14. Sep. 2017

LSE-Studie: Eine Studie für jeden Geschmack

Die 1400 Seiten lange Studie der London School of Economics (LSE) hat viele durchdachte Vorschläge zur Effizienzsteigerung des Gesundheitssystems. Das Problem: Jeder kann sich herauspicken, was ihm passt. (Medical Tribune 36/2017)

Wie effizient ist das heimische Gesundheitssystem? Die Antwort auf diese Frage hängt bis zu einem gewissen Grad davon ab, wer wo hinhorcht.
Wie effizient ist das heimische Gesundheitssystem? Die Antwort auf diese Frage hängt bis zu einem gewissen Grad davon ab, wer wo hinhorcht.

Endlich liegt sie auf dem Tisch! Die mit Spannung erwartete LSE-Studie zur Effizienz der Sozialversicherungen – 1393 Seiten mit dem Titel „Efficiency Review of Austria’s Social Insurance and Healthcare System“. Im Juli war sie angeblich bereits fertig, musste aber noch übersetzt werden. „Lustigerweise“ sei das Werk großteils immer noch auf Englisch, konnte sich Hauptverbands-Chef Dr. Alexander Biach einen Tag nach Veröffentlichung, einen Seitenhieb nicht verkneifen. Trotzdem: In einer Ersteinschätzung sei die Studie „wirklich eine der profundesten Analysen unseres Gesundheitssystems“.

Biach interpretierte die vierteilige Studie* so: Große Strukturänderungen seien nicht nötig, nur da und dort Verbesserungen, der bisher eingeschlagene Weg – Leistungsharmonisierung, stärkere Aufgabenbündelung und Beitragsvereinfachung – werde bestätigt. Ähnlich Sozialminister Alois Stöger, Auftraggeber der 630.000 Euro teuren Analyse, und Gesundheitsministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner: Für die beiden SP-Politiker ist das „Modell 4“ in der Studie wie geschaffen: mehr Koordination innerhalb der jetzigen Träger und besserer Risikostrukturausgleich. Und das, obwohl sich Studienautor Elias Mossialos nicht auf ein Modell festlegen wollte: Es gebe „nicht die eine richtige Lösung“. Das Autorenteam schlug sehr wohl auch Modelle mit einer Zusammenlegung der Kassen vor:

  • Modell 1: vier Träger: Unfall, Pension, Unselbstständige und Selbstständige
  • Modell 2: wie Modell 1 plus ein Träger für öffentlich Bedienstete
  • Modell 3: eine nationale Pensionsversicherung und eine auf neun Landesträger aufgeteilte Kranken- und Unfallversicherung

Je nach Modell und effizienzsteigernden Maßnahmen ergäben sich Einsparungen von 692 Mio. bis 845 Mio. Euro pro Jahr, so Mossialos’ Berechnungen.

Japan doppelt so gut

Befürworter der Studie loben, dass endlich der Mythos der hohen Verwaltungskosten widerlegt werde. Ein genauer Blick zeigt aber, dass die Autoren auf die begrenzte Vergleichbarkeit zwischen den Ländern hinweisen. Im Vergleich mit ähnlichen Krankenversicherungssystemen, wie in Frankreich und Japan, hat Österreich mit 3,7 Prozent mehr als doppelt so hohe Verwaltungskosten wie Japan (Teil 1/S. 551). Die Studie führt auch enorme Unterschiede zwischen den Kassen an: Die Verwaltungskosten pro Versicherten variieren von 13 (BKK) bis 138 Euro (VAEB), aber auch zwischen den GKKs (BGKK und KGKK am höchsten, STGKK am niedrigsten).

Selbst beim Effizienzpotenzial im gesamten Gesundheitssystem ist für jeden Geschmack etwas dabei: Es bedürfte einer „nachhaltigen Verknüpfung von ambulantem und stationärem Bereich“ v.a. durch Finanzierung und Steuerung „aus einer Hand“. Weniger erfreulich für die Ärztekammer: Die Stilllegung einer Planstelle sollte die SV bei nachgewiesenem Bedarfsmangel „alleine“ entscheiden können. „Äußerst zweifelhaft“ sei, ob die Qualitätssicherung im niedergelassenen Bereich durch die ÖQMed ausreiche. Die Studie hinterfragt zudem, ob der „Kündigungsschutz für Freiberufler“ noch zeitgemäß sei.

ÄK sieht „Ungereimtheiten“

Das Papier enthalte „jede Menge Ungereimtheiten“ wie Vorschläge zur „Modernisierung“ des Vertragspartnerrechts, sagt dazu die Ärztekammer auf MT-Anfrage. Diese hätten mit dem offiziellen Studienziel wenig zu tun und zielten nur darauf ab, den „Freiberuflichen Arzt“ zu schwächen. Wesentliche Teile erstellten „noch dazu“ österreichische Experten mit (ehemaligen) „intensiven Geschäftsbeziehungen“ zum Sozialministerium und den SV – mit erwartbaren, „systemfestigenden“ Ergebnissen, geht Niedergelassenen-Bundeskurienobmann Dr. Johannes Steinhart mit der Studie hart ins Gericht. Wirksamer wären z.B. 1300 Kassenarztpraxen zusätzlich. Ähnlich Ärzte-Chef Dr. Thomas Szekeres: Für die Erkenntnis, den niedergelassenen Bereich gezielt zu stärken, habe man diese „Wunsch-Studie“ sicher nicht gebraucht: „Das erklären wir der Politik seit mehr als einem Jahrzehnt.“ Erneut mahnt er ein, die Ärzte einzubinden: „Nur mit ärztlicher Expertise können Reformprojekte auf Praktikabilität und Patientennutzen hin entwickelt werden.“

RH prüft Auftragsvergabe

Inzwischen schaltet sich auf Ansuchen der FPÖ sogar der Rechnungshof (RH) ein, weil Stöger die Studie ohne Ausschreibung vergeben hat. RH-Präsidentin Dr. Margit Kraker kündigte laut APA an, künftig generell alle ministeriellen Auftragsvergaben von Studien, Beratungsleistungen etc. zu überprüfen. Für eine saubere Optik wäre das wohl kein Fehler.

*Teil 1: LSE Health, Teil 2: Universität Salzburg, Teil 3: Originalbeiträge der Stakeholder, Teil 4: Con­trast Ernst&Young; unter: www.sozialministerium.at

630.000-Euro-Studie mit Schönheitsfehlern

Präsentation super, aber leider ist das Hosentürl offen … Solche optischen Kleinigkeiten fallen auch beim Stöbern in der LSE-Studie auf. Sie enthält einige Tipp- bzw. Formfehler – nichts Schlimmes, aber doch bemerkenswert bei einem 630.000 Euro teuren Werk. So steht etwa „Solvaldi“ (statt „Sovaldi“) in einer Überschrift (Teil 1/S. 450), fehlen Bindestriche wie bei „Mutter-Kind Pass“ vs. drei Zeilen weiter „Mutter-Kind-Zuschuss“ (1/S. 489), es gibt nicht durchgehend bündig eingerückte Schlagworte von Aufzählungen (1/S.668), eine Vermischung von „Tirol“ und „Tyrol“ im ersten Teil sowie von „dependents“ und „dependants“ („Angehörige“), einmal sogar innerhalb derselben Abbildung (4/S. 123), etc. Der Fehlerteufel lacht sich ins Fäustchen, der Steuerzahler reibt sich dann doch ein wenig die Augen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Dr. Ernest Pichlbauer “1400 Seiten London School of Economics”

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune