28. Nov. 2019Immuntherapie

Nebenwirkungen frühzeitig erkennen und behandeln

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Dermatologen haben die längste Erfahrung mit Checkpoint-Inhibitoren und damit auch großes Wissen im Neben­wirkungsmanagement dieser Substanzen entwickelt. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe von inzwischen bekannten autoimmunologischen Nebenwirkungen, die gut therapiert werden können, allerdings können auch sehr seltene Autoimmun-Phänomene auftreten, die mit einer hohen Mortalitätsrate einhergehen. (CliniCum derma 4/19)

„Alle autoimmunologischen Phänomene, von denen wir im Studium gehört haben, können sich bei der Immuntherapie entwickeln, allerdings in unterschiedlicher Häufigkeit in den unterschiedlichen Krankheitsentitäten. Oft stehen beim Melanom andere autoimmunologische Phänomene im Vordergrund als beim Lungenkarzinom oder bei anderen Tumoren. Es ist essenziell, die Tumorentität zu kennen“, betont Univ.-Prof. Dr. Erika Richtig von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Graz. Jedes Organ kann von autoimmunologischen Nebenwirkungen betroffen sein. Am häufigsten sind es dermatologische, gastrointestinale, pulmonologische, hepatische, neurologische und endokrine Nebenwirkungen, aber auch Myocarditis, Uveitis, Vitiligo, Glomerulonephritis, Sarkoidose und Encephalitis gehören zum Bild und mit zunehmendem Wissen kommen laufend neue Nebenwirkungen dazu.

Müdigkeit als klinisches Zeichen der Hypophysitis

Geradezu klassisch ist es, wenn nach der zweiten Ipilimumab-Gabe ein Exanthem auftritt und nach der dritten eine Diarrhoe oder Colitis, diese bilden sich unter Therapie auch wieder zurück. Viel gravierender ist die ebenfalls häufig auftretende Hypophysitis, die persistieren kann. „Hier ist es wichtig, die Patienten vorab ausführlich darüber aufzuklären, dass sie möglicherweise ein Leben lang eine Hormonersatztherapie durchführen müssen. Gerade im adjuvanten Bereich ist das wesentlich, weil hier möglicherweise die Hormonachse gesunder Menschen dauerhaft geschädigt wird. Ebenso ist zu bedenken, dass bei Patienten, die bereits nach drei oder vier Monaten progredient sind, die Nebenwirkungen der vorab eingeleiteten Immuntherapien erst viel später auftreten können.

Daher ist eine Fatigue nicht immer unbedingt der aktuell durchgeführten Chemotherapie zuzuordnen, sondern kann sehr wohl das erste Anzeichen für eine spät aufgetretene Hypophysitis sein“, erläutert die Medizinerin. Bei endokrinen Nebenwirkungen betreffend die Hypophyse steht klinisch meist die Müdigkeit im Vordergrund, manchmal können auch Elektrolytveränderungen, sehr niedrige Natriumchlorid-Spiegel, Sehstörungen oder Kopfschmerzen auftreten. In Zusammenarbeit mit den Endokrinologen wird die entsprechende Substitution eingeleitet. „Im Zusammenhang mit dem Thema der Hypophysitis ist uns aufgefallen, dass viel häufiger primär eine interkurrente Hyperthyreose auftritt, die erst nach einigen Wochen in eine Hypothyreose kippt“, so Richtig.

Lokale Kortikosteroide können ohne Weiteres eingesetzt werden

Nicht nur bei Studienpatienten, sondern bei allen Patienten, die mit Immuntherapien behandelt werden, ist es sehr wichtig, immer den Grad der Nebenwirkung in der Krankheitskurve anzugeben. „Das hilft nicht nur dem Wochenenddienst in der Beurteilung, wie schwerwiegend eine Veränderung ist.“ Gerade in der Dermatologie ist es wichtig, etwas differenzierter vorzugehen. „Wenn als Nebenwirkung nur ‚Haut‘ oder ‚Rash‘ steht, könnte ich oft verzweifeln“, sagt Richtig. „Für uns macht es einen Unterschied, ob wir eine bläschenbildende oder eine akneiforme Dermatose haben, das hat eine unmittelbare therapeutische Konsequenz. Patienten sind oft beunruhigt, wenn solche Hautzeichen auftreten, aber wir freuen uns über einen solchen Ausschlag, deutet er doch auf eine Reaktion des Immunsystems hin.

In der Therapie derselben sind wir oft sehr zurückhaltend, aber lokale Kortikosteroide können ohne Weiteres verabreicht werden. Ob der Patient vielleicht nur mit einer lokalen Pflege auskommt, ist aber auch eine Erfahrungssache.“  Vitiligo ist ebenfalls ein Zeichen für ein aktives Immunsystem und kann bei der Entscheidungsfindung im Tumorboard helfen, ob eine Progression oder Pseudoprogression vorliegt. Bei massiven Exanthemen (Grad 3 oder 4) sollte die Therapie pausiert werden, wobei z.B. beim Stevens-Johnson-Syndrom systemische Steroide einzusetzen sind. Auch meist diffuser Haarausfall kann ein Thema sein, wobei es hier – gerade bei Frauen – wichtig ist, eine Schilddrüsenunterfunktion als mögliche Ursache auszuschließen.

Während immunvermittelte Pneumonitiden unter CTLA-4-Antikörpern eher selten sind, nehmen diese unter PD-1-Medikation deutlich zu. Beginnende Atembeschwerden und Husten können sich von leichten Symptomen innerhalb von kürzester Zeit zu schweren respiratorischen Insuffizienzen verschlechtern. Nach intravenöser Steroidgabe tritt meist eine deutliche Besserung ein. „Wir müssen uns auch dessen bewusst sein, dass ein Patient, der eine Nebenwirkung hat, auch mehrere weitere haben kann“, betont Richtig. „Man freut sich, dass die Sauerstoff-Sättigung des Patienten besser wird, und übersieht dabei vielleicht, dass er im Hintergrund Durchfälle entwickelt, die mit dem Ausschleichen des Kortisons immer stärker werden.“

Hepatische und renale Nebenwirkungen

Immunvermittelte Lebertoxizität zeigt sich vor allem in der Veränderung der Laborwerte, allerdings können sich eine Progression oder Infektion ähnlich manifestieren. In Zusammenarbeit mit den Hepatologen werden autoimmune Antikörper bestimmt, um anschließend entsprechend der Leitlinien vorzugehen. Gastrointestinale Nebenwirkungen präsentieren sich oft mit weichem, dünnem oder wässrigem Stuhl samt Einblutungen und Rötungen der Darmschleimhaut, diese können meist mit einer kurzen Hochdosis-Steroidtherapie erfolgreich behandelt werden; sollte damit nicht das Auslangen gefunden werden, besteht die Möglichkeit von Infliximab-Gaben.

Renale Nebenwirkungen sind bei Melanom-Patienten eher sehr selten und meist asymptomatisch. „Hier treten manchmal unter Einfluss der PD-1-Antikörper-Infusionen Schmerzen im Nierenlager auf, die mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr und verlängerter Verabreichungsdauer gemeinsam mit unseren Nephrologen gehandhabt werden. Deswegen mussten wir noch nie eine Therapie absetzen“, erzählt die Expertin.  Sehr selten können Infusionsreaktionen auftreten. Einige Fälle gab es im Zusammenhang mit der Verabreichung von Avelumab, hier wird empfohlen, die ersten vier Gaben unter Observanz durchzuführen.

Nebenwirkungen gemeinsam mit der Pflege therapieren

Eine große Herausforderung im Zuge der Immuntherapie stellen die Neuropathien dar. Hier können Steroidtherapien – gerade in der Frühphase – zu einem erstaunlich guten Ansprechen führen. Bei einer Immunencephalitis ist es entscheidend, sie rechtzeitig zu erkennen und alle Differenzialdiagnosen gemeinsam mit dem Neurologen auszuschließen. „Es ist wichtig, sich ein gutes Umfeld von Experten zu schaffen, diese Probleme sind nur interprofessionell zu lösen“, sagt Richtig. Genauso wichtig ist es, die Pflege in die Therapie einzubinden.

Hier hat die Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie am LKH Graz ein Vorzeigeprojekt entwickelt, das der Patientenedukation und der rechtzeitigen Wahrnehmung von Nebenwirkungen dient. Mit intensiven Patientengesprächen und einem onkologischen Fragebogen wird für den ambulanten und stationären Bereich eine Pflegediagnose erstellt, die in die Fallkonferenzen einfließt. „Seitens der Pflege sprechen wir die ambulanten Patienten bewusst an, wie es ihnen nach der Therapie zu Hause ergangen ist und gehen auf Nebenwirkungen ein, denn oft ist es so, dass der Patient plötzlich vor dem Arzt keinerlei Nebenwirkung mehr hat. Das macht einen großen Unterschied. Oft waren die Patienten in der Zwischenzeit auch bei ihrem niedergelassenen Arzt und haben vielleicht ein neues Medikament verschrieben bekommen, das sich mit der Immuntherapie nicht vertragen würde. Die Pflege liefert dem Arzt damit Informationen, die er vorher nicht hatte“, resümiert der Dipl. Gesundheits- und Krankenpfleger Kevin Haring-Sedler von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in Graz.

Wir kommunizieren dem Patienten aber auch klar, dass wir das, was er uns erzählt hat, mit dem Arzt besprechen, und wir begleiten den Patienten zum behandelnden Arzt und geben ihm das Gefühl einen Unterstützer zu haben. Mit diesem Projekt hat sich die Patientenzufriedenheit auf unserer Abteilung massiv erhöht.“  „Nebenwirkungen müssen immer gemeinsam mit der Pflege therapiert werden“, fasst Richtig zusammen. „Ohne ein gutes Team im Haus ist es unmöglich, Patienten mit dieser Immuntherapie gut zu führen. Gerade der Pflege kommt hier eine wichtige Aufgabe zu, diese Mitarbeiter plaudern mit dem Patienten und erfahren Dinge, die dieser dem Arzt nie erzählen würde. Für uns ist es wichtig, eine Nebenwirkung frühzeitig zu erkennen, aber der Patient möchte das vielleicht nicht sagen, weil er Angst hat, dass dadurch die Therapie nicht weitergeführt werden könnte.“

Immunonkologie Update 2019, Gesellschaft der Ärzte, Wien, 14.5.19

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma