„Abwarten und Tee trinken ist immer das Falsche“

Der Kinderarzt Dr. George Zabaneh erklärt, warum er Kinder über fünf Jahre so bald wie möglich gegen COVID-19 impfen lassen würde und wie das Warten auf die EMA-Zulassung ihn und Kollegen zermürbt.

Cropped image of cute little girl at the doctor pediatrician. Using adhesive plaster.
iStock/Vasyl Dolmatov

Eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 ist so wahrscheinlich wie noch nie zuvor in Österreich. Und zwar besonders für diejenigen, die (noch) nicht geimpft werden können oder wollen. Unter anderem für Kinder unter 12 Jahren.

Dabei dürfte es nur mehr eine Frage von Wochen sein, bis die Europäische Agentur für Arzneimittelsicherheit (EMA) grünes Licht für das Impfen von Kindern ab fünf Jahren gibt. Ihr amerikanisches Gegenüber FDA hat bereits in der letzten Oktoberwoche eine Notfallzulassung für den mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech erteilt; die USA startete daher bereits diese Woche mit Impfungen von Kindern.

„Bei über Fünfjährigen überwiegt der Nutzen das Risiko“

Dr. George Zabaneh, Kinderfacharzt in der Klinik Floridsdorf, stellvertretender Leiter des Impfreferats der Ärztekammer für Wien und Leiter einer Gemeinschaftspraxis in der Seestadt, hat seine achtjährige Tochter schon vor einigen Wochen impfen lassen. „Off-label“, räumt er ein, denn offiziell fehlen noch die Zulassung der EMA und entsprechende Empfehlungen von politischer Seite. „Zu diesem Zeitpunkt stand aber bereits fest, welche Dosis Kinder in diesem Alter erhalten und mit welchem Abstand die zwei Impfdosen verabreicht werden müssen.“ Bei der jetzigen Infektionslage überwiege in der Altersgruppe der fünf bis 18-jährigen der Nutzen das mögliche Risiko. Seine andere Tochter, die jünger als fünf Jahre alt ist, würde Zabaneh zwar gerne impfen lassen. Bei dieser Altersgruppe gebe es jedoch mangels Daten für ihn noch zu viele Unsicherheiten.

Die Verabreichung der Impfung abseits der europäischen Zulassung stellt für ihn kein Problem dar. Off-Label-Impfungen kenne man schließlich auch von anderen Infektionskrankheiten: „Die Masern-Mumps-Röteln-Impfung ist zum Beispiel eigentlich erst ab dem zehnten Lebensmonat zugelassen. Wenn die epidemiologische Lage es erfordert, haben Kinderärzte aber die Möglichkeit, die Impfung off-label Kindern schon ab einem Alter von sechs Monaten zu geben.“ Es gäbe also immer wieder Ausnahmen.

Die lange Wartezeit frustriert viele Kinderärzte

Mittlerweile ist Zabaneh frustriert von der langen Wartezeit auf die EMA-Zulassung. „Es dauert wie immer alles sehr lange.“ Grundsätzlich sei es zwar sinnvoll, dass die EMA in einem Verfahren zur Zulassung eines Arzneimittels für Kinder besonders genau darauf achte, alle Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Die Pandemie spitze sich aber momentan für Kinder zu: „Unter denen, die sich jetzt noch nicht impfen haben lassen, sind erstens die, die nicht wollen, und zweitens die, die es bisher nicht durften. Und das sind die Kinder. Wir haben aber ein Anrecht darauf, unsere Kinder zu schützen, und unsere Kinder haben ein Anrecht darauf, geschützt zu werden.“

Wie brenzlig die Lage ist, sieht Zabaneh täglich im Zuge seiner Krankenhaustätigkeit: „Wenn wir Kinder stationär aufnehmen, machen wir routinemäßig einen Abstrich. Wir sind immer wieder überrascht, wie viele Kinder, die eigentlich wegen einer anderen Indikation aufgenommen werden, einen positiven PCR-Test erhalten. Ich kann mir also vorstellen, dass es derzeit unter den Kindern extrem viele unerkannte Fälle gibt.“

Für Zabaneh ergibt es daher wenig Sinn, mit der Impfung der Über-Fünfjährigen jetzt noch auf die EMA-Zulassung zu warten: „Abwarten und Tee trinken ist immer das Falsche.“ Dass mit der Entscheidung für oder gegen eine Off-Label-Impfung nun die Verantwortung an die Eltern delegiert wird, findet er unfair. Er hoffe, dass die EMA nun so schnell wie möglich Klarheit für die pädiatrischen Impfungen schafft. Wie viele seiner Kollegen denke er sich mittlerweile: „Wir kennen die Daten. Worauf warten wir denn noch?“

Mögliche COVID-Spätfolgen: Die große Unbekannte

Dass aktuell Prominente ohne medizinische Vorbildung mit großer medialer Aufmerksamkeit gegen die pädiatrische COVID-Impfung mobil machen, ärgert Zabaneh. „Wenn Schauspieler sich jetzt hinstellen und behaupten, dass man die Langzeitfolgen der Impfung ja noch nicht kenne, frage ich mich: ‚Ja und was ist mit den Langzeitfolgen von Corona?‘“ Dass Kinder kein hohes Krankheitsrisiko durch eine SARS-CoV-2-Infektion tragen, sei unwahr, so Zabaneh (mehr zum Krankheitsrisiko von Kindern). „Wir sehen derzeit zwar, dass Kinder augenscheinlich weniger schwere Erkrankungsverläufe haben. Diese Beobachtung ist für mich aber auch dadurch limitiert, dass Kinder viel seltener getestet werden als Erwachsene.“

Die größte Unbekannte sei für Zabaneh die mögliche Gefahr von Spätfolgen der Infektion. „Wir haben erst nach langer Zeit herausgefunden, dass eine Varicelleninfektion bei manchen Menschen mit Herpes zoster und Entzündungen im Gehirn zusammenhängen kann. Wer weiß, was mit den ganzen Kindern passiert, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben?“ Welche Konsequenzen die derzeit massiv stattfindende Infektion von Kindern mit SARS-CoV-2 in Zukunft haben wird, sehe man daher möglicherweise erst in vielen Jahren.

Die Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen der Impfung

Eindeutiger sei hingegen für ihn die Sachlage bei möglichen langfristigen Nebenwirkungen der COVID-Impfung: „Obwohl es die Corona-Impfung erst seit zu kurzer Zeit gibt, um das genau zu quantifizieren, kennt man die langfristigen Auswirkungen von Impfungen bereits sehr gut. Fachleute beschreiben, dass Nebenwirkungen üblicherweise über einen Zeitraum von mehreren Monaten nach der Impfung auftreten können, und das extrem selten.“ Der mRNA-Impfstoff würde in den Muskel injiziert und rege den Körper dort zur Produktion von Bestandteilen des Virus an. Danach würde die mRNA schnell wieder abgebaut. Dass dieser Prozess unerwünschte Langzeiteffekte nach sich ziehen könnte, bezweifelt Zabaneh.

Da die Schutzimpfung bei vielen Erwachsenen häufig von starken Impfreaktionen begleitet wird, empfiehlt Zabaneh, Kinder während der ersten drei Tage nach Verabreichung der Impfdosen nicht übermäßig herumtollen zu lassen. Damit lasse sich die Gefahr der seltenen Myokarditis weiter reduzieren. „Kein Fußballmatch zu spielen schadet Kindern aber direkt nach Impfungen sowieso nicht, da diese den Organismus sehr anstrengen und bei Kindern relativ häufig Fieber auftritt.“

Auch das Nationale Impfgremium (NIG) empfiehlt, bei Erschöpfung, Müdigkeit oder Fieber innerhalb von drei Wochen nach der Impfung körperliche Anstrengung und Leistungssport zu vermeiden.

Persönliche Gespräche statt Impfkampagnen

Was die Aufklärung von Eltern in Bezug auf die COVID-Impfung anbelangt, setzt Zabaneh auf die Wirksamkeit ärztlicher Beratung statt auf Information von offizieller Seite. „Viele Eltern haben bei mir für eine Off-Label-Impfung angefragt.“ Mit ihnen habe er lange gesprochen, um ihnen zu ermöglichen, das Für und Wider besser abzuwägen. „Kampagnen helfen sicher immer, aber es ist die Aufgabe aller Kinderärzte, sich für die Fragen von Eltern Zeit zu nehmen.“

Davor, dass er aufgrund dieses Artikels wie viele andere Kinderärzte, die sich für die COVID-Impfung bei Kindern eingesetzt haben, angefeindet werden könnte, habe Zabaneh keine Angst. „Auf meiner Website steht, dass ich alle Kinder so wie mein eigenes behandle. Und ich bin überzeugt, dass das für uns die beste Lösung war.“

Hinweis: Die Stadt Wien impft in Kürze Kinder von 5 bis 18 Jahren in den Wiener Impfstraßen. Mehr Infos in Kürze hier