ARGE Daten: „Das Ministerium agiert völlig planlos“

Am 20. April ist ein umstrittenes Datenpaket im Nationalrat beschlossenen worden. Dr. Hans Zeger, der Obmann der ARGE Daten, erklärt im Interview mit der Medical Tribune, was das für den Gesundheitsbereich und insbesondere für ELGA-Daten bedeutet. (Medical Tribune 19/18)

Die Vernetzung schreitet auch in der Medizin voran – das wirft automatisch heikle Fragen des Datenschutzes auf.

Im Wissenschaftsdatenschutzgesetz ist vorgesehen, dass künftig u.a. Daten der Elektronischen Gesundheitsakte für Forschungszwecke – auch von Firmen – weitergegeben werden dürfen. Bei Ärztekammer und Datenschützern sorgte das im Vorfeld der Beschlussfassung für großen Unmut. Die Gesundheitsministerin ruderte daraufhin zurück: Sie schloss den Medien gegenüber eine Weitergabe von ELGA-Daten dezidiert aus. Einen Tag später erfolgte dann trotzdem die Beschlussfassung. Immerhin wurden bestimmte Bedingungen festgelegt, wie, dass das Ministerium der Datenweitergabe zustimmen muss (siehe Kasten).

Herr Dr. Zeger, was sagen Sie zum Hin und Her rund um die Weitergabe von ELGA- und sonstigen Gesundheitsdaten?

Zeger: Es zeigt, dass in Österreich im Bereich Telemedizin und Gesundheit einfach nur Chaos herrscht. Es gibt ja jede Menge telemedizinische Lösungen, die weit über ELGA hinausgehen und die zum Teil schon angeboten werden. Aber das ist alles nicht strukturiert. Das Ministerium agiert hier völlig planlos. Eigentlich sollten mit der Datenschutz-Grundverordnung die Patientendaten besser als bisher geschützt werden. In geradezu Orwell’scher Manier wird jedoch nun dieses Schutzgesetz missbraucht, um Zugriff auf die ELGA-Patientendaten zu erlauben. Pseudonymisiert – gemäß Definition der DSGVO also personenbezogen – sollen sie für „wissenschaftliche“ Studien weitergegeben werden. Was „Wissenschaft“ ist, ist nicht definiert, von Energetik- Pseudowissenschaft bis Marktforschung fällt alles darunter.

Sie bezeichnen ELGA grundsätzlich als Fehlkonzeption?

Zeger: Ja. ELGA ist ein Produkt aus der IT-Steinzeit der 1970er Jahre, entworfen von Bürokraten, die ausschließlich in Kategorien der Aktenverwaltung denken. Für den Behandlungsalltag ist das System ungeeignet. Die Daten sind zu lückenhaft, nicht validiert, ungenau und meist veraltet. Insbesondere Originaldaten, z.B. von Röntgen, CTs und MR, fehlen. Nur Nacherzählungen derselben, sogenannte Befunde, liegen als unübersichtliches Sammelsurium vor. Juristen sprechen von „Hören-Sagen“, die Informationen seien rechtlich wertlos. ELGA entspricht somit weder informationstechnisch noch grundrechtlich dem Stand der Technik. Und obwohl schon mehr als 100 Millionen Euro in das Projekt geflossen sind, hat es noch immer keinen Nutzen für Patienten. Zeitgemäße medizinische Informationstechniken fehlen völlig – etwa Telemedizin, Terminverwaltung und -koordination, Unterstützung in der Gesundheitsvorsorge oder Auskunftsdienste.

Was sollen dann Dritte mit den Daten anfangen?

Zeger: Die ELGA-Daten erlauben sehr wohl Stöberfahndungen und pseudowissenschaftliche Forschung. Denn dabei kommt es weniger darauf an, für Patienten präzise Therapie-Rückschlüsse zu ziehen. Sondern es reicht, ungefähre Wahrscheinlichkeitsaussagen zu generieren. Diese dienen etwa dazu, gezielt Medikamente vom Markt zu nehmen, Pharmapreise zu „optimieren“, Versicherungsprämien für einzelne Gruppen zu erhöhen, bestimmten Patientengruppen Leistungen vorzuenthalten usw. Endpunkt dieser Entwicklung ist eine bürokratisch und kommerziell optimierte Gesundheitsversorgung à la Großbritannien.

Insgesamt geht es um alle in staatlichen Datenbanken gespeicherten Infos, die für die Forschung freigegeben wurden. Warum war der Aufschrei gerade bei den ELGA-Daten so groß? Verraten Sozialversicherungsdaten nicht zum Teil mehr?

Dr. Hans Zeger
Obmann der ARGE Daten

Zeger: Sie haben völlig recht. Soweit es medizinische Daten sind, ja. Wenn es nur um Verwaltungsdaten geht, also darum, von wann bis wann jemand bei welcher Versicherung versichert war, so kann man noch darüber reden. Warum ich mich genau auf ELGA so gestürzt habe, ist, weil man dort etwas versprochen bekommt, was 1. nicht eingehalten wird und wo 2. die Daten dann für andere Zwecke verwendet werden. Die Sozialversicherungen hingegen halten ja schon ein, dass sie Untersuchungen und Therapien bezahlen. Eine saubere Lösung bei dem Thema kann eigentlich nur ein Opt-in sein, dass Betroffene von sich aus sagen können: „Ja, ich stelle meine Daten für die Forschung zur Verfügung.“ Bei Facebook und Co melden sich Patienten ja auch freiwillig an und können sich wieder abmelden. ELGA aber ist ein Zwangssystem, bei dem besorgten Patienten hohe Hürden auferlegt werden, wenn sie sich abmelden wollen. Das widerspricht der Datenschutz-Grundverordnung. Der Versuch, die Daten zu kommerzialisieren, ist somit ein wesentlich massiverer Grundrechtseingriff, als es Zuckerberg und Co je zusammenbringen.

Patientenanwalt Bachinger spricht sich für die Datennutzung aus, sofern sie anonymisiert und nicht nur pseudonymisiert ist. Und solange die Daten nicht an Pharmawirtschaft und Versicherungen gehen. Ansonsten käme es zu einem Verlust für die Gesundheitssystemforschung, argumentiert er. Was sagen Sie dazu?

Zeger: Mit dem Herrn Bachinger hatte ich ja schon viele Diskussionen. Die Unabhängigkeit ist da halt nicht wirklich gegeben. Was er nicht dazusagt ist, dass es praktisch unmöglich ist, Patienten- und Gesundheitsdaten zu anonymisieren. Das Problem liegt darin, dass ich sehr schnell in sehr spezifischen Angaben bin. Ein gutes Beispiel sind Gen-Werte. Sie sind individuell und anonymisiert für die Forschung nicht mehr verwendbar. Ich bin selbst auch nicht gegen die personenbezogene Forschungsverwendung. Natürlich sollten Studien pseudonymisiert sein. Die Medizin braucht Daten für die Forschung. Doch der Patient sollte wie gesagt einwilligen können. Viele tun das ja beispielsweise für die Krebsforschung. Derzeit sind die Daten dann wirklich nur für Krebsforschung zugelassen. Das wird sich ändern.

Inwiefern?

Zeger: Zukünftig sollen Forschungseinwilligungen auch für vergleichende Studien gelten, um z.B. den Zusammenhang zwischen Alzheimer und Krebs erforschen zu können. Dann hat der Patient immer noch drei Möglichkeiten: 1. keine Einwilligung in Forschungen; 2. Einwilligung in eine bestimmte Forschung; wenn seine Daten für eine andere Studie verwendet werden sollen, müsste erneut nachgefragt werden; oder 3. Einwilligung in vergleichende Forschungen.

Sie fordern, dass Patienten, die in die Datenweitergabe einwilligen, dann auch laufend über Forschungsfortschritte informiert werden?

Zeger: Genau. Die Studien müssen Mindeststandards erfüllen, also zum Beispiel genehmigt sein, und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Das funktioniert momentan noch nicht: Von zehn Forschungen werden sieben nicht veröffentlicht, weil sie im Sand verlaufen. Bei zwei kommt ein ganz anderes Wirkungsergebnis heraus, als Annahme war, und nur bei einem das erwartete Ergebnis. Die Öffentlichkeit hat das Recht zu wissen, was die Forschungen von Firmen, die finanziell unterstützt wurden, wirklich gebracht haben. Es gibt Medikamente, die für den ursprünglichen Einsatz untragbare Nebenwirkungen gezeigt haben und jetzt für einen anderen Einsatzbereich als zielführend befunden wurden. Die Nebenwirkungen vom ursprünglichen Einsatzgebiet sind nie publiziert worden. Das halte ich für unseriös. Ebenso muss kommerzielle Forschung verboten werden, die untersucht, wie viele Patienten in ein Krankheitsbild hineinfallen, um dann zu entscheiden, ob sich die Forschung überhaupt auszahlt. Das Bundesministerium könnte sich Sporen daran verdienen!

Zurück zu ELGA, deren Einführung ja auch vielen Ärzten ein Dorn im Auge ist. Was raten Sie denen?

Zeger: Die Ärzte selbst sind ja quasi zwangsverpflichtet, ELGA zu verwenden. Ich würde den Patienten kurz erklären, warum ELGA bei der Arbeit nicht wirklich weiterhilft. Und ihnen dann sagen: „Ihr könnt für euch selbst entscheiden. Aber wenn ihr alle Risiken rund um den Datenschutz vermeiden wollt, dann nutzt die Ausstiegsmöglichkeit aus ELGA, das Opt-out.“

Bedingungen für Datenfreigabe
Aus dem Sozialministerium heißt es: „Standesvertretungen wie die Ärztekammern oder Fachgesellschaften müssen prüfen, ob ein wissenschaftliches Interesse an der aggregierten und anonymisierten Datenfreigabe für Forschungszwecke vorliegt.“ Gibt es ein solches, brauche es die „Genehmigung einer Ethikkommission für das jeweilige Forschungsprojekt“. Freilich wurden das Vorgehen bzw. die Bedingungen dafür nicht gesetzlich determiniert, sondern bloß über einen unverbindlichen Entschließungsantrag, der nicht mehr als eine Handlungsempfehlung an die zuständige Ministerin ist. Das Ministerium muss der Datenweitergabe zustimmen.
Quelle: ORF
Zur Person
Dr. Hans G. Zeger ist seit 1990 Obmann der ARGE Daten – Privacy Austria und Lektor an verschiedenen Universitäten.
Internet: www.argedaten.at
Buchtipp
Christian Marzi/Angelika Pallwein-Prettner: Datenschutzrecht – auf Basis der DS-GVO.
Facultas Wien, 2018, ISBN 978-3-7089-1522-7, 172 Seiten, 22 €

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune