29. März 2017

Vom Schneckenschleim zum Gewebekleber

Schon vor Jahrzehnten haben Forscher nach dem Vorbild der Blutgerinnung den Fibrinkleber entwickelt und damit einen Erfolg gelandet. Für zukünftige Gewebekleber orientieren sich Wissenschaftler an Schneckenschleim, Muscheln und dem Abwehrsekret eines Salamanders. (Medical Tribune 12/2017)

a): Der Marmor-Querzahnmolch sondert klebrigen Schleim ab. b): Salamander-Klebstoff könnte sich als Wundkleber eignen. c): Bojenbildende Entenmuschel mit zementartigem Schaumfloß. d): Die Klebefäden der Miesmuschel haften sogar auf Teflon.
a): Der Marmor-Querzahnmolch sondert klebrigen Schleim ab. b): Salamander-Klebstoff könnte sich als Wundkleber eignen. c): Bojenbildende Entenmuschel mit zementartigem Schaumfloß. d): Die Klebefäden der Miesmuschel haften sogar auf Teflon.

Die großen Blätter der Lotusblume treiben an der Oberfläche von Teichen, werden dabei allerdings niemals wirklich nass. Wasser perlt einfach von ihrer Oberfläche ab. Der Lotus-Effekt ist eines der prominentesten Anwendungsbeispiele der Bionik. Nicht ganz so elegant wie die unbenetzbaren indischen Wasserpflanzen, dafür aber wesentlich schleimiger, sind die Tiere, bei denen Forscher des Wiener Ludwig-Boltzmann-Instituts für Experimentelle und Klinische Traumatologie Anleihen für neue Entwicklungen nehmen: Molche aus amerikanischen Sümpfen, Weinbergschnecken und Muscheln. Gemeinsam ist diesen Tieren, dass sie klebrige Sekrete absondern. Und auf Basis derer wollen die Wissenschaftler neue Gewebekleber entwickeln. Zum internationalen Austausch wurde kürzlich das „Europäische Netzwerk für Bioadhäsion“ ins Leben gerufen, das Anfang März unter österreichischer Federführung seinen ersten Kongress in Wien ausrichtete.

Tierische Abwehrstoffe als Wundkleber

Die Ziele sind hoch gesteckt, denn immerhin möchte die Arbeitsgruppe an den Erfolg des Fibrinklebers anschließen. „Fibrinkleber hat im Vergleich zu einer Vielzahl anderer medizinischer Produkte auf chemischer Basis keine Nebenwirkungen und wird zu 100 Prozent biologisch abgebaut“, betont Institutsleiter Univ.-Prof. Dr. Heinz Redl. Seit der Einführung des Fibrinklebers vor rund 40 Jahren sind allerdings keine weiteren vergleichbaren Produkte auf den Markt gekommen. „Bis heute ist Fibrin der einzige medizinische Klebstoff, der wirklich biologisch ist“, so Redl. Grund genug für die Arbeitsgruppe, sich im Tierreich nach vielversprechenden Kandidaten für die Klebstoffentwicklung umzusehen.

Einer davon ist der Marmor-Querzahnmolch (Ambystoma opacum). Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich ein lackschwarz glänzender Salamander mit silbrig schimmernden Flecken. Das nachtaktive Tier lebt in amerikanischen Sumpfgebieten. Gegen Schlangen setzt es sich auf klebrige Art zur Wehr – mit seinem Sekret verklebt es das Maul des Angreifers und kann entkommen. Das Salamandersekret klebt allerdings nicht nur im Maul von Schlangen, sondern auch ausgezeichnet auf menschlicher Haut. „Es klebt wie Sekundenkleber auf der Haut, wird allerdings nicht so hart und könnte sich sich für den Bereich Wundhealing eignen“, ist Dr. Janek von Byern, Ludwig-Boltzmann-Instituts für Experimentelle und Klinische Traumatologie, überzeugt. Zur Gewinnung eines Klebstoffes für den Hautbereich untersuchen die Forscher auch den Schleim von Weinbergschnecken.

Fibroblasten mögen keine Nacktschnecken

Die Verträglichkeit wurde bereits in der Zellkultur erprobt, wie von Byern gegenüber MT berichtete: „Wir haben Fibroblasten, Endothelzellen, und Muskelzellen ausprobiert, sowohl primäre als auch permanente Zelllinien.“ Sowohl das Salamandersekret als auch der Schleim der Weinbergschnecke haben sich – zumindest in vitro – als sehr verträglich erwiesen. „Die Zellen mögen den Klebstoff und wachsen wie verrückt“, freut sich von Byern. Die noch klebrigere Nacktschnecke ist dagegen offenbar nicht nur bei Gärtnern unbeliebt, sondern auch bei Zellen, wie von Byern schildert: „Nacktschneckenschleim mögen die Zellen gar nicht, da sterben sie ab.“

Während die Sekrete von Lurch und Schnecken sich vor allem für die Anwendung auf trockenen Oberflächen wie der Haut eignen, finden sich im Meer Substanzen, die auch unter nassen Bedingungen gut kleben. Solche herrschen beispielsweise in der Fruchtblase. „Amerikanische Kollegen probieren gerade aus, mit Muschelklebstoff die Fruchtblase nach der Amniozenthese wieder zu verschließen“, berichtet von Byern.

Muschelzement für die Zahnmedizin

Für die Anwendung im Dentalbereich dürfte die Bojenbildende Entenmuschel ein interessanter Kandidat sein. Die Tiere produzieren einen porösen, zementartig harten Schaum, mit dessen Hilfe sie an der Wasseroberfläche im Meer treiben. „Das Material ist extrem hart, hält ziemlich stark und funktioniert im wässrigen Bereich. Da würde der Klebstoff aus dem Salamandersekret nie halten“, so von Byern. Bis sich Schneckenschleim, Salamandersekret und Muschelzement in ersten klinischen Studien beweisen dürfen, wird allerdings noch einige Zeit vergehen.

Weiter fortgeschritten ist dagegen die Anwendung von Alginat zum Verkleben und leichteren Entfernen von Nierensteinfragmenten – das hat bereits eine Phase-I-Studie am Klinikum Freiburg durchlaufen, wie von Byern erzählt. Die Suche nach neuen klebrigen Tieren ist währenddessen noch nicht abgeschlossen. Zu groß scheint die Verlockung, noch bessere Klebstoffe zu entdecken, wie Norbert Cyran vom Department für Ultrastrukturforschung an der Uni Wien erklärt: „Trotz der Vielzahl der Tiere und ihrer Klebstoffe, die wir in den letzten Jahren gesammelt und untersucht haben, haben wir nie zwei ähnliche Systeme gefunden. Jeder Klebstoff ist in seiner Zusammensetzung einzigartig.“

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune