18. Dez. 2018EU-Richtlinie zu Arzneimittelfälschungen

Der Scanner im Dauereinsatz

Foto: Andrey Bukreev/GettyImages

Österreichs Krankenhausapotheken sind unterschiedlich gut auf die Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie der EU vorbereitet, die ab 9. Februar 2019 umgesetzt werden muss. Ein Problem ist der personelle Mehraufwand. (CliniCum 12/18) 

Mit Bangen blicken Österreichs Krankenhausapotheker dem 9. Februar 2019 entgegen. Dann nämlich tritt eine EU-Verordnung in Kraft, wonach alle verschreibungspflichtigen Medikamente vor der Abgabe an die Patienten verifiziert und auf ihre Echtheit überprüft werden müssen. Grundlage für die Verordnung ist die Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie der EU (2011/62/EU), die Sicherheitsmerkmale zur Überprüfung der Echtheit, zur Identifizierung der einzelnen Verpackungen sowie zum Schutz vor Manipulation der Außenverpackung vorsieht.

Für Medikamente, die bis dahin für den Markt freigegeben wurde, gilt eine Übergangsfrist von bis zu fünf Jahren. Ziel ist es, gefälschte und gestohlene Arzneimittel vom europäischen Markt zu verbannen. Für Apotheken – öffentliche wie Krankenhausapotheken – bedeutet das: Die individuellen Seriennummern der einzelnen Arzneimittelverpackungen müssen vor der Abgabe per Scan verifiziert, dokumentiert und aus dem europaweiten Kontrollsystem ausgebucht werden. Verwaltet werden diese Daten in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, in Österreich von der eigens gegründeten Austrian Medicines Verification Organisation (AMVO). Mit der konkreten Umsetzung ist eine Tochterfirma, die Austrian Medicines Verification System GmbH (AMVS), beauftragt.

Spätes Erwachen

„Die Spitäler sind erst sehr spät in diesen Prozess eingestiegen“, erzählt Dr. Heinz Kobelt, Generalsekretär der European Association of Euro-Pharmaceutical Companies (EAEPC). Dies habe an der „bockigen Haltung“ der offiziellen Vertreter des Spitalssektors in Brüssel gelegen: Als sich deren Wunsch nach akkreditierten Codes als nicht durchsetzbar erwies, hätten sie sich aus dem Prozess der Richtlinienumsetzung ausgeklinkt, so Kobelt: „Erst vor eineinhalb Jahren sind die Spitalsbetreiber und die Krankenhausapotheker erwacht.“ Aus der Perspektive des auf europäischer Ebene tätigen Interessenvertreters ist Österreich im EU-weiten Vergleich jedoch noch immer gut aufgestellt: „Ich glaube, Österreich ist sehr gut auf das Inkrafttreten der EU-Verordnung vorbereitet“, meint Kobelt.

Höherer Personalaufwand

Fragt man österreichische Krankenhausapotheker, mit welchen Gefühlen sie dem 9. Februar 2019 entgegenblicken, fallen zunächst Begriffe wie „schwach optimistisch“ oder „halboptimistisch“. Auf der pharmaKON, einer Tagung, die sich Ende November dem aktuellen Stand in der Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinie widmete, waren jedoch auch andere Töne zu hören. „Wir werden die Forderungen nicht zu 100 Prozent umsetzen können“, bekennt Mag. Günther Graninger, Leiter der Krankenhausapotheke im LKH Feldkirch. Das liegt vor allem am zusätzlichen Aufwand, der beim Ausbuchen der einzelnen Medikamentenpackungen aus dem System entsteht.

„Ich habe dafür keinen neuen Dienstposten bekommen“, klagt der Vorarlberger Krankenhausapotheker. Er sieht sich daher außerstande, jede einzelne Medikamentenpackung einzuscannen. Der Aufwand, der durch die EU-Fälschungsrichtlinie entsteht, macht auch der Krankenhausapotheke im Landeskrankenhaus bzw. Universitätskliniken Innsbruck zu schaffen: „Wir kämpfen mit unseren Personalressourcen. Es gibt nun einmal keine Mitarbeiter, die bis jetzt herumgestanden sind und nur darauf gewartet haben, endlich scannen zu dürfen“, sagt Apothekenleiterin Mag. Martina Jeske. Immerhin wurden ihr zusätzliche Dienstposten gewährt: 3,5 Vollzeitäquivalente beim Wareneingang. Die beim Warenausgang zusätzlich benötigten Posten sind beantragt.

„Wir haben den Prozess simuliert, die benötigte Zeit gestoppt und so den zeitlichen Mehraufwand festgestellt“, berichtet Mag. Gernot Idinger, Leiter der Anstaltsapotheke im Landeskrankenhaus Steyr: „Daraus hat sich ein Personalmehraufwand ergeben.“ Diese Berechnung wurde auf die gesamte Oberösterreichische Gesundheitsholding GmbH umgelegt, so dass die Anstaltsapotheken der gespag nun 0,75 zusätzliche Dienstposten an pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten bekommen. Idinger, Lead Buyer der gespag für pharmazeutische Produkte, sprach gegenüber seinem Träger Klartext: „Entweder wir bekommen diese zusätzlichen Mitarbeiter, oder wir haben bald keine Ware mehr im Haus.“

Probleme mit der IT

Probleme gibt es auch in Wien: „Im Moment habe ich Zweifel, ob bei uns das System am 9. Februar tatsächlich laufen wird“, räumt Mag. Martina Anditsch, aHPh, Leiterin der Krankenhausapotheke des Allgemeinen Krankenhauses Wien, ein. Bei ihr liegt es aber nicht an Personalmangel: „Von der Apothekenseite haben wir rechtzeitig mit den Vorbereitungen begonnen. Es liegt an der IT, die ihre Aufgabe nicht erfüllt hat.“ Am AKH ist das neu eingeführte Arzneimittel-Fälschungsvermeidungssystem mit dem Verwaltungssystem verbunden. Anditsch graut vor dem Gedanken, dass am Stichtag plötzlich der gesamte Logistikbereich blockiert sein und sie nicht auf das Lager zugreifen könnte.

„Ich lasse das auf mich zukommen. Es wird schon irgendwie gehen“, ist die Krankenhausapothekerin überzeugt. Verstöße würden wohl nicht vom ersten Tag an geahndet, hofft sie. Anditsch hält es für ein schweres Versäumnis, dass die Krankenhausapotheker im Vorfeld nicht mit einer gemeinsamen Stimme gesprochen haben: „Jeder wurstelt für sich allein herum und muss bei seinem Träger betteln gehen.“ Stattdessen hätte sie erwartet, dass etwa die Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Krankenhausapotheker den Krankenhausträgern klipp und klar kommuniziert: Es gibt eine gesetzliche Vorgabe, und zur Umsetzung braucht es entsprechende Ressourcen. „Da hätte ich mir mehr Unterstützung erwartet“, kritisiert Anditsch.

„Unsinnige Richtlinie“

Harsche Kritik an der EU-Fälschungsrichtlinie übt SenR Dr. Wolfgang Gerold, pensionierter Leiter der Stabsstelle Medizinökonomie und Pharmazie der Generaldirektion des Wiener KAV und ehemaliges Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer: „Für Krankenhausapotheken in Österreich ist die EU-Verordnung unsinnig“, bekräftigt er. „98 Prozent der Waren stammen von den Originalherstellern. Die Annahme, dass der Originalhersteller gefälschte oder gestohlene Ware liefern könnte, ist absurd.“ Das Problem liege vielmehr an anderen möglichen Vertriebswegen: „Je mehr Akteure ein Arzneimittel auf dem Weg vom Hersteller zum Patienten in der Hand haben, desto riskanter ist es.“ Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm der sogenannte Parallelhandel: Parallelhändler machen sich das unterschiedliche Preisniveau von Arzneimitteln innerhalb der EU zunutze, indem sie Originalarzneimittel in einem Mitgliedstaat mit niedrigem Preisniveau kaufen und in einem anderen Mitgliedstaat mit höherem Preisniveau verkaufen. „Der direkte Weg vom Hersteller in die Krankenhausapotheke ist der beste“, ist Gerold überzeugt und fordert: „Parallelhandel sollte verboten werden.“ Aber die EU halte leider eisern an der Heiligen Kuh „Freier Warenverkehr“ fest.

Kleine Hersteller säumig

Eher schlecht mit der Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinie sieht es in Österreich bei den Arzneimittelherstellern aus. „Die großen und international tätigen Firmen sind bereit“, weiß Dr. Erich Travniczek, stellvertretender Produktionsleiter, QP, ABF Pharmaceutical Services GmbH: „Das Problem sind die vielen kleinen Firmen, die sich die Umstellung nicht leisten können oder nicht leisten wollen.“ Demnach haben bis zum jetzigen Zeitpunkt 62 Prozent der Hersteller – vor allem von Produkten im unteren Preissegment – noch nicht einmal mit der Umsetzung begonnen. „Das ist unvorstellbar“, schüttelt Travniczek den Kopf. DI Dr. Daniel Dangl, Leiter Kundenmanagement der AMVS, betätigt diesen Befund: „Wir haben alle in Österreich ansässigen Zulassungsinhaber, die nicht zu einem Konzern gehören, antelefoniert und versucht, ihnen die Konsequenzen der Fälschungsrichtlinie zu erklären. Zum Teil haben sie mitten im Gespräch aufgelegt.“ Tatsächlich dürfte die EU-Fälschungsrichtlinie zu einer Marktbereinigung unter den kleinen Herstellern führen. „In den letzten drei Jahren hat es in Österreich immer mehr Zulassungen als Zurücklegungen gegeben. Seit etwa sechs bis sieben Monaten hat sich der Trend umgekehrt“, vermutet Univ.-Lekt. Dr. Christoph Baumgärtel, MSc, in der Geschäftsfeldleitung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) für öffentliche Kommunikation und Risikokoordinierung zuständig, einen möglichen Zusammenhang.

pharmaKON. Die EU-Fälschungsrichtlinie – Das finale Update für die Umsetzung, Wien, 28.–29.10.18

Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

… zum Beispiel in der Spitalsapotheke des Landeskrankenhauses Innsbruck/ Universitätskliniken

„Wir sind genauso wie die öffentlichen Apotheken dazu verpflichtet, die Arzneimittel bei der Abgabe an die Patienten zu verifizieren, inklusive der Unversehrtheit der Verpackung“, berichtete Mag. Martina Jeske MSc, aHPh, Leiterin der Spitalsapotheke des Landeskrankenhaus Innsbruck/Universitätskliniken, aus der Praxis. Daher laufen derzeit am LKH Innsbruck die Vorbereitungen für den 9. Februar auf Hochtouren. Ein Hauptproblem sind die räumlichen Gegebenheiten. Denn die Warenübernahme und das Infusionslager befinden sich im Untergeschoß des LKHs, die Apotheke mit dem Hauptlager ist im zweiten Stock angesiedelt. Angeliefert wird die Ware über eine Rampe ins Untergeschoß. Jeske: „Im Moment haben wir die Trennung von Warenübernahme und Warenausgabe so, dass wir auf einem Wagen kommissionieren und der Fußboden ist die Warenübernahme.“ Da es so nicht möglich ist, bei der Kommissionierung bzw. der Warenübernahme jede Packung einzeln zu scannen, entschied man sich dazu, das Scannen beim Warenausgang zu erledigen. Um den logistischen Aufwand zu bewältigen, wurden bereits im Vorfeld 20 SAP-fähige Scanner angeschafft.

Jeske: „Das war ein Kostenpunkt von 30.000 Euro.“ Konkret liefert die Spitalsapotheke 2,25 Millionen Arzneimittelpackungen pro Jahr aus. Um den logistischen Zusatzaufwand zu bewältigen, werden 3,5 Vollzeitäquivalente benötigt. Einige Punkte sind offen. So muss noch ein Lösungsansatz für das Scannen der Arzneimittel in der aseptischen Produktion gefunden werden, da die Packungen dort ohne Überkarton in den Reinraum eingebracht werden. Auch das Handling von Retouren wird in Zukunft anders gehandhabt werden müssen als bisher. Wird die Retourware derzeit, sofern sie ein Ablaufdatum von über drei Monaten hat, von der Apotheke wieder umverteilt, darf sie nach der neuen Regelung nur innerhalb einer Zehn-Tages-Frist wieder „eingecheckt“ werden. (Tanja Beck)