Ärztekammer zieht Bilanz: 200 Kassenstellen unbesetzt, teils helfen Spitalsärzte aus
Die Pandemiebilanz der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) fiel durchwachsen aus: Vorerst bedankte man sich bei den über 200.000 Angehörigen der Gesundheitsberufe im Kampf gegen COVID-19, anschließend warnte man vor Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem. Kritisch sieht die ÖÄK etwa die geplante Übertragung der Ärzteausbildung an die Länder oder dass Spitalsärzte als Lückenbüßer für verwaiste Kassenstellen einspringen müssen. Schon jetzt sind einer internen Abfrage zufolge 200 Kassenstellen unbesetzt. Zum Vergleich: Im Jänner 2020 waren es 157, ein Jahr davor 129. Die ÖÄK plädiert für mehr Investitionen in den Gesundheitsbereich – ein Vorschlag, dem sich die Ärztekammer für OÖ anschließt.

Eine Inseratenserie in allen großen österreichischen Tageszeitungen soll den Dank auch öffentlich ausdrücken. „Ohne den persönlichen Einsatz der über 200.000 top ausgebildeten Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, hätte es Österreich nicht so gut durch diese Krise geschafft“, zollt ÖÄK-Präsident a.o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres (im Bild hinten li.) in einer virtuellen Pressekonferenz am 26.05.2021 allen Angehörigen der Gesundheitsberufe Respekt. Sie hätten seit über einem Jahr „Übermenschliches“ geleistet.
„Gestärkte Prävention“ zahle sich doppelt aus
Die Pandemie habe gezeigt, was gut funktioniert habe, aber es brauche „dringend Verbesserungen im Gesundheitssystem“ – entscheidend dafür ist, laut Szekeres, ein „Umdenken“. Keinesfalls dürfe im Gesundheitsbereich eingespart werden: „Hier brauchen wir eine Politik, die über den Tellerrand hinausblickt und im Sinne der kommenden Generationen handelt“, erklärt der ÖÄK-Präsident, der auch der Ärztekammer für Wien vorsteht. Konkret nennt er Investitionen, die sich durch die „gestärkte Prävention“ doppelt auszahlen: „Denn der Gesundheitsbereich ist der Bereich, wo sich Investitionen durch die Milliarden an einsparbaren Folgekosten bezahlt machen.“
Steinhart: „Katastrophale Situation“ im kassenärztlichen Bereich
Gerade im kassenärztlichen Bereich drohe bald eine „katastrophale Situation“, betont ÖÄK-Vizepräsident Dr. Johannes Steinhart (im Bild vorne re.), Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Zum Ende des vergangenen Quartals gab es einer internen Abfrage zufolge österreichweit 200 unbesetzte Kassenstellen, davon 121 für Allgemeinmedizin und 79 unbesetzte Facharzt-Kassenstellen. Dabei stellen laut Steinhart, selbst Facharzt für Urologie in Wien, die Kinderheilkunde mit 39 und die Frauenheilkunde 16 unbesetzten Kassenstellen „besonders dramatische Problemfelder“ dar.
Wie dramatisch der Anstieg der verwaisten Kassenstellen tatsächlich ist, zeigt ein Blick ins Redaktionsarchiv: Im Jänner 2020 (Ende Dezember 2019) waren bereits 157 von den Kassen ausgeschriebene Stellen nicht besetzt, davon 95 Stellen für Allgemeinmedizin (+ 40 Prozent vs. Anfang 2019) und 62 Facharztstellen (vs. 61 Stellen). Während also im Facharztbereich vor mehr als einem Jahr nur eine unbesetzte Facharzt-Kassenstelle dazugekommen ist, sind es dieses Jahr mit Ende des vergangenen Quartals schon 17 Fachärzte mehr, die fehlen (um knapp 30 Prozent mehr als 2020 bzw. 2019). In der Allgemeinmedizin betrug der Anstieg der verwaisten Kassenstellen in etwas mehr als zwei Jahren sogar 78 Prozent (2019 waren 68 unbesetzt, heuer schon 129).
Lösung: Mehr Ausbildungsstellen und Honorierung der Lehrpraxen
Zurück zur Pressekonferenz: „Statt das Problem an der Wurzel zu packen, werden neue Pauschalierungen überlegt, Ordinationen mit irrsinnigem finanziellen Aufwand in Spitälern eingerichtet oder gleich Spitalsärzte in den Kassenbereich verschoben“, befürchtet Steinhart „Übles“ wegen der bisherigen Reaktionen. Diese seien keine zukunftsorientierten Lösungen, sondern „das ist Weiterwurschteln mit minimalem Einsatz“. Als Lösungen – die längst parat lägen – schlägt er mehr Ausbildungsstellen sowie die Honorierung der fachärztlichen Lehrpraxis vor, um mehr Nachwuchs für den niedergelassenen Kassenbereich zu gewinnen.
Zudem plädiert er dafür, die administrativen Hürden zu beseitigen, mit denen Kassenärzte konfrontiert würden. Gerade im kinderärztlichen Bereich sei Zuwendungsmedizin entscheidend, wie insbesondere Beratungen zu Ernährung oder Verhalten. Diese Zeit honoriere das derzeitige Kassensystem aber nicht, berichtet Steinhart und spricht sich für eine Aufhebung der Limitierungen aus. Eine Forderung, die jüngst auch Kardiologin Prof. Dr. Bonni Syeda, stv. Obfrau der Fachgruppe Innere Medizin der Wiener Ärztekammer, im Rahmen einer Pressekonferenz zum 5-Punkte-Plan der niedergelassenen Ärzte gestellt hatte. In dieser Pressekonferenz wurde ein Entwurf für einen modernen Leistungskatalog für Kassenärzte angekündigt, der dann am 20.05.2021 auch vorgelegt wurde und als Grundlage für Verhandlungen mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) dienen soll.
Pandemiebeginn: Aus „Müllsäcken“ Schutzausrüstung gebastelt
Eine „Geste der Dankbarkeit“ sei jedenfalls angesichts des Einsatzes der Ärzte angebracht, betont Steinhart und verweist auf den Mangel an Schutzausrüstung zu Pandemiebeginn. Keine der verantwortlichen Stellen habe sich dafür zuständig gefühlt: „Es war nicht nur eine Kollegin, die sich in ihrer Not selbst Schutzausrüstung aus Müllsäcken gebastelt hat – in einem Land wie Österreich wohlgemerkt“, erinnert Steinhart. Ohne Selbstversorgungs- und Selbstorganisationsfähigkeiten der Ärztekammern hätte es noch deutlich düsterer ausgesehen.
ÖÄK-Vizepräsident Dr. Harald Mayer (im Bild hinten re.), Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, betont ebenfalls, wie wichtig Reserven für Ausnahmesituationen seien – dazu gehöre auch, genügend Schutzausrüstung bei der Hand zu haben: „Wir sind momentan viel zu abhängig von der Produktion von Medizinprodukten außerhalb von Europa.“ Auch hebt er hervor, wie enorm viel das gesamte Gesundheitspersonal unter schwierigen Arbeitsbedingungen geleistet habe: Die Situation in den Spitälern sei besonders in Pandemiezeiten herausfordernd und „wir möchten uns hier ausdrücklich für das enorme Engagement bedanken“.
Spitalsärzte-Obmann: Feuer am Dach im Burgenland und in Niederösterreich
Was die knappen ärztlichen Ressourcen bzw. deren Verteilung angeht, verweist Mayer, seines Zeichens auch oberösterreichischer Spitalsärzte-Kurienobmann, auf die Situation im Burgenland und in Niederösterreich, wo bereits Spitalsärzte in Ordinationen aufgrund von Lücken bei Kassenärzten einspringen: „Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein“, kritisiert Mayer, der „Feuer am Dach“ sieht. Zudem benötigten die Spitäler Ressourcen für die Ausbildung. Unabhängig von „politischer Einflussnahme“ kümmere sich die ÖÄK um die Genehmigung der passenden Anzahl von Ausbildungsstellen.
Dabei würden die Inhalte der Ausbildung in enger Zusammenarbeit mit den medizinischen Fachgesellschaften beschlossen: „Wir können aus unserer Erfahrung und unserem Wissen schöpfen und dafür sorgen, dass der Nachwuchs adäquat ausgebildet wird, dass er das vermittelt bekommt, was relevant ist.“ Dass die Genehmigung politisch unabhängig erfolge, sei ein Qualitätsmerkmal und stehe nun auf der Kippe, „wenn Bundesländer, die Spitalseigentümer sind, selber über die Ausbildungsplätze entscheiden“, warnt Mayer.
Lindner zur Ausbildungs-GmbH: Länder-Katapult ins letzte Jahrtausend
Schärfer formuliert es ÖÄK-Vizepräsident Dr. Herwig Lindner (im Bild vorne li.), auch Präsident der Ärztekammer Steiermark: „Die Länder würden die Qualitätssicherung in der Ausbildung ins letzte Jahrtausend zurückkatapultieren.“ Es ärgere ihn, dass ausgerechnet in dieser Phase ein Angriff auf die Qualität der Arztausbildung „geritten“ werde. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums sei die ÖÄK dafür zuständig, bei der Ärzteausbildung und Fortbildung, dem Führen der Ärzteliste, der Zulassung von Ausbildungsstätten und der Qualitätssicherung im niedergelassenen Bereich die politische Unabhängigkeit und Qualität zu garantieren. „Exzellente Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses und politische Unabhängigkeit in der Qualitätssicherung sind Eckpfeiler der hohen Qualität der Gesundheitsversorgung“, sagt Lindner.
„Seitens der Länder wird in diesem Moment an einer GmbH gefeilt, die diese Aufgabenbereiche übernehmen soll“, warnt er, dass damit die Ärzteausbildung zur Ländersache würde. Auch wenn die Absicht der Landespolitik vorhanden sein möge, für „Weisungsungebundenheit“ sorgen zu wollen, befürchtet Lindner, dass Auditoren, die in politischen Abhängigkeiten stehen, wohl kaum objektiv sein würden.
Lindner dankt ebenfalls den Ärzten für ihren Einsatz und der „aktiven Bekämpfung der Pandemie durch die Impfungen“. Die Ärztekammern seien jederzeit verlässliche Partner mit Handschlagqualität gewesen – leider nicht selbstverständlich bei allen Beteiligten im Gesundheitsbereich in den Zeiten des „politischen Zickzacks“. Seine Kritik: „Oftmals hatte es den Anschein, als wolle man durch verwaltungstechnische Schildbürgerstreiche den Einsatz der Ärztinnen und Ärzte bestrafen oder sabotieren.“ Lange hätten bei den Testungen oder beim Impfen klare Strategien gefehlt, stattdessen gab es noch öffentliche Verunsicherung durch Ideen, Apotheker oder Hotelfachkräfte impfen zu lassen. Auch hier hätte man viel stärker und früher Ärzte, Gemeinden und Spitäler einbinden sollen. Nachsatz: „Es zahlt sich immer aus, auf Profis zu setzen.“
Niedermoser: Impfung einzig wirkungsvoller Weg aus Pandemie
Am selben Tag schloss sich auch Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich, in einer Aussendung dem Dank an das Gesundheitspersonal und der Warnung vor Einsparungen an. Von Beginn der Pandemie an seien die Ärzte im Brennpunkt gestanden, „nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in den Ordinationen, wo sie die Patienten noch ohne Schutzausrüstung – die gab’s ja damals nicht – bestmöglich versorgt haben“, betont Niedermoser und ergänzt: „Deshalb gebührt allen Medizinern – und natürlich auch den Ordinationsassistentinnen bzw. Pflegekräften in den Spitälern – ein großes Dankeschön!“
Auch beim Impfen stünden die Ärzte im Fokus und hätten zusätzlich einen enormen bürokratischen Aufwand zu bewältigen, auch hier werde in Oberösterreich „Großartiges“ geleistet: „Und das ist doppelt wichtig, schließlich ist die Impfung der einzig wirkungsvolle Weg aus der Pandemie.“
Erfolgreich gegen Einsparungen gewehrt
Keinesfalls dürfe bei der Aufarbeitung der finanziellen Folgen der Pandemie im Gesundheitsbereich gespart werden, unterstreicht Niedermoser abschließend: „Investitionen in den Gesundheitsbereich zahlen sich doppelt aus.“ In Österreich habe die medizinische Versorgung hervorragend geklappt, „weil unser Gesundheitssystem eben nicht, wie in so manch anderem Land, zuvor systematisch kaputtgespart worden ist“. Gesundheitsökonomen hätten immer wieder auf angebliche Einsparpotenziale hingewiesen, wogegen sich die Ärzteschaft „gottlob erfolgreich“ heftigst gewehrt habe.