13. Okt. 2021Interview mit Univ.-Prof. DDr. Wolfram Hötzenecker

„Spezialisierung in Allergologie“ erfolgreich aus der Taufe gehoben

Wohin soll ich mich wenden? Die Frage vieler Allergiker soll bald Schnee von gestern sein. Seit 1. Juli 2021 gibt es die neue „Spezialisierung in Allergologie“, treibende Kraft war u.a. die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI). Ärzte mit allergologischer Expertise können einen Antrag auf Anerkennung stellen, erklärt ÖGAI-Vizepräsident Univ.-Prof. DDr. Wolfram Hötzenecker, der am Curriculum der Ausbildung mitwirkt, die mit März 2022 starten soll. Plus: Tipps für dritte Corona-Schutzimpfung von Allergikern.

medonline: Herr Professor, mittlerweile gibt es zwei Millionen Allergiker in Österreich, Tendenz seit vielen Jahren steigend. Wieso ist das so und werden es noch mehr?

Wolfram Hötzenecker: Das ist eine gute Frage, die nicht abschließend geklärt ist. Man geht davon aus, dass um 1900 zirka ein Prozent der Österreicherinnen und Österreicher an Allergien der oberen Atemwege – also an klassischem Heuschnupfen und Stauballergien – gelitten haben. Das hat sich kontinuierlich gesteigert, jetzt sind wir schon bei zirka 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Ob ein Plateau erreicht ist, ist nicht ganz klar, das gilt es einfach in der Zukunft zu beobachten. Warum das so ist, wird versucht in verschiedenen Hypothesen zu erklären. Eine davon ist die Hygiene-Hypothese, die besagt, dass unser Immunsystem mit Infektionen nicht mehr so belastet ist, wie das noch vor 100 Jahren der Fall war und sich daher andere „Beschäftigungsfelder“ sucht. Es gibt Daten zu Kindern, die am Bauernhof aufwachsen versus Kinder, die in der Stadt aufwachsen, oder Daten zu Kindern mit Geschwistern versus Einzelkinder: Diese Daten deuten darauf hin, dass ein bisschen „gesunder Dreck“ gar nicht so schlecht ist, wenn es um die Allergievermeidung geht.

Sollte man daher schauen, Kinder sozusagen nicht übertrieben von Schmutz fernzuhalten?

Hötzenecker: Unser Immunsystem setzt sich tagtäglich mit Keimen auseinander und wenn man komplett in einer sterilen Umgebung aufwächst, dann kann es keine Toleranz entwickeln. Natürlich sollte man Hygiene einhalten, um Infektionserkrankungen, die ja auch tödlich verlaufen können, zu minimieren, aber Kinder draußen spielen zu lassen, ist sicher nicht falsch.

Noch immer dauert es mehrere Jahre, bis Allergiker behandelt werden, u.a. aus Sorglosigkeit oder weil ein Ansprechpartner fehlt, wogegen die neue Spezialisierung Abhilfe schaffen soll. Wie können Ärzte, insbesondere Allgemeinmediziner, ihre Patienten sensibilisieren, damit es nicht zum gefürchteten Etagenwechsel kommt?

Hötzenecker: Allgemeinmedizinmediziner spielen hier eine herausragende Rolle, weil sie am häufigsten zuerst von dem Problem unserer Patienten hören. Zuerst ist es wichtig, eine Einschätzung der Symptome zu erhalten, vielleicht schon einen Prick-Test auch in der hausärztlichen Ordination durchzuführen, und wenn etwas aufscheint oder Unklarheiten sind, zum Spezialisten zu überweisen. Wenn man Allergien verschleppt, kann es zum Etagenwechsel kommen. Es bildet sich das allergische Asthma heraus, das sich vom Allergen löst und zurück bleibt ein eigenständiges Asthma, das umso schwieriger zu behandeln ist. Diesem Prozess kann man mit einer frühzeitigen Desensibilisierung entgegenwirken.

Seit 1. Juli gibt es nun nach mehr als einem Jahrzehnt die fächerübergreifende „Spezialisierung in Allergologie“. Wie ist die Idee entstanden und warum ist das ein Meilenstein?

Hötzenecker: Die Idee, auch in Österreich eine Spezialisierung aus der Taufe zu heben, gibt es schon seit 15 Jahren, weil die Allergologie in Österreich auf verschiedene Fachgebiete zersplittert ist und der Patient oft nicht weiß: Gehe ich jetzt zuerst zu meinem Hausarzt oder gleich zum HNO-Arzt oder zum Hautarzt oder mit meinen Kindern noch zum Kinderarzt? Um dieses Gebiet interdisziplinär im Sinne einer Spezialisierung abzudecken zu können, ist es wichtig Expertinnen und Experten im Fachbereich Allergologie ausbilden zu können. Der Weg dorthin was kein einfacher, aber letztendlich doch erfolgreich: Seit Juli gibt es die Möglichkeit der Spezialisierung in Allergologie.

Seit Juli können Ärzte aus den Quellfächern (siehe Kasten) einen Antrag auf Anerkennung stellen, wie funktioniert das genau?

Hötzenecker: Derzeit befinden wir uns noch in der Übergangszeit: Alle Ärztinnen und Ärzte, die bereits eine mehrjährige Erfahrung in der Allergologie vorweisen können und die in den genannten Quellfächern arbeiten, können einen Diplomantrag in der Übergangszeit stellen. Dieser wird von der Spezialisierungskommission geprüft und anschließend von der Ärztekammer freigegeben. Die ersten Spezialisten können sich dann zu Ausbildungsverbünden zusammenschließen. Wird diese Ausbildungsstätte von der Ärztekammer anerkannt, kann die wirkliche Ausbildung beginnen – mit jungen Fachärztinnen und Fachärzten aus den Quellfächern.

Das heißt, jeder Arzt mit allergologischer Expertise kann einen Antrag stellen und dann die Ausbildungscurricula mitgestalten?

Hötzenecker: Man muss die Quellfachbezeichnung inne haben, aber auch darlegen können, dass man in ernster Form über die letzten Jahre Allergologie praktiziert hat.

Allgemeinmedizin ist auch ein Quellfach, was müssen Hausärzte vorweisen?

Hötzenecker: Auch Hausärzte müssen die Voraussetzung der Spezialisierung erfüllen, diese sind auf der Homepage der Ärztekammer ersichtlich.

Die Ausbildung soll mit März 2022 beginnen und eineinhalb Jahre dauern. Ist die Dauer international vergleichbar?

Hötzenecker: In Deutschland dauert die Zusatzbezeichnung Allergologie ungefähr dieselbe Zeit. In der Schweiz, wo es den Facharzt für Allergologie und Klinische Immunologie gibt, dauert es mit sechs Jahren natürlich länger, weil wir uns hier auf einem fachärztlichen Niveau befinden, der auch die gesamte Klinische Immunologie umfasst.

Hätten Sie an dieser Stelle vielleicht eine Botschaft oder Ermunterung für junge Kolleginnen und Kollegen, warum sie diese neue Spezialisierung ins Auge fassen sollen?

Hötzenecker: Ja, gerne: Patientinnen und Patienten mit allergologischen Erkrankungen sind häufig zu sehen, auch in der allgemeinmedizinischen Praxis. Wenn Sie sich auf diesem Gebiet weiterbilden und spezialisieren wollen, dann ist die Spezialisierung in Allergologie genau das Richtige!

Die ÖGAI hat auf ihrer Homepage auch Informationen zur Schutzimpfung gegen COVID-19. Für viele geimpfte Allergiker taucht jetzt die Frage nach einer Auffrischung auf. Empfehlen Sie eine Titer-Bestimmung?

Hötzenecker: Titer-Bestimmungen generell nicht, weil sie sehr unsicher sind und es keine einheitliche Norm gibt. Wir boostern derzeit unser Gesundheitspersonal, führen aber vor der dritten Impfung keine Antikörper-Bestimmungen routinemäßig durch, weil die Antikörperbildung nur ein Teil des Immunsystems darstellt und immer die zelluläre Immunantwort außen vor gelassen wird.

Gerade bei Delta weisen aber auch nicht wenige Immunologen darauf hin, dass ein hoher BAU-Titer für die Senkung des Ansteckungs- und Übertragungsrisikos nicht von Nachteil sei.

Hötzenecker: Ein hoher BAU-Titer ist nicht von Nachteil, aber die dritte Impfung wird nicht vom Antikörper-Titer abhängig gemacht, sondern generell für Gesundheitspersonal oder Risikopatienten oder Patienten ab einem bestimmten Alter empfohlen.

Wie ist das nach allergischen Reaktionen auf die Impfung selber?

Hötzenecker: Wir sehen immer wieder Patienten, die nach der ersten oder zweiten Impfung allergisch reagiert haben. Hier gilt es zu unterscheiden, ob eine schwere allergische Reaktion vorlag oder nicht. Wenn es nur eine leichte allergische Reaktion war, kann man meistens auch die Drittimpfung unter ärztlicher Aufsicht mit zwei Antihistaminika-Tabletten ohne Probleme durchführen. Wenn die zweite Impfung anaphylaktisch verlaufen ist, dann empfiehlt es sich eventuell, den Ak-Titer zu bestimmen. Wenn der Titer hoch genug ist, kann man eventuell mit der Auffrischung zuwarten. Die Drittimpfung könnte aber durchaus auch mit einem anderen Präparat durchgeführt werden, z.B. mit einem Vektorimpfstoff, wenn man auf die erste oder zweite mRNA-Impfung allergisch reagiert hat.

Können Sie eine Orientierung geben, was in diesem Fall ein hoher Titer ist? Viele Patienten sind verunsichert und auch Ärztekollegen diskutieren, ob man bei mehr als 500 BAU/ml (Roche, Anm.) noch warten könne?

Hötzenecker: Wir schauen uns das immer gemeinsam mit dem Patienten an. Ab 500 BAU/ml kann man sicher drüber diskutieren – gerade auch im Hinblick, wenn schon eine schwere allergische Reaktion aufgetreten ist. Wenn der Titer darunter ist, dann soll man je nach Abschätzung des Risikoprofils und Abschätzung der allergischen Reaktion vorgehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Meilenstein für Allergologie und Lichtblick für Allergiker

Die neue „Spezialisierung in Allergologie“ sei ein Meilenstein für die Allergologie und ein Lichtblick für die mittlerweile zwei Millionen Allergiker in Österreich, betonte die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) Anfang Oktober in einer Aussendung. Hilfesuchende Patienten, vor allem am Land, müssten oftmals lange Irr- und Umwege auf sich nehmen, bis sie an den richtigen Arzt, zur richtigen Diagnose und zu einer adäquaten Behandlung kommen.

„Allergien kosten den Patienten enorm viel an Lebensqualität, in manchen schweren Fällen sogar das Leben, und dem Gesundheitssystem sehr viel Geld“, warnt ÖGAI-Präsidentin Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim. Die neue Weiterbildung sei ein „dringend notwendiger Schritt“, betont auch ÖGAI-Vizepräsident Hötzenecker. Sie dauert 18 Monate, soll ab März 2022 starten und ist für Ärzte folgender „Quellfachgebiete“ möglich: Dermatologie, HNO, Innere Medizin und Pneumologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Klinische Immunologie, Innere Medizin, Arbeitsmedizin sowie Allgemeinmedizin.

Mehr auf: www.oegai.org

Zur Person

Univ.-Prof. DDr. Wolfram Hötzenecker, Vorstand der Univ.-Klinik für Dermatologie und Venerologie, stv. Dekan für Forschung, Medizinische Fakultät, Johannes Kepler Universität Linz (KUK), leitet die Arbeitsgruppe Allergologie der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie und ist Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI).

Wolfram Hötzenecker
Margit Berger/Kepler Uniklinikum