Gesunde Darmflora für die Bauch-OP

Überall da, wo Gewebe durchtrennt wird, erfolgt ein Heilungsprozess, der nicht selten durch Infektionen kompromittiert wird.

Bei größeren Operationen im Bauchraum macht die vorherige Optimierung der Darmflora Sinn. Warum das so ist, erklärt der Chirurg Univ.-Prof. Dr. Peter Schemmer im MT-Interview. (Medical Tribune 47/19)

Postoperative Infektionen können langwierig und mitunter lebensbedrohlich sein. Wer ist gefährdet und welche Operationen stellen ein besonders großes Risiko dar?

Schemmer: Gefährdet ist jeder Patient, der operiert wird. Schwerwiegende Infektionen treten meist als Komplikation von großen Operationen – sprich Operationen an Ösophagus, Magen, Dick- und Dünndarm, Leber und Pankreas – auf.

Um welche Art von Infektionen handelt es sich?

Schemmer: Einerseits gibt es Infektionen, die im Bereich des chirurgischen Wirkens entstehen. Diese nennt man surgical site infections (SSIs). Überall da, wo Gewebe durchtrennt wird, erfolgt ein Heilungsprozess, der nicht selten durch Infektionen kompromittiert wird. Schneidet man zum Beispiel ein Teilstück des Darms heraus, kann eine Infektion dazu führen, dass die Nahtverbindung nicht hält. Nach Operationen im Bauchraum treten aber auch vermehrt Harnwegsinfekte und Pneumonien auf.

Ich nehme an, dass es auch zu systemischen Infektionen im Sinne einer Sepsis kommen kann?

Schemmer: Vollkommen richtig! Leider kommt es immer häufiger zu generalisierten Entzündungen, die mehrere Organe betreffen und schlussendlich in einer Sepsis enden.

Wie hängen postoperative Infektionen mit dem Mikrobiom zusammen?

„Die Prophylaxe kostet ungleich weniger als die Komplikation.“
Univ.-Prof. Dr. Peter Schemmer

Schemmer: Vor allem durch einseitige Ernährung, aber auch durch Stress und andere Faktoren, nimmt die Diversität der Bakterien in unserem Darm ab. Die guten Bakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien, die für eine intakte Darmbarriere sorgen, werden weniger. Die „bösen“ Bakterien wie etwa Enterobacter, Citrobacter, Salmonella, Proteus, Klebsiella, Morganella etc. setzen sich durch. Bei der Entfernung eines Stück Darms kommt es einerseits zu einer unvermeidbaren Kontamination des lokalen Umfelds. Andererseits bewirkt die Darmmanipulation bei Baucheingriffen eine Störung der Mikrozirkulation, was eine Schrankenstörung zur Folge hat.

Die in der Zellwand von einigen Bakterien lokalisierten Lipopolysaccharide (LPS) gelangen so in den Blutkreislauf und kompromittieren auf direktem Wege das Immunsystem. Durch Entzündungsreaktionen wird die Biosynthese der Leber verringert, was zusätzlich zur Beeinträchtigung von Heilungsprozessen führt. LPS, die in die Lunge gelangen, bewirken dort ebenfalls eine Aktivierung von Entzündungszellen und folglich eine Lungenentzündung. Darüber hinaus bekommen viele Patienten, die operiert werden, magenschützende Medikamente und eine Antibiotikaprophylaxe. Beides wirkt sich negativ auf die Darmflora aus. Ähnliches gilt für die bei Operationen am Enddarm übliche Darmspülung.

Macht die „Sanierung“ des Mikrobioms vor einem Risikoeingriff oder bei Risikopatienten Sinn?

Schemmer: Sanierung im Sinne einer dauerhaften Heilung ist natürlich nicht möglich. Ich würde eher von einer Optimierung des Mikrobioms sprechen. Hier an unserer Abteilung ist die Gabe von Pro- bzw. Synbiotika vor großen Eingriffen im Bauchraum tatsächlich Standard. Dabei geht es u.a. auch um finanzielle Aspekte. Wenn ich eine Kosten-Nutzen-Rechnung mache, dann liege ich im grünen Bereich für die Prophylaxe. Die Prophylaxe kostet ungleich weniger als die Komplikation.

Wie sieht es mit der Evidenz aus?

Schemmer: Der Evidenzgrad für die Gabe von Pro- und Synbiotika ist – zumindest bei der kolorektalen Chirurgie – Ia. Das heißt, es liegen mehrere randomisierte, kontrollierte Studien vor, die einen signifikanten Unterschied zwischen Placebo-Arm und Verum-Arm belegen. Das ist beachtlich. Und das Nebenwirkungsspektrum ist äußerst gering.

Sie transplantieren auch Organe. Gibt es dazu Studien?

Schemmer: Zu diesem Thema gibt es noch nicht sehr viel. Aber die Studien, die es gibt, etwa bei der Lebertransplantation, zeigen ganz klar weniger bzw. weniger schwere SSIs. Man kann sich vorstellen, dass so ein Abszess im Bauchraum eines Patienten, der Immunsuppression bekommt, nur sehr schwer behandelt werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass diese tiefen Infektionen sehr stark mit dem Patientenüberleben korrelieren, wird schnell klar, dass die „adjuvante“ Pro- bzw. Synbiotika-Gabe auch hier Sinn macht.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Peter Schemmer, MBA, FACS, wurde 2016 als Professor an die Medizinische Universität Graz berufen und leitet die Klinische Abteilung für Transplantationschirurgie sowie den Fachbereich für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am LKH-Univ. Klinikum Graz.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune