Tonsillektomie in den wenigsten Fällen evidenzbasiert

Eine britische Studie an über 1,6 Millionen Kindern zeigt, dass die wenigsten Operationen evidenzbasierten Leitlinien folgen. Schätzungen zufolge profitiert nur eines von acht Kindern.

Die Notwendigkeit und der Nutzen der Tonsillektomie bei Kindern und Jugendlichen werden seit jeher kontroversiell diskutiert. Eine britische Studie mit über 1,6 Millionen Kindern sorgt nun für weiteren Zündstoff: Die wenigsten Operationen folgen in Großbritannien evidenzbasierten Leitlinien und nur eines von acht Kindern profitiere vermutlich tatsächlich von dem Eingriff. Zu diesem Ergebnis kommt das Team um Dr. Dana Sumilo vom Institute of Applied Health Research der University of Birmingham im Fachblatt British Journal of General Practice.

Analyse von sieben Millionen Patientenjahren

Die Studie verglich die Häufigkeit von Indikationen für die Tonsillektomie bei Kindern in Großbritannien und den Anteil der Tonsillektomien, der die evidenzbasierten Kriterien erfüllte. Die retrospektive Kohortenstudie erfasste elektronische Krankenakten von Kindern im Alter zwischen Null und 15 Jahren, die bei 739 britischen Allgemeinmedizinern registriert waren. Evidenzbasierte Indikationen beinhalteten dabei:

  • dokumentierte Halsschmerzen ausreichender Häufigkeit und Schweregrad (Paradise-Kriterien)
  • periodisches Fieber
  • aphthöse Stomatitis
  • Pharyngitis
  • zervikales Adenitis-Syndrom (PFAPA)
  • Tonsillentumore

Andere Indikationen wurden als nicht evidenzbasiert betrachtet. Das Follow-up (2005–2016) analysierte 7.200.159 Personenjahre.

Die Häufigkeit evidenzbasierter Indikationen für eine Tonsillektomie betrug 4,2 pro 1.000 Personenjahre; 13,6 Prozent der untersuchten Kinder (2.144/15.760) wurden einer Tonsillektomie unterzogen. Die Inzidenz einer Tonsillektomie im Kindesalter betrug damit 2,5 pro 1.000 Personenjahre; 11,7 Prozent (2.144/18.281) hatten evidenzbasierte Indikationen, fast alle mit Paradise-Kriterien. Der Anteil evidenzbasierter Tonsillektomien blieb über zwölf Jahre fast unverändert. Die meisten Tonsillektomien im Kindesalter folgten nicht-evidenzbasierten Indikationen: fünf bis sechs Halsschmerzen (12,4%) in einem Jahr, zwei bis vier Halsschmerzen (44,6%) in einem Jahr, schlafgestörte Atmung (12,3%) oder obstruktive Schlafapnoe (3,9%).

Sieben von acht Kindern profitieren nicht

In Großbritannien unterziehen sich nur wenige Kinder mit evidenzbasierten Indikationen einer Tonsillektomie; sieben von acht derjenigen (32.500 von 37.000 jährlich) profitieren davon vermutlich nicht, so das Fazit der Autoren.

Quelle

1 Sumilo D et al.: Incidence of indications for tonsillectomy and frequency of evidence-based surgery: a 12-year retrospective cohort study of primary care electronic records. Br J Gen Pract (online) 6. November 2018

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma