Palliativmedizin – Alltag und Zuversicht

Da gibt es den Ehemann, der entscheiden möchte, dass eine Tumordiagnose seiner Ehefrau nicht gesagt wird. Da gibt es die mutmaßliche Vorsorgebevollmächtigte, die auf keinen Fall wissen will, ob der „Auftraggeber“ der Vorsorgevollmacht sich nicht vielleicht doch noch selbst äußern kann. Da gibt es die Tochter, die die beginnend demenzkranke Mutter lieber nicht dabeihaben möchte bei einem Vorsorgegespräch.

Alltag? Vielleicht.

Und da gibt es den Internisten, der seiner Patientin lieber eine „leere“ Infusion mit physiologischer Kochsalzlösung – verpackt in Alufolie! – gibt, anstatt ihr zu sagen, dass eine weitere Chemotherapie bei ihr keinen Nutzen mehr bringen würde. Und es gibt den Onkologen, der der Meinung ist, dass Onkologen die Spezialisierung in Palliativmedizin „automatisch“ bekommen sollten, weil sie das „eh alles können“. Und ein Kollege berichtet, dass er vom Abteilungsleiter keinen Fortbildungsurlaub für das Absolvieren des Palliativlehrganges bekommen hat, weil „das nicht wichtig sei“.

Alltag? Vielleicht.

Die älteste Palliativstation Österreichs ist mittlerweile über 25 Jahre alt. In Pflegeheimen entwickelt sich zunehmend eine Kultur der Palliativen Geriatrie, welche den Bedürfnissen hochbetagter multimorbider Menschen entspricht. Medizinstudierende werden wie selbstverständlich in Kleingruppen in ärztlicher Gesprächsführung unterrichtet und tun dies praktisch angewandt mit SchauspielpatientInnen – wie dies zeitgemäßen Ausbildungserkenntnissen entspricht.

Auch das ist Alltag geworden

Und es gibt interprofessionelle Teambesprechungen, in denen alle zu Wort kommen, sich jede Berufsgruppe äußert und gehört wird. Validation wird vielerorts als notwendige Kompetenz in der Kommunikation mit demenzkranken Menschen erkannt, gelehrt und angewendet. Die ersten Dekrete für die ärztliche Spezialisierung in Palliativmedizin sollen nun endlich bald ausgestellt werden. Das Österreichische Hospiz- und Palliativforum arbeitet konsequent an einer österreichweiten Regelfinanzierung der flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung. Gute Entwicklungen brauchen oft Zeit. Viel Zeit. Zu viel Zeit. Aber gute Entwicklungen setzen sich durch.

Kommentar: Dr. Harald Retschitzegger, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG)

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune