Heuschrecken haben Pflegeheime im Visier

Internationale Investoren entdecken ihre Liebe zu europäischen Pflegeimmobilien. Der Trend macht auch vor Österreich nicht halt. Die Branche fürchtet sich vor Spekulanten, Experten wiegeln ab. (Medical Tribune 35/2017)

Hedgefonds werden zum Pflegefall: Die viel geschmähten „Heuschrecken“ kaufen Gesundheitsimmobilien.
Hedgefonds werden zum Pflegefall: Die viel geschmähten „Heuschrecken“ kaufen Gesundheitsimmobilien.

In Österreich spielten Pflegeimmobilien bis 2014 auf dem Investmentmarkt keine Rolle, zuletzt nahm das Interesse aber zu. 2016 wurden Transaktionen im Wert von 75,1 Millionen Euro getätigt, 78 % mehr als im Jahr zuvor. In diesem wiederum hatte die französische Orpea-Gruppe den Heimbetreiber SeneCura übernommen. Orpea, eine börsennotierte Pflegegruppe, erzielte 2016 einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro und einen operativen Gewinn von 371 Millionen Euro. In Deutschland erreichte das Investitionsvolumen in Pflegeimmobilien 2016 mit drei Milliarden Euro sogar ein Rekordniveau. Spektakulär waren einzelne Deals der letzten Zeit: Die Alloheim-Gruppe wurde vom Finanzinvestor Carlyle übernommen, die Ketten Curanum und Casa Reha gehören der französischen Gruppe Korian. Und soeben hat die kalifornische Beteiligungsgesellschaft Oaktree Pflegen & Wohnen, Hamburgs größten privaten Anbieter für stationäre Pflege, geschluckt.

Die Heuschrecke aus L.A.

Oaktree ist ein Finanzinvestor, für manche eine „Heuschrecke“. Die Gesellschaft verwaltet ein Vermögen von rund 100 Milliarden US-Dollar. Entsprechend groß war der Aufschrei in Hamburg: Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) hatte im Vorfeld des Deals postuliert: „Alten- und Pflegeeinrichtungen sollten keine Spekulationsobjekte sein.“ Doch so einfach ist die Sache nicht, wie eine Analyse der Marktdaten zeigt. Zunächst muss man wissen, dass die Branche ein Wachstumsmarkt ist, dem allein die demografische Entwicklung in die Hände spielt. In Österreich wie auch in Deutschland nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich zu. Derzeit sind 23 % der österreichischen Bevölkerung älter als 60 Jahre, 2030 werden es mehr als 30 % sein. Prognosen gehen allein bis 2020 von einer Bedarfssteigerung an stationären Plätzen um 25 % aus. Die Bruttoausgaben für stationäre Pflege haben schon von 2011 bis 2015 laut Statistik Austria um 17 % auf 2,6 Milliarden Euro zugenommen. In Deutschland ist die Zahl der Pflegebedürftigen von 1999 bis 2011 um 30 % auf 2,63 Millionen Personen gestiegen, bis 2030 kommt eine weitere Million dazu.

Kurzum, es handelt sich um ein Milliardengeschäft, unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Und mit oft attraktiven Immobilien als Sicherheit. Genau das reizt ausländische Investoren, auch Versicherungen und Pensionskassen, die in Zeiten historisch tiefer Zinsen und geringer Renditen bei klassischen Immobilien händeringend nach alternativen Anlageformen suchen. Die Nische der Gesundheitsimmobilien ist vergleichsweise lukrativ: Laut dem Immobiliendienstleister CBRE liegen die Renditen noch deutlich über jenen für Topobjekte aus dem Büro- oder Einzelhandelssegment, bei erstklassigen Pflegeheimen waren zuletzt bis zu 5,5 % zu lukrieren. Die Experten gehen von einem weiteren Anstieg des Investoreninteresses aus.

Aus dem Wachstum ergibt sich jedoch ein Problem: Während die Nachfrage steigt, ist das Angebot begrenzt. Laut Studien hat etwa Deutschland bis 2030 einen Neubaubedarf von rund 380.000 zusätzlichen Pflegeplätzen, zudem müssen 240.000 bestehende modernisiert werden. Beides könnte laut CBRE rund 55 Milliarden Euro kosten. Öffentliche Träger und Sozialsysteme stoßen allein aufgrund der nicht gerade explodierenden Zahl an Beitragszahlern jedoch an ihre Grenzen.

„Privates Kapital nötig“

„Die wachsende Nachfrage wird zu mehr Investitionen führen, für die öffentliches Kapital allein nicht ausreicht. Auch privates Kapital wird nötig sein, um das entsprechende Angebot zu schaffen“, erklärt Prof. Dr. Boris Augurzky, der Leiter des Kompetenzzentrums Gesundheit am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, in einem Branchenreport. Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt: Der Betrieb eines Pflegeheims ist personalintensiv und verursacht hohe Fixkosten. Hierzulande kommen komplizierte Rahmenbedingungen wie neun unterschiedliche Sozialgesetzgebungen der Länder hinzu. Augurzky sieht die Politik gefordert, in Anbetracht des Investitionsbedarfs umzudenken. Sie wäre gut beraten, wenn sie sich dem Trend zu privaten Investoren nicht widersetzt und diese nicht durch regulatorische Vorgaben vergrämt.

Viele Akteure sehen das freilich anders. Bewohner und Angehörige werden durch Eigentümerwechsel verunsichert, die Belegschaft ebenso. „Als Personalvertreter bin ich nicht glücklich mit dieser Entwicklung“, sagt Harald Schwarz, Vorsitzender der Region Mitte West von der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen. Gesundheit gehöre in die öffentliche Hand. „Ich gehe davon aus, dass seitens ausländischer Investoren Interesse am österreichischen Markt besteht“, sagt Markus Mattersberger, der Präsident von Lebenswelt Heim, dem Bundesverband der Alten- und Pflegeheime Österreichs. Das primäre Interesse von Investoren sei es, Gewinne zu machen. Dies sei legitim, wenn es jedoch um die Betreuungssituation von älteren Menschen geht, gelte es besonders sensibel zu sein, sodass die Gewinne nicht auf Kosten dieser Menschen oder des Pflegepersonals erzielt werden. „Es ist zu befürchten – und diese Beispiele kennen wir aus Deutschland –, dass durch einen offenen Markt Preiskämpfe zu minderer Pflegequalität führen.“

Freilich unterscheide sich der österreichische Pflegesektor vom deutschen. Letzterer sei geprägt durch ein markt­orientiertes System, in Österreich seien indes rund 50 % der Einrichtungen in öffentlicher Hand, weitere 25 % privat-gemeinnützig (Caritas, Rotes Kreuz etc.). Mattersberger hält diese Aufteilung für sinnvoll, räumt aber ein, dass es durch private Anbieter auch positive Effekte gibt: So habe ein „Leistungsdruck in Richtung Innovationen und Managementstrategien Einzug gehalten, wie es sonst wohl in öffentlich geführten Einrichtungen weniger anzutreffen wäre.“ Was die Finanzierung betrifft, so stellt sich für Mattersberger „weniger die Frage, ob wir uns das leisten können, als viel mehr, ob wir es wollen“. Österreich sei eines der reichsten Länder der Welt, gebe aber nur 0,8 % des BIP für stationäre Pflege aus. Länder wie die Niederlande, Schweiz oder Dänemark investierten in diesem Bereich hingegen 1,6 bis 2,2 % des BIP.

 

Wussten Sie, dass …
… die Verwendung des Begriffs„Heuschrecke“ als Metapher für Spekulanten auf den einstigen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering zurückgeht? Er verglich das Agieren mancher Investoren mit Heuschreckenplagen und löste eine Debatte aus. Der ­Begriff gilt im deutschen Sprachgebrauch seitdem als abwertende Tiermetapher für Private-Equity-Gesellschaften, Hedgefonds (auch Geierfonds genannt) und andere Formen der Kapitalbeteiligung mit mutmaßlich kurzfristigen oder überzogenen Renditeerwartungen. Der Begriff ist umstritten, belegte bei der Wahl zum Wort des Jahres 2005 den 4. Platz.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune