In Wien regiert das Prinzip Hoffnung

Durch die Wiener SP-Personalrochade sind die Fronten nicht mehr so verhärtet wie am Ende der Ära Wehsely. Stadträtin Sandra Frauenberger streckt die Hand aus, die Ärztekammer ist noch vorsichtig. (Medical Tribune 7/2017)

Die Eiszeit könnte bald vorbei sein – und das nicht nur vor dem Rathaus.
Die Eiszeit könnte bald vorbei sein – und das nicht nur vor dem Rathaus.

Diese Frau liebt offenbar die Herausforderung. Die neue Wiener Gesundheitsstadträtin Sandra Frauenberger kommt durch ihren Amtswechsel vom Regen in die Traufe. Als Stadträtin für Bildung, Integration und Frauen verantwortete sie zuletzt ein Ressort, in dem es in den vergangenen Monaten immer wieder Turbulenzen gab (von der Pleite der Alt Wien-Kindergärten bis zu einer Studie über radikalisierte Jugendliche). Jetzt hat sie als Referentin für Gesundheit, Soziales und Generationen nicht weniger Stress. Im Gegenteil: Frauenberger muss mehrere Großbaustellen bearbeiten, gerade auch im Bereich Gesundheit.

Dort steht der teils umstrittene Ausbau der Primärversorgung am Programm und eine Neuorganisation des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) im Raum. Dessen Management war zuletzt arg unter Druck geraten. Man denke nur an die Gangbettenproblematik, scharfe Kritik vom Rechnungshof sowie zunehmende interne Querelen (MT berichtete).

Sandra Frauenberger Stadträtin für Soziales, Gesundheit und Frauen
Sandra Frauenberger
Stadträtin für Soziales, Gesundheit und Frauen

Die Ärztekammer fordert eine Einbindung in den Reformprozess. Der Obmann der Kurie Angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, Dr. Hermann Leitner, erklärt: „Die Ärzteschaft muss unbedingt eingebunden werden, um die bislang gemachten Fehler wieder in Ordnung zu bringen.“ Würden alle betroffenen Gruppen in das Projekt der KAV-Neuorganisation eingebunden, so gebe es eine „einzigartige Chance, von Beginn an im Wiener Krankenanstaltenverbund alles richtig zu machen“. Frauenberger sollte diesmal „mit und nicht – wie ihre Vorgängerin – gegen Ärzteschaft, Pflege und Patienten arbeiten“, so Leitner.

Die Gesundheitsstadträtin, die ihre neuen Aufgaben mit „Leidenschaft und Enthusiasmus“ angehen will, zeigte sich bislang betont kooperativ: „Die letzten zehn Jahre konnte ich als Personalstadträtin zeigen, dass ich eine Frau des Dialogs und der Kooperation bin. Mein Ziel ist es, wieder verstärkt gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.“ In der Standesvertretung der Ärzteschaft nimmt man solche Signale wohlwollend zur Kenntnis, ist aber noch lange nicht euphorisch. Leitner betont, dass einige Forderungen der angestellten Ärztinnen und Ärzte aus dem vergangenen Ärztestreik „nach wie vor offen“ seien. Daher bleibe auch der Streikbeschluss aufrecht.

Worten müssen Taten folgen

„Den versöhnlichen Worten von Frauenberger müssen rasch Taten folgen“, fordert indes Dr. Johannes Stein­hart, der Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien. Ihm geht es vor allem darum, dass der niedergelassene Bereich ausgebaut wird. Die Bundeshauptstadt brauche dringend eine Stärkung der allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Angebote. „Jetzt ist die Chance zu handeln“, so Steinhart.

Umzusetzende Projekte gebe es genug: Die Ärztekammer hat bereits mit der Stadt Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse das sogenannte „Wiener Modell“ erarbeitet. Dabei soll die medizinzische Versorgung durch flexible Angebote leistungsfähiger und attraktiver werden. Dies wolle man durch neue Primärversorgungsmodelle nach Vorbild des bisher ersten „PHC Medizin Mariahilf“ sowie durch ein neues Pilotprojekt zu Einzelordinationsnetzwerken ermöglichen. Auch die bestehende Struktur der Hausärzte soll gestärkt und attraktiver gestaltet werden.

Zur Akutversorgung an Wochenenden, Feiertagen und in der Nacht müssen nach den Vorstellungen der Ärztekammer Ärztefunkdienst und Wiener Rettung in Zukunft stärker kooperieren. Der Ärztefunkdienst müsse überdies ausgebaut werden. Last but not least will die Kammer auch die kinderärztliche Versorgung optimieren. Dies soll über eine Aufwertung von Ordinationen auf Basis des Gesamtvertrags erfolgen. Fehlende Wochenendzuschläge und bürokratische Hürden (etwa strenge Vertretungsbestimmungen) wären kontraproduktiv. „Hier erwarten wir uns von der neuen Gesundheitsstadträtin eindeutig mehr Druck auf die reformunwillige Sozialversicherung“, macht Steinhart unmissverständlich klar.

Frauenbergers Programm ist zwar noch vage, aber mit den Vorstellungen der Ärzteschaft kompatibel: „Im Gesundheitsbereich gilt es die beste medizinische Versorgung für alle Wienerinnen und Wienern sicherzustellen, egal wie viel sie verdienen, durch ein starkes, öffentliches Gesundheitswesen“, betont die Stadträtin auf ihrer Homepage.

Essenzielle Entscheidung

Bereits bei Bekanntgabe Frauenbergers als Nachfolgerin von Mag. Sonja Wehsely hatte die Kammer in einem kurienübergreifenden Brief an die Stadträtin ein Grundsatzprogramm mit mehreren Standpunkten übermittelt, die aus Sicht der Ärzte für ein funktionierendes Wiener Gesundheitswesen essenziell sind. Die Vertretung der angestellten Ärzte fordert: „Mehr ärztliches Personal und medizinische Apparaturen im Wiener Krankenanstaltenverbund, ein klares Zugeständnis zur Ausbildung sowie ein neuer partizipatorischer Führungsstil im Sinne aller Mitarbeiter.“

In der Diskussion um die Ausgliederung des KAV aus der städtischen Verwaltung müssten alle Vor- und Nachteile, Kosten und rechtliche Konsequenzen berücksichtigt und verschiedene Seiten gehört werden. Die Ärztekammer spricht von einer „essenziellen gesundheitspolitischen Entscheidung für Wien“. Eine Ausgliederung im Dissens mit der Ärzteschaft wäre für den KAV eine schlechte Option. Eine komplette Ausgliederung scheint derzeit ohnehin unwahrscheinlich: Frauenberger hält sich zwar alle Optionen offen und betonte, dass kein Unternehmen erfolgreich sein könne, wenn es nicht für Personal und Finanzen verantwortlich ist. Gleichzeitig sagte sie aber auch, dass der KAV zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt bleiben soll.

Offen ist auch die Zukunft des umstrittenen KAV-Chefs Udo Janßen. Der muss sich Vorwürfen des Missmanagements stellen und ist auch intern umstritten. Vertreter der knapp 30.000 KAV-Mitarbeiter haben Janßen gar die Führungseignung abgesprochen (siehe MT 4/2017). Die Gewerkschaft ist aber auch zu bisherigen Reformversuchen auf Distanz gegangen. Mit der Personalie Frauenberger könnte sich hier etwas bewegen. Schließlich ist die neue Stadträtin seit den 1980er-Jahren Funktionärin der Gewerkschaft.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune