Gesundheit ist ein Wachstumsmotor

In der öffentlichen Diskussion wird Gesundheit meist als Kostenfaktor wahrgenommen – zu Unrecht, wie eine aktuelle IHS-Studie beweist: Gesundheit ist ein Wirtschaftsfaktor, an dem jeder fünfte Job hängt. (Medical Tribune 18/18)

IHS-Experte Czypionka spricht von 47 Milliarden Euro an Wertschöpfung.

Das Bedürfnis nach Gesundheit, körperlicher Fitness und entsprechendem Aussehen war wohl noch nie so groß wie heute. Das wird nicht zuletzt daraus ersichtlich, dass Wellnessurlaube, Ratgeber- und Gesundheitsliteratur, Laufcoaches sowie entsprechende Apps regelrecht boomen. „Gesundheit als Megathema zieht sich durch praktisch alle Lebensbereiche und damit auch quer durch die heimische Wirtschaft“, sagt Dr. Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Mehr denn je gingen die wirtschaftlichen Effekte von Gesundheit weit über den Kernbereich Spitäler, Ärzte und Krankenversicherungen hinaus. Doch wie groß ist nun dieser wirtschaftliche Beitrag?

Czypionka und seine Kollegen vom IHS wollten es genau wissen und haben auf Basis der jüngsten verfügbaren In- und Output-Rechnung der Statistik Austria (das sind Daten aus dem Jahr 2013) ein aktuelles Gesundheitssatellitenkonto für Österreich erstellt. Die Ökonomen extrahierten aus den Daten der Statistik Austria gesundheitsrelevante Bereiche. Sie unterscheiden dabei zwischen einem Kernbereich (dem Gesundheitswesen an sich) und einem erweiterten Bereich (zum Beispiel Dienstleistungen für Sport und Wellness). Letzterer trägt direkt noch einmal über 40 Prozent an Wertschöpfung zusätzlich zum Kernbereich bei. „Hinzu kommt, dass in beiden Bereichen noch viele Vorleistungen benötigt werden, die ebenfalls relevante Beschäftigungs-, Wertschöpfungsund Steuereffekte bewirken“, ergänzt Czypionka und nennt zur Veranschaulichung das Beispiel eines künstlichen Gelenks, das eine Vorleistung in der Metallindustrie benötigt.

Entsprechend komplex und aufwendig war die Studie, an der die IHS-Experten ein Jahr lang gearbeitet haben. Die Zahlen sind in jedem Fall beeindruckend: Die Bruttowertschöpfung summiert sich für beide Sektoren auf 31,17 Milliarden Euro (21,7 Milliarden im Kernbereich, 9,5 Milliarden im erweiterten Bereich), was 10,9 Prozent der österreichischen Wertschöpfung entspricht. Zählt man auch noch die indirekten und induzierten Effekte durch Vorleistungen sowie die Konsumausgaben der in der Gesundheitswirtschaft Beschäftigten dazu, so entfallen auf diese letztendlich sogar 47,26 Milliarden Euro Wertschöpfung, was einem Anteil von 16,5 Prozent an der Gesamtwirtschaft gleichkommt.

Jeder fünfte Job

Auch der Beitrag zur Beschäftigung weiß zu beeindrucken: In der Gesundheitswirtschaft selbst sind rund 624.000 Personen beschäftigt bzw. 489.000 Vollzeitäquivalente. Insgesamt, also inklusive der indirekten und induzierten Effekte, finden rund 870.000 Personen in diesem Bereich Beschäftigung. Das sind 19,6 Prozent der Erwerbstätigen. Jeder fünfte Job geht somit, wenn man so will, auf das Bedürfnis nach Gesundheit zurück. Was die Implikation für die heimische Wirtschaft betrifft, so unterscheiden die Experten abermals zwischen dem Kern- und dem erweiterten Bereich. „Der Kernbereich ist von konjunkturellen Schwankungen relativ unabhängig und wirkt sich somit stabilisierend auf die österreichische Wirtschaft aus“, sagt Czypionka. „Der erweiterte Bereich ist hingegen ein Wachstumsmarkt – mit hoher Beschäftigungsintensität und großem Innovationspotenzial“, ergänzt Dr. Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), der die Studie gemeinsam mit dem IHS-Experten präsentierte. Das Gesundheitssatellitenkonto zeige eindrucksvoll, dass Gesundheit mehr ist als die direkte Versorgung beim Arzt.

Exporte haben Luft nach oben

Umso mehr mahnt Gleitsmann ein, dass die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert werden: „Die unglaublich hohe Regulierungsdichte hemmt den Fortschritt.“ Der Funktionär der Wirtschaftskammer hat als Mitglied der Taskforce „Gesundheit neu denken“ im Vorjahr auch ein Manifest formuliert, das dringend notwendige Reformen einfordert (Medical Tribune berichtete). Er zeigt sich zuversichtlich, dass die neue Regierung den Bürokratieabbau jetzt vorantreibt und unternehmensfreundliche Reformen durchsetzen wird (siehe „Nachgefragt“ unten). Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt auch das Satellitenkonto: Der Außenhandelsüberschuss beläuft sich im Bereich Gesundheit nämlich nur auf 0,48 Milliarden Euro – ein Wert, den auch Thomas Czypionka als „ausbaufähig“ bezeichnet.

NACHGEFRAGT

Dr. Martin Gleitsmann
Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit, Wirtschaftskammer Österreich

Was bedeutet die IHS-Studie für den Sektor Gesundheit?
„Die Studie trägt dazu bei, die Diskussion rund um Gesundheit positiver zu machen und den Fokus auf die Chancen und Potenziale zu legen. Gesundheit ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein Wachstumsmotor. Allerdings müssen die Chancen genützt und gute Rahmenbedingungen für Unternehmen geschaffen werden. Bürokratie und Regulierung hemmen Innovation.“

Sehen Sie unter der neuen Regierung Anzeichen einer Besserung?
„Ja, es gibt einige konkrete Ansätze, die mich zuversichtlich stimmen. So wird eine Rechtsbereinigung angestrebt, also ein Ausmustern alter Gesetze – man will 2.500 Gesetze entfernen. Zudem sollen Regelungen beseitigt werden, die EU-Vorgaben unnötigerweise übererfüllen, das sogenannte Gold-Plating. Alle Ministerien evaluieren derzeit, wo wir zu viel reguliert haben. Und drittens werden diverse Reformprojekte angegangen.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune