7. März 2017

Was darf Humanforschung?

cartoon_hirnFür die Forschung am Menschen gelten strenge Regeln, um einen Ausgleich zwischen wissenschaftlicher Freiheit und den Rechten der Forschungsteilnehmer zu gewährleisten. Neun Antworten auf praxisrelevante Fragen. (Medical Tribune 10/2017)

Die naturwissenschaftliche Forschung versucht, Gesetzmäßigkeiten in der Natur zu erkennen. Die Humanforschung stellt in diesem Rahmen die spezielle Situation dar, dass Menschen andere Menschen untersuchen und behandeln, um neue medizinische Erkenntnisse zu gewinnen und Krankheiten besser heilen zu können. Zugleich bestehen aber gewisse Risiken für die Forschungsteilnehmer. Deshalb gibt es in Österreich verschiedene Gesetze und Richtlinien, welche die Humanforschung regeln – mit dem Ziel den Menschen in der Forschung zu schützen. MT gibt einen Überblick anhand von neun praxisrelevanten Fragen:

1    Wann sind klinische Prüfungen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten erlaubt?

Rechtliche Grundlagen sind das Arzneimittel- und das Medizinprodukterecht. „Grundsätzlich muss eine Ethikkommission bestehend aus Experten unterschiedlicher Richtungen eine Studie positiv bewerten, damit sie durchgeführt werden darf“, erklärt Dr. Maria Kletečka-Pulker, Geschäftsführerin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und der Österreichischen Plattform Patientensicherheit. Hinzu komme, dass Versicherungen abgeschlossen werden müssen, um eventuelle Schäden auszugleichen. In weiterer Folge braucht es die informierte Einwilligung („informed consent“) der Prüfungsteilnehmer. „Sie müssen durch einen Arzt über Wesen bzw. Zweck, Bedeutung, Tragweite, Nutzen, Risiken und Belastungen der klinischen Prüfung, einschließlich Versicherungsschutz, aufgeklärt werden und ihre Einwilligung dazu erteilen“, konkretisiert Dr. Markus Grimm, Leiter der Rechtsabteilung der Medizinischen Universität Wien.

2    Kann der Patient die Einwilligung widerrufen?

„Ja, jederzeit“, betont Grimm. Im Zuge der Aufklärung, die schriftlich und mündlich zu erfolgen hat und strengen Formvorschriften unterliegt, müsse der Patient auch darüber informiert werden, dass er die Teilnahme an der Studie zu einem beliebigen Zeitpunkt beenden kann, ohne nachteilige Folgen, insbesondere für die weitere medizinische Versorgung.

3    Wie verhält es sich bei nicht einsichts- und urteilsfähigen Personen?

Die klinische Prüfung eines Arzneimittels ist bei besachwalteten Patienten dann möglich, wenn sie einen unmittelbaren Nutzen für sie hat, also eine therapeutische Forschung ist. Voraussetzungen sind die Zustimmung des Sachwalters und eine zusätzliche gerichtliche Genehmigung. „Medizinprodukte dürfen aber an nicht einsichts- und urteilsfähigen Personen auch dann nicht getestet werden, wenn es zum unmittelbaren Vorteil für die Person wäre“, hält Kletečka-Pulker fest.

4    Worauf ist bei Minderjährigen zu achten?

Handelt es sich um eine therapeutische Forschung, dürfen die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten darin einwilligen. Anders als bei besachwalteten Personen können sie unter bestimmten Voraussetzungen auch in eine nichttherapeutische Forschung einwilligen, erläutert Kletečka-Pulker. Nämlich dann, wenn zwar dem Kind kein unmittelbarer Nutzen erwächst, aber eine Behandlungsmethode für die Krankheit für andere Betroffene in Zukunft gefunden werden kann („Gruppennutzen“). Voraussetzung sei immer, dass Risiko und Belastung für das Kind minimal sind. Auch die Eltern können natürlich jederzeit ihre Einwilligung zur Teilnahme des Kindes an der Studie ohne Angabe von Gründen zurückziehen.

5    Wie sind Forschungsaktivitäten außerhalb klinischer Prüfungen geregelt?

Im Gegensatz zu Arzneimittel- und Medizinproduktestudien sind diese gesetzlich nicht systematisch geregelt. Somit bedarf z.B. nicht jede neue Behandlungsmethode der Bewilligung als klinische Studie. „Für medizinische Forschung an Menschen außerhalb des Anwendungsbereichs des Arzneimittel- und des Medizinproduktegesetzes sind jedoch die allgemeinen zivil-, straf-, Krankenanstalten- bzw. berufsrechtlichen Vorschriften maßgeblich“, hebt Grimm hervor. „Ist mit dem Forschungsvorhaben ein Eingriff in die körperliche Integrität verbunden, setzt dies jedenfalls die Zustimmung des Patienten bzw. Probanden nach entsprechender Aufklärung und damit dessen Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie die Einhaltung der berufsrechtlichen Sorgfaltsmaßstäbe voraus.“

6    Wann sind „Heilversuche“ erlaubt?

Einen „Heilversuch“ durchzuführen, d.h. eine nicht erwiesene neuartige Methode oder Maßnahme anzuwenden, die diagnostische, therapeutische oder präventive Zwecke verfolgt und nach dem Urteil des Arztes hoffen lässt, durch sie das Leben des Patienten zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu lindern (Punkt 35 der Deklaration von Helsinki), ist im Einzelfall zulässig. Voraussetzung sei, dass eine medizinische Indikation gegeben und keine Standardtherapie vorhanden ist oder diese im speziellen Fall nicht wirksam war oder nicht angewendet werden konnte, verrät Grimm die juristischen Details. Der Heilversuch müsse auf dem Stand der medizinischen Wissenschaft gegründet sein und der zu erwartende individuelle Nutzen des Patienten aufgrund vorliegender Daten höher wiegen als mögliche Risiken. Darüber hinaus gelten die Regeln für „routinemäßige“ Heilbehandlungen, insbesondere die Einwilligung betreffend, die nur im Notfall entfallen darf.

7    Und „Humanexperimente“?

Bei wissenschaftlichen Experimenten erfolgt keine medizinische Behandlung, bei der ein Heilungserfolg intendiert ist, sondern es steht der Forschungsaspekt im Vordergrund. Sie bedürfen jedenfalls der Einwilligung. Die Anforderungen an die Aufklärung, vor allem die Risikoaufklärung, seien hier noch höher anzusetzen als bei einer Standardbehandlung, so Grimm. Grenze sei in jedem Fall die Sittenwidrigkeit, wobei der potenzielle Nutzen das Risiko deutlich überwiegen muss (Nutzen-Risiko-Abwägung). „Zur ethisch-juristischen Abklärung dieser Prämissen sind derartige Forschungsvorhaben am Menschen daher einer Ethikkommission zur Beurteilung vorzulegen“, rät der Rechtsexperte.

8    Dürfen Humansubstanzen wie Blut, Urin, Gewebe oder Zellen des Patienten zu Forschungszwecken verwendet werden?

Wenn Ärzte etwa Blut, das sie ihren Patienten zu Untersuchungszwecken abgenommen haben, auch für eine medizinische Forschung verwenden wollen, brauchen sie deren Einwilligung nach vorhergehender Aufklärung. Auch wenn die entnommenen Humansubstanzen in eine Biobank für künftige wissenschaftliche Vorhaben einfließen, ist die Zustimmung des Probenspenders einzuholen. „Zustimmungserklärungen sind auch aus datenschutzrechtlicher Hinsicht erforderlich“, gibt Grimm zu bedenken. „Nur, wenn ein Persönlichkeitsbezug gänzlich fehlt, insbesondere bei Anonymisierung der Informationen, ist eine individuelle Zustimmung des Patienten zur Verwendung dieser für die wissenschaftliche Forschung nicht notwendig.“

9    Unter welchen Voraussetzungen ist eine genetische Analyse für wissenschaftliche Zwecke möglich?

Auch hier gilt: Lediglich, wenn genetische Analysen von Anfang an mit anonymisierten Proben durchgeführt werden, müssen die Patienten nicht gefragt werden. Ansonsten braucht es die ausdrückliche und schriftliche Zustimmung des Patienten. „Auch diese Einwilligung kann der Patient jederzeit – ebenfalls schriftlich – wiederrufen“, betont Kletečka-Pulker: „Dann dürfen seine Daten nicht mehr verwendet werden. Die Ergebnisse von genetischen Analysen dürfen grundsätzlich nur so veröffentlicht werden, dass keine Rückschlüsse auf den Patienten möglich sind.“

Buchtipps
Kletečka-Pulker/Leitner/Bachinger: Patient im Recht, Manz Verlag 2015
Aigner/Kletečka-Pulker/Memmer: Handbuch Medizinrecht für die Praxis, Manz Verlag 2016

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune