Schmerzen lindern bei den Schwächsten der Gesellschaft

Von kranken Säuglingen bis zu Demenzpatienten: Bei Patienten, die nur schlecht ausdrücken können, wenn sie unter Schmerzen leiden, werden diese oft übersehen und bleiben unzureichend behandelt. Anlässlich des Auftakts zu den 18. Österreichischen Schmerzwochen am 22. Jänner stellt die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) diese Patienten heuer in den Fokus. Auf der Auftaktveranstaltung haben wir mit drei Experten über ihre Erfahrungen und die Ziele der diesjährigen Schmerzwochen gesprochen.

Zu den vulnerablen Patientengruppen gehören neben kranken Säuglingen, Kleinkindern und Demenzkranken auch pflegebedürftige und körperlich behinderte Menschen. „Diese Menschen sind einem hohen Risiko ausgesetzt, dass ihre Schmerzen nicht erkannt und angemessen therapiert werden“, so ÖSG-Präsidentin OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer, Leiterin der Schmerzambulanz, Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin, Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien. „Ebenso zählen Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund der nicht selten erlittenen psychischen und physischen Traumatisierung sowie kultureller und sprachlicher Barrieren zu den vulnerablen Personen. Sie entwickeln oft eine komplexe Schmerzsymptomatik als Reaktion auf ihre Erlebnisse“, so Grögl-Aringer.

Konsensuspapier zu Schmerzen während der Schwangerschaft und Stillzeit in Arbeit

Auch die Behandlung von Schmerzen bei Frauen während der Schwangerschaft, der Geburtsperiode und der Stillzeit ist oftmals mit Unsicherheit und Ängsten bezüglich einer möglichen Schädigung des Ungeborenen, Neugeborenen und des Säuglings verbunden, und sie sind in diesem Fall als vulnerabel anzusehen. Das neue Konsensuspapier soll diese Unsicherheiten bei Frauen und niedergelassenen Ärzten beseitigen. Die Fertigstellung ist für Sommer dieses Jahres geplant. „Es liegt zwar auf der Hand, dass die genannten Patientengruppen besonderes Augenmerk verdienen. Dennoch fehlt es vielfach am nötigen Bewusstsein, an Zeit, Wissen und ganz speziellen Angeboten. Doch jede und jeder hat ein Recht auf bestmögliche schmerzmedizinische Versorgung. Dafür möchten wir im Rahmen der Schmerzwochen sensibilisieren“, so die ÖSG-Präsidentin weiter.

Ausbildungs- und Versorgungssituation in Österreich

Keine Verbesserung gab es laut Grögl-Aringer in den letzten Jahren betreffend der Versorgungssituation in Österreich. Im internationalen Vergleich mangelt es massiv an spezialisierten Versorgungsstrukturen. Gemäß Gesundheitsbefragungen und internationalen Datenerhebungen ist in Österreich von etwa 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen auszugehen. Etwa 350.000 von ihnen leiden an einer schweren Schmerzerkrankung mit massiver Chronifizierung. „Für diese große Menge an Patienten fehlt es an Schmerzambulanzen. In den vergangenen Jahren wurden in Österreich mehr als zehn Ambulanzen geschlossen, meist aus Personalmangel“, so Grögl-Aringer.

Insbesondere fehlt es auch an Zentren, die eine multimodale Schmerztherapie nach internationalen Standards anbieten können. In diesen werden medikamentöse, nicht medikamentöse, edukative und psychologisch-psychotherapeutische Therapieverfahren miteinander kombiniert. „Dieser Zugang ist aufgrund seiner nachweislichen Wirksamkeit international vielerorts schon Standard, in Österreich gibt es leider nach wie vor nur ein solches Zentrum am Klinikum Klagenfurt. Für Wien wurde nach der Präsentation des ersten Wiener Schmerzberichtes vom Gesundheitsstadtrat im Oktober 2018 eine Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgung angekündigt.“ Die Aufgabe der Politik sei es nun, auch hierzulande endlich die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Schmerzversorgung zu verbessern, so Grögl-Aringer.

Warum Menschen mit Migrationshintergrund besonders oft an chronischen Beschwerden leiden

OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA, Past President der ÖSG, Wilhelminenspital Wien, Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, sprach auf der Auftaktveranstaltung über die Herausforderungen bei der Schmerzbehandlung von Menschen mit Migrationshintergrund. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und eine belastende sozioökonomische Gesamtsituation führen dazu, dass Migrantinnen und Migranten, die unter schwierigen Bedingungen ein Leben in der Fremde beginnen, besonders anfällig für Schmerzen sind. „Generell sind Schmerzpatienten unterversorgt, aber besonders vulnerable Gruppen leiden noch mehr unter dieser Unterversorgung. Es bedarf daher besserer Strukturen und besserer Zusammenarbeit“, fordert der Experte. Nicht zuletzt brauche es ein gesellschaftliches Klima und Rahmenbedingungen, die die Integration und Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Migrationshintergrund begünstigen, so Jaksch am Ende seines Statements.

Schmerzen bleiben bei Demenzkranken noch zu oft unbehandelt

Einige klinische Studien der letzten Jahre zeigten, dass viele Demenzpatienten keine adäquate Schmerztherapie erhalten. Bei Demenz bleibt die Schmerzmessung eine diagnostische Herausforderung. „Schulungen zum Schmerzmanagement bei Demenzpatienten in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen wären wünschenswert“, sagt ÖSG-Vizepräsident Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Leiter der Abteilung für Neurologie am Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck.

„Bis zu 50 Prozent der älteren Menschen dürften unter Schmerz und Demenz gleichzeitig leiden. Trotzdem erhalten sie bei vergleichbaren schmerzhaften Krankheitsbildern deutlich weniger Analgetika als Patienten ohne kognitive Einschränkungen“, so Mitrovic weiter. „Wir von der Österreichischen Schmerzgesellschaft fordern eine verpflichtende Umsetzung eines adäquaten Schmerzmanagements bei demenzkranken Patienten und dies möglichst flächendeckend in ganz Österreich.“

Was sagen die Experten?

OÄ Dr. Gabriele Grögl-Aringer erklärt, dass die Versorgungsstrukturen in Österreich für Schmerzpatienten nicht den internationalen Standards entsprechen, was in Belgien besser gemacht wird und warum das Fach Schmerzmedizin ins Medizinstudium integriert werden sollte. Zudem spricht sie von dem derzeit bearbeiteten Konsensuspapier für die Behandlung von Schmerzen bei Frauen während der Schwangerschaft, Geburtsperiode und Stillzeit. Die Fertigstellung ist für Sommer 2019 geplant.

Auch OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA, findet, dass eine Unterstützung vonseiten der Gesundheitspolitik notwendig ist, um Strukturen für chronische Schmerzpatienten zu schaffen. Er erklärt, welche Patienten in die Gruppe der vulnerablen Personen fallen, und fordert klare Therapieempfehlungen für diese Patienten, zu denen auch Suchtpatienten und Migranten gehören.

Und Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic erklärt, dass Schmerzen bei älteren Patienten mit Demenz oft nicht erkannt werden, und nennt Maßnahmen, die bei der Erkennung von Schmerzen helfen, um im Anschluss adäquat therapieren zu können.

Informationsmaterial und interaktives Webinar für Patienten und Angehörige

Erstmals wird ein Webinar von der ÖSG veranstaltet, bei dem die wichtigsten Möglichkeiten der Therapie bei chronischen Schmerzen generell, bei Schmerzen des Bewegungsapparates und bei Kopfschmerzen erörtert werden. Anschließend stehen die Experten für Fragen zur Verfügung. Das Webinar findet am 7. Februar 2019 um 16 Uhr statt.