1. Juli 201850 Jahre Medical Tribune

Eine ganz persönliche Zeitreise

Fünf Jahrzehnte Medical Tribune Österreich und seit immerhin 22 Jahren bin auch ich ein kleines Rädchen im Redaktionsgetriebe. Erstaunlich, wie sich meine Arbeit und unsere Welt in diesem Zeitraum verändert haben. (Medical Tribune 26/18)

Begonnen hat es mit einer Annonce im Standard: In der Rubrik Stellenangebote wurde ein Medizinjournalist gesucht. Als Mediziner, der immer schon gerne geschrieben hatte, schien mir das ein netter Nebenjob zu sein. Und so reiste ich am 25. Juli 1996 von Graz nach Wien zum Vorstellungsgespräch. Die Zugfahrt Graz – Wien und retour kostete übrigens 592 Schilling (das gibt’s heute bei rechtzeitiger Buchung mit der Sparschiene billiger). Um das Ganze zeitlich richtig einzuordnen: In den Austria Top 40 standen die Fugees mit „Killing me softly“ auf Platz eins, ein Jahr zuvor war ein neues Service namens SMS eingeführt worden und Österreich der Europäischen Union beigetreten und bezahlt wurde noch in Schilling (die Währungsumstellung auf den Euro erfolgte erst am 1. Jänner 2002).

Dr. Rüdiger Höflechner
Medizinjournalist

Wissen Sie vielleicht auch noch, wer damals die Regierungschefs in Österreich, Deutschland und den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates waren? Die Antwort gibt’s am Schluss dieses kleinen Rückblicks. Das Vorstellungsgespräch fand im Foyer des Hotels Hilton statt. Die Medical Tribune hatte damals ein Korrespondenzbüro in der Praterstraße. Wesentliche Entscheidungen fielen aber noch in Deutschland: Der Chefredakteur, der mich einstellte, war aus Wiesbaden angereist und auch die Buchhaltung lief in den ersten Jahren noch über die deutsche Zentrale. Ob ich einen Internetanschluss habe, war eine der ersten Fragen. Vor 22 Jahren war das noch alles andere als selbstverständlich. Also musste erst einmal ein Internet her. Und dann natürlich ein Faxgerät, um Dokumente an die Redaktion schicken zu können.

Auf meinem PC lief damals das brandaktuelle Windows 95, das erste Betriebssystem für PCs mit einer grafischen Oberfläche, so wie wir sie heute kennen. Es gab zu dieser Zeit übrigens noch eine andere Computerfirma namens Apple. Die hatte aber ziemlich abgewirtschaftet und stand 1996 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Natürlich guckte man noch in die Röhre (Flachbildschirme kamen erst um die Jahrtausendwende auf). Und heute kaum mehr vorstellbar: Man konnte damals noch nicht googeln! Das Unternehmen Google wurde nämlich erst 1998 gegründet. Es gab zwar seit 1995 die Suchmaschine AltaVista, deren Suchergebnisse waren aber noch recht bescheiden.

Das erste Arbeitsgerät

Mein erstes Arbeitsgerät bestand aus einem älteren Radio-Kassettenrecorder und einem überdimensionalen Mikrofon. Bei Vorträgen musste ständig auf die Uhr geschaut werden, um die Kassetten, die eine Spieldauer von 60 oder 90 Minuten hatten, rechtzeitig zu wenden oder zu wechseln. Das Abhören der Bänder war ziemlich mühselig und die Vor- und Rücklauftaste wurden ziemlich malträtiert. Nach Fertigstellung der Texte musste ich die Kassetten an die Redaktion schicken, damit die redigierenden Kollegen im Zweifelsfall reinhören konnten. Ich glaube aber nicht, dass das jemals geschehen ist. Alle paar Monate kam dann ein Paket mit den gesammelten Kassetten retour, um sie erneut bespielen zu können.

Dias und Projektoren

1996 hatte es noch eine Berechtigung, bei Vorträgen von Slides oder Dias zu sprechen, und in vielen Seminarräumen standen noch Overheadprojektoren. Was es bei Kongressen noch nicht gab, waren Handys, deren Läuten die Präsentationen störte. Die Mobiltelefonie steckte noch in den Kinderschuhen und der einzige Telefonanbieter war damals die österreichische Post (der erste private Anbieter ging Ende 1996 in Betrieb). Beim Festnetz gab es sogar noch Gemeinschaftsanschlüsse (die Ära der Vierteltelefone ging erst am Weihnachtstag 1999 mit der Umstellung auf das neue, digitale Telefonsystem zu Ende). Dass Handys noch nicht sehr verbreitet waren, heißt aber nicht, dass es nicht doch bei Vorträgen gelegentlich lästige Störgeräusche gab. Ich erinnere mich an eine Fortbildungsveranstaltung in Bad Aussee, bei der auf einmal relativ laute Musik erklang.

Es dauerte ein paar Momente, bis ich realisierte, dass ich selbst der Urheber dieses kleinen Fauxpas war: Ich war mit dem Fuß an meine Tasche gestoßen, in der sich mein Radiorecorder befand und hatte dabei den Umschaltknopf aufs Radio erwischt. Etwas anders als heute gestaltete sich in den Anfangsjahren meiner journalistischen Tätigkeit auch die Anreise zu Kongressen. Heute ist es dank Navi in der Regel kein Problem, den Tagungsort oder das Hotel zu finden. Vor zwanzig Jahren gab es diese Möglichkeit noch nicht: GPS wurde erst im Jahr 2000 für die zivile Nutzung freigegeben. Mit Straßenkarten (und später einem im Internet gesuchten und ausgedruckten Routenplan auf dem Beifahrersitz) kommt man zwar auch irgendwie ans Ziel, lieber ist mir mittlerweile aber doch die Stimme aus dem Bordcomputer. Übrigens (falls das die Geschäftsführung interessiert): Bei Kongressbesuchen wurden damals nicht nur Reise- und Hotelkosten übernommen, sondern es gab auch eine Verpflegungspauschale von 44 D-Mark pro Tag.

Neue Technologien

Es muss so um die Jahrtausendwende gewesen sein. Ein Kongress in Prag, der mir vor allem aus zwei Gründen in Erinnerung geblieben ist: Ich hatte in den Tagen zuvor eine akute Lumbago und schaffte es nur mithilfe der Spritzen meiner Hausärztin, mich zum Bahnhof zu schleppen. Im Zug und beim Kongress wusste ich nicht mehr, wie ich sitzen sollte. Dass mir die Veranstaltung dennoch in positiver Erinnerung geblieben ist, verdanke ich einer deutschen Kollegin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer versucht, die wichtigsten Botschaften der Dias mitzuschreiben. Nicht nur das möglichst rasche Mitschreiben, sondern auch die spätere Entzifferung waren mitunter ganz schöne Herausforderungen. Nun sah ich zum ersten Mal jemanden, der einfach jedes Slide abfotografierte. Mit analogem Filmmaterial wäre das nicht möglich gewesen. Leistbare digitale Fotoapparate mit immer besserer Auslösung waren sicher ein Meilenstein in meiner beruflichen Karriere. Digital und winzig sind natürlich auch längst die Aufnahmegeräte geworden. Sogar das Tippen kann man sich heute großteils ersparen: Mit meinem Spracherkennungsprogramm bin ich heute um einiges flotter unterwegs als mit meinem früheren Adler-Such-System.

Schulterpolster ade

Noch einmal zurück zum Jahr 1996: Regierungschefs waren damals Franz Vranitzky, Helmut Kohl, Jacques Chirac, John Major, Bill Clinton, Boris Jelzin und Jiang Zemin. Am Beispiel der Politik kann man übrigens auch gut erkennen, was sich in den letzten 22 Jahren modisch geändert hat. Meine Sakkos mit den Schulterpolstern habe ich längst bei der Caritas entsorgt – heute ist Slim Fit angesagt (zumindest für die, die es tragen können). Und für die, denen heute alles zu schnell geht, ein kleiner Trost zuletzt: Nicht in allen Bereichen der Medizin haben sich die Erkenntnisse und Behandlungsmethoden in den letzten zwei Jahrzehnten so rasch gewandelt wie in der Diabetologie oder bei Autoimmunerkrankungen. „Durchfall: Cola und Soletti out!“ lautete der Titel meines ersten Artikels für die Medical Tribune. Inhaltlich könnte man ihn noch 1:1 ins Jahr 2018 übernehmen.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune