedenen Erkrankungen – wobei das System von Cullen angewandt wurde. Dem ersten Abschnitt ist ein „Exordium“ vorangestellt, welches auch auf die Bedeutung der Uroskopie hinweist.

Wie aktuell war damals die Beschäftigung mit dem Harn?
Schneeweiß: Der Harn war eine leicht zugängliche Flüssigkeit und deshalb bestens geeignet, um analytische Untersuchungen durchzuführen, welche zur Diagnostik verwendet werden konnten. Untersuchungen zum Harn gibt es seit der Antike, genannt seien Hippokrates und besonders Galen. In der Neuzeit sind drei Werke zu nennen, die Boué ausführlich in seiner Schrift zitiert.1, 2, 3

Wie beurteilen Sie den Stellenwert Boués als Mediziner?
Schneeweiß: Die Bedeutung liegt darin, dass er systematisch chemische Untersuchungen an Harnen verschiedenster Erkrankungen durchgeführt und beschrieben hat. Wesentliche Vorarbeiten und Kenntnisse lagen allerdings bereits vor, welche Boué zitiert. Es handelt sich somit um eine umfassende Schrift zur Uroskopie, welche die modernen Methoden der damals aufstrebenden chemischen Wissenschaften anwendet. Als Neuerung hat Boué differenzialdiagnostische Überlegungen aufgrund von Harnbefunden angestellt. Auch hat er den Einfluss verschiedener medikamentöser und diätetischer Interventionen auf die Harnmengen analysiert.

Untersuchung des Harns um 1817

  • Verdampfung, Destillation, Erwärmung
  • Wirkung von: Wasserstoff/Stickstoff/Sauerstoff/Kohlensäure/destilliertem Wasser/Rotkohlsaft (!) bzw. Lackmuslösung/Galläpfeltinktur/Ammoniakwasser/Pottasche und Soda/Kaliumcarbonat/Kalkwasser/Essig/Oxalsäure/Schwefeliger Säure/Schwefelsäure/Salpetersäure/Quecksilberchlorid/Bariumchlorid/Hydrogensulfat/Silbernitrat/Quecksilbernitrat/Bleiacetat
  • Beschreibung von Geschmack und Geruch des Harnes

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune