23. März 2018

Der Druck wird immer größer

Für Wettbewerbsfähigkeit und technologischen Fortschritt braucht es vor allem Mut zu Grenzen überschreitenden Interaktionen. Diesbezüglich drängt die EU jetzt zu handeln. (Medical Tribune 12/18)

Credit: Tom Wagner für das BMBWF
Credit: Tom Wagner für das BMBWF

Die Situation ist dramatisch: Immer mehr Forscher wandern aufgrund hinderlicher Kettenvertragsregelung und schwindender Fördermöglichkeiten aus. Mittlerweile warnt die EU vor einem Verlust von hunderttausenden Forschern in Europa in den kommenden Jahren. Während der Schritt ins Ausland verhältnismäßig rasch umgesetzt ist, braucht es für eine Rückkehr eine gute Planung und ausreichend Nerven. Über die Erfahrungen, zukünftigen Perspektiven und Erwartungen an Europa wurde in der Aula der Wissenschaften diskutiert.

Finanzfesseln sitzen straff

Die Wissenschaft in Österreich befindet sich in einem gewaltigen internationalen Wettbewerb. Damit sich das Land in Zukunft gegen die starke Konkurrenz behaupten kann, gilt es die Zügel straffer zu ziehen. Aufgrund demografischer Entwicklungen und wirtschaftlicher Einflüsse ist es besonders wichtig, eine attraktive Wirkstätte für junge Köpfe zu bieten. Sie nicht mehr halten zu können, würde auf lange Sicht bedeuten, dass Europa nicht zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum werden kann. Das ist eines der Hauptziele der EU. Laut einer Umfrage sehen aber nur rund 40 Prozent sämtlich befragter Universitätsprofessoren gute Chancen für den Nachwuchs, eine Laufbahn als Hochschullehrer antreten zu können. Das führe dazu, dass der wissenschaftliche Nachwuchs in Österreich in die Wirtschaft wechselt oder in das Ausland abwandert. „Um in Österreich ein hohes Niveau halten zu können, müssen wir hinaus in die Welt“, eröffnete Prof. DDr. Johann Georg Danzl vom Institute of Science and Technology Austria die Diskussion.

„Es braucht ein weites Interaktionsfeld, um längerfristig für gute Qualität zu sorgen. Investitionen im Jetzt können Österreich ganz nach vorne bringen“, so Danzl weiter. Zum Großteil treibt es Jungwissenschaftler weit über die kontinentalen Grenzen hinaus. Zurück kehren sie mit wertvollen Erfahrungen. Jedoch hält sich der Jubel unter den Rückkehrern in Grenzen: keine ausreichenden Förderungsmittel durch den Staat, rare Projekte und die mühsame Suche nach einem fordernden, stimulierenden Arbeitsumfeld. Für eine Re-Integration in die Forschungsstruktur gibt es zwar finanzielle Unterstützung durch Stipendien oder Preise, diese machen allerdings nur einen Bruchteil des notwendigen Budgetpolsters aus. „Ohne den Startpreis des Wissenschaftsfonds FWF wäre es mir nicht möglich gewesen, nach Wien zu gehen, um eine eigene Gruppe aufzubauen“, erzählt Prof. Dr. Notburga Gierlinger vom Institut für Biophysik an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) aus Erfahrung. „Es braucht Vertrauen in den Nachwuchs, der vor allem im Ausland Erfahrungen sammeln muss, um in späterer Folge zur Entwicklung neuer Konzepte des Gesundheitssystems beitragen kann“, kommentiert Danzl. Während die Stimmen nach ausreichender Förderung, über das Ablaufdatum hinaus, immer lauter werden, gilt es allerdings noch wesentlich substanziellere Probleme zu lösen.

Weiblichen Anteil steigern

Es bleibt doch immer noch das alte Lied: Nur rund ein Viertel der Wissenschaftler in Österreich sind Frauen. Damit hat sich der Schnitt des weiblichen Anteils auf höheren akademischen Posten nur marginal gebessert. International betrachtet ist die Ausgangslage punkto Frauen- und Familienförderung unterschiedlich. „Frauen haben es mit der Mobilität immer etwas schwerer. Meistens ist es die Frau, die mit dem Mann ins Ausland mitgeht“, meint Gierlinger. Seitens des Fonds zur Förderung der Wissenschaft in Österreich (FWF) gibt es unterschiedliche Programme zur Frauenförderung. „Seit Bestehen des Schrödinger-Stipendiums bewerben sich Frauen und Männer zum gleichen Anteil um diesen Preis. Allerdings entscheiden die Institute selbst über die Auswahl der Kandidaten“, meint Prof. Dr. Klement Tockner, Präsident des FWF. „Ziel ist es, den Frauenanteil auf 50 Prozent anzuheben. Dafür müssen wir das Arbeitsumfeld wesentlich familienfreundlicher gestalten“, zeigt Tockner auf. Der Frauenanteil bei den ordentlichen Professuren an Universitäten liegt in Österreich bei sechs Prozent und zählt europaweit zu den Schlusslichtern. Für die Habilitation bleibt neben dem straffen Programm der Qualifizierungsvereinbarung und Publikationsdruck wenig Platz für Familie. Immer mehr Frauen entscheiden sich deshalb die Wissenschaft zu verlassen. In anderen Ländern lebt man hingegen schon länger eine familienfreundliche Politik, die sich mit steigenden Quoten des Frauenanteils im Vergleich deutlich abheben.

Der Hauptstadt-Effekt

Unabhängig von der Finanzierungsfrage stehen aber auch provinzielle Faktoren innerhalb der österreichischen Wissenschaftslandschaft im Vordergrund. Dabei ist die Ausgangslage für die Grundlagen- bzw. angewandte Forschung je nach Bundesland unterschiedlich. Während die Exzellenzen in die Bundeshauptstadt strömen, mangelt es den übrigen Bundesländern an Fachexperten. Diese Verlagerung wird von Jahr zu Jahr deutlicher spürbar. „Nach meiner Auslandserfahrung habe ich Stellen in Linz und Innsbruck angenommen. Die Hauptstadt Wien ist für den Start einer Forscherkarriere aber deshalb so attraktiv, weil es bessere Jobaussichten, größere Forschungsinstitute und Dissertationsmöglichkeiten gibt. An den anderen Bundesländern hat es mir an Interdisziplinarität und Mitteln gefehlt“, so Gierlinger. Die meisten Studierenden, die es nach Wien zieht, um ein naturwissenschaftliches oder Medizin-Studium zu absolvieren, bleiben nach ihrer Ausbildung aber dennoch nicht in Österreich. Trotz der vielversprechenden wissenschaftlichen Infrastruktur in Wien, scheint der Glanz schon nach kurzer Zeit verflogen.

Andere Länder rücken auf

Neben dem FWF bilden die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und das Austria Wirtschaftsservice (AWS) eine potenziell breite und durchaus vielfältige Forschungsförderungslandschaft. „Wir sind, was die europaweite Quote für die Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung betrifft, dennoch äußerst schlecht aufgestellt“, sagt Prof. Dr. Markus Valtiner vom Institut für angewandte Physik, Technische Universität Wien (TUW). Das Nachbarland Deutschland hingegen stellt für Ausstattung und Material rund 40 Prozent mehr Fördergelder zur Verfügung. Ebenfalls ziehen die Schweiz und die nordischen Länder wie Norwegen und Schweden mit einer beachtlichen R&D-Quote an Österreich vorbei. Aber auch östlichere Länder wie Tschechien und Slowakei forcieren ihre Forschungsziele nun intensiver. „Es bewegt sich im Moment sehr viel. Es muss schnell ein Konsensus für neue Programme gefunden werden“, kommentiert Tockner. Die Spitze der Forschung mit den meisten Patenten bilden traditionell die USA, Deutschland und Japan. Jüngsten Veröffentlichungen nach erreichte Österreich 2017 mit einem Plus von 8,2 Prozent den Höchstwert an Patentanmeldungen seit sieben Jahren. Jedes 14. der 2.213 eingereichten Patente kam dabei von heimischen Chemiekonzernen und sichert dem Land somit Rang sieben. Neben diesem Erfolg darf man aber auch anderweitig gratulieren. Der FWF feierte am 4. März seinen 50. Geburtstag und setzt damit seit einem halben Jahrhundert internationale Qualitätsstandards in der Grundlagenforschung in Österreich.

Science Talk des Wissenschaftsministeriums, Wien, März 2018

Von: Carina Kern

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune