Gesundheitspolitik am Scheideweg

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AUSBLICK – 2017 stehen zahlreiche Reformen und Pilotprojekte an, sodass manch ein Akteur von einem gesundheitspolitischen Schlüsseljahr spricht. Wir haben Entscheidungsträger aus verschiedenen Bereichen um einen Ausblick gebeten. (Pharmaceutical Tribune 1/2017)

 

Mag. Max Wellan, Apothekerkammer-Präsident

„Die Apotheke als Gesundheitsdrehscheibe muss gestärkt werden, weil die Patienten einen direkten Ansprechpartner brauchen.“
„Die Apotheke als Gesundheitsdrehscheibe muss gestärkt werden, weil die Patienten einen direkten Ansprechpartner brauchen.“

Für Apothekerkammer-Chef Mag. Max Wellan war die schwierigste Herausforderung des Vorjahres, „nach den erneuten Angriffen“ durch den EuGH (zur Bedarfsprüfung, Anm.), das „stabile und leistungsfähige österreichische Apothekensystem zu erhalten“. Er bekräftigt dazu: „Durch die Novelle zum Apothekengesetz und das umfangreiche Maßnahmenbündel der Apothekerkammer wurde rasch wieder Rechtssicherheit hergestellt.“ Wellan räumt aber ein, die Etablierung des genauen Prozedere des Konzessionsverfahrens werde die Apothekerkammer noch 2017 „begleiten“. Gesundheitspolitisch gebe es 2017 v.a. zwei Baustellen: Erstens die zunehmende Multimorbidität und Betreuung der immer älter werdenden Gesellschaft. Die Apotheke als „Gesundheitsdrehscheibe“ müsse gestärkt werden, „weil die Patienten einen direkten Ansprechpartner und Begleiter brauchen“.

Zudem gelte es, das Medikationsmanagement zur besseren Therapietreue flächendeckend zu etablieren. Zweitens: „Die oftmals versprochene Stärkung des niedergelassenen Bereichs und die entsprechende Verlagerung aus dem teuren Spital in die Betreuung vor Ort muss 2017 endlich Schwung aufnehmen“, spricht Wellan die schleppend vorangehende Gesundheitsreform an. Konkret gehe es um die Umsetzung der Primärversorgung „mit entsprechender Einbindung der Leistungen der Apotheker“ und den Start der E-Medikation – „die Apotheken sind bereit“.

Dr. Artur Wechselberger, Ärztekammer-Präsident

„Der Arztberuf sowie sein Arbeitsplatz müssen wieder attraktiver werden.“
„Der Arztberuf sowie sein Arbeitsplatz müssen wieder attraktiver werden.“

Die Ärztekammer (ÖÄK) blickt auf ein turbulentes Jahr zurück: Die Querelen rund um die geplante Gesundheitsreform gipfelten im Dezember in einem aufsehenerregenden Streik, im Zuge dessen Ordinationen von Hausärzten in Wien, Kärnten und Burgenland geschlossen blieben. Die Kammer fühlte sich vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen und fürchtet, dass geplante Primärversorgungseinheiten (PVE) das System der wohnortnahen Versorgung durch Hausärzte aushebeln könnten. Inzwischen ist wieder Hoffnung aufgekeimt.

„Die Frau Gesundheitsministerin hat uns Gespräche zugesichert“, zeigt sich der ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger, durchaus zuversichtlich. Gleichwohl will Wechselberger weitere Protestmaßnahmen für den Fall der Fälle nicht ausschließen. Er spricht sich klar gegen ein zentralistisch gesteuertes Einheitsmodell für PVE aus. Dabei gehe es nicht nur ums Geld. „Der Beruf, der Arbeitsplatz muss wieder attraktiver werden“, so der oberste Ärzte-Vertreter. Im niedergelassenen Bereich wiederum müssen Anreize geschaffen werden, um Ärzte zu motivieren, Kassenstellen anzunehmen und nicht Wahlarzt zu werden. Eines sei klar: Österreich stehe vor wichtigen gesundheitspolitischen Weichenstellungen.

Dr. Sabine Oberhauser, Gesundheitsministerin

„Wir hoffen, unsere Vorhaben für 2017 in einem konstruktiven und sachlichen Klima umsetzen zu können.“
„Wir hoffen, unsere Vorhaben für 2017 in einem konstruktiven und sachlichen Klima umsetzen zu können.“

Im Gesundheitsministerium hat man ein arbeitsreiches Jahr vor sich: „2017 wollen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um die wohnortnahe Primärversorgung durch Vernetzung und Zusammenarbeit zu stärken“, sagt Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser. Dabei gehe es u.a. um die nachhaltige Absicherung der wohnortnahen Gesundheitsversorgung. Mit dem Finanzausgleich sei die Finanzierung des Gesundheitswesens langfristig gesichert. Die Gesundheitsausgaben würden weiterhin jährlich steigen. „Wir wollen im laufenden Jahr auch eine telefonische Gesundheitsberatung in den Pilotbetrieb bringen. Denn oft weiß man nicht, an wen man sich mit einem akuten gesundheitlichen Problem wenden soll: zum Hausarzt oder zur Fachärztin, in die Ambulanz oder gleich die Rettung rufen?“ Das telefon- und webbasierte Erstkontakt- und Beratungsservice – kurz TEWEB – soll in Zukunft helfen, rasch Antworten zu bekommen. Das Pilotprojekt dazu startet im Frühjahr 2017 in Wien, NÖ und Vorarlberg. Im Bereich eHealth wird insbesondere ELGA weiter ausgebaut. „Und wir sorgen für Datensicherheit, denn Ihre Daten gehören nur Ihnen“, verspricht die Ministerin. Die Behandlungsqualität würde steigen und die Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen oder Wechselwirkungen sinken. Oberhauser hofft, diese großen Bausteine aus einer Vielzahl von Vorhaben „in einem konstruktiven und sachlichen Klima“ umsetzen zu können.

Mag. Ulrike Rabmer-Koller, Präsidentin des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger

„Neben unseren Leuchtturmprojekten müssen wir 2017 die langfristige finanzielle Absicherung der Gesundheitsversorgung angehen. “
„Neben unseren Leuchtturmprojekten müssen wir 2017 die langfristige finanzielle Absicherung der Gesundheitsversorgung angehen. “

Sie stehe „hundertprozentig“ hinter den neuen Leistungen der Gesundheitsreform, „deren Leuchtturmprojekte wir nach und nach mit Leben füllen“, sagt Mag. Ulrike Rabmer-Koller, Vorstandsvorsitzende im Hauptverband (HV). Dazu zählt die Realisierung der neuen Primärversorgung, die telefon- und webbasierte Erstinformation (s.a. BM Oberhauser), die E-Medikation und ELGA. „Ich hoffe, dass wir 2017 auch die Ärztekammer überzeugen können“, v.a. von der E-Medikation, die für mehr Therapiesicherheit und Komfort sorgen werde. Was heuer neben der E-Medikation noch zu erledigen ist: Es brauche endlich Klarheit über die künftige Struktur der Sozialversicherungslandschaft.

„Wir haben leider bisher schon viel zu viel Zeit verloren“, meint Rabmer-Koller in Richtung Sozialminister Alois Stöger (SP). Dieser hatte die von SP-Bundeskanzler Christian Kern bereits im Mai 2016 angekündigte Effizienzstudie mit dem Ziel, die derzeit 22 SV-Träger zu reduzieren, erst gegen Jahreswechsel beauftragt. Anzugehen sei auch die langfristige finanzielle Absicherung der Gesundheitsversorgung, „eine zentrale Verantwortung“ aller Finanziers. Und: Der HV habe ungeachtet der Kassenstruktur-Diskussion einen „breiten“ Effizienzprozess gestartet. Ziel sei es, dass die Sozialversicherungen aus eigener Kraft positiv wirtschaften können.

Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig

„Die Apothekerschaft braucht größere Akzeptanz in Politik und Gesundheitswesen und sollte dafür zukunftsträchtige Modelle erarbeiten.“
„Die Apothekerschaft braucht größere Akzeptanz in Politik und Gesundheitswesen und sollte dafür zukunftsträchtige Modelle erarbeiten.“

Die Industrie ist auch heuer mit der EU-Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie beschäftigt. „Jedes Medikament muss Anfang 2019 eine eigene Serialisierungsnummer haben, die bei der Abgabe, also beim Apotheker oder im Krankenhaus, aus einer Datenbank ausgebucht werden muss“, erklärt Pharmig- Generalsekretär Dr. Jan Oliver Huber. Den Datenspeicher müsse die Industrie errichten und den laufenden Betrieb finanzieren. Zum Rahmen-Pharmavertrag 2016–2018 mit dem Hauptverband erinnert Huber: „Dieses Jahr zahlen wir 125 Mio. Euro an Solidarbeiträgen an die Krankenkassen.“ Das Wachstum der Arzneimittelausgaben in Österreich werde für die Kassen aber unter drei Prozent zu liegen kommen.

„Wenn man annimmt, dass zirka 25 Millionen Euro einen Prozentpunkt darstellen, dann kommen wir mit diesen 125 Mio. so gut wie allein für den Gebarungsüberschuss der Kassen auf“, rechnet Huber vor. Das derzeitige Apothekensystem lobt er in den höchsten Tönen. „Wir haben eine sehr gute flächendeckende Versorgung.“ Auch die Wertschöpfungskette Industrie – Großhandel – Apotheke funktioniere „ausgezeichnet“, die Liefersicherheit betrage über 99 Prozent. Huber sieht daher die „Apotheke der Zukunft“ im wohnortnahen Bereich. Allerdings glaubt er, dass sich die Apothekerschaft über eine größere Akzeptanz in Politik und Gesundheitswesen Gedanken machen und auch von sich aus zukunftsträchtige Modelle erarbeiten solle: „Da muss man vielleicht nicht immer defensiv agieren, etwa wenn wieder ein EuGH-Urteil da ist.“