17. Mai 2021Die Fakten appetitlich auf den Tisch legen

So reagieren Sie richtig auf Fake News

Corona-Impfstoffe verändern die DNA, der Mund-Nasen-Schutz ist völlig wirkungslos, es sind aber schon Kinder beim Tragen erstickt: Gefährliche Falschinformationen kursieren wie Lauffeuer. Wie gelingt es, sie zu widerlegen?

Mann, der seine Vision mit chirurgischer Maske bedeckt.
iStock/ajr_images

Es gibt Leute, die beim Thema Coronapandemie einem per Haftbefehl gesuchten Fernsehkoch mehr Glauben schenken als einem Virologen. Oder sie vertrauen einem emeritierten Mikrobiologen, der mit dem „Goldenen Brett vorm Kopf“ für „den größten unwissenschaftlichen Unsinn des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Warum das so ist und wie man gegensteuern kann, hat ein internationales Wissenschaftlerteam um Prof. Dr. Stephan Lewandowsky von der Universität Bristol in einem Handbuch niedergeschrieben.1

Ein wichtiger Faktor: die Medienkompetenz (s. Kasten rechts oben). Man soll nicht davon ausgehen, dass die Leute von sich aus in den sozialen Medien geteilte Informationen kritisch betrachten, betonen die Autoren.

Leugner nutzen fünf rhetorische Techniken

Im Internet verbreiten sich Falschmeldungen schneller als Fakten – und sie bleiben oft lange hängen. Außerdem glaubt man eher an Dinge, die man schon häufiger gehört hat, als an neue Informationen. Denn häufiges Wiederholen schafft Vertrautheit. Das gilt leider auch für Unwahrheiten – sogar, wenn man diesen eigentlich kritisch gegenübersteht, erklärt Dr. Philipp Schmid, Psychologe an der Universität Erfurt und Mitautor des Handbuchs, in einem Lehrvideo.1,2

Somit stellen die sozialen Medien die ideale Plattform für Wissenschaftsleugner dar. Hinter ihren Positionen steckt meist eine Verschwörungsmentalität. Es kommt ihnen nicht darauf an, was wahr ist, sondern was der öffentlichen Meinung entgegensteht. Verbreitet jemand absichtlich Falschinformationen, spricht man von Desinformation.

Ob Impfgegner oder Klimaleugner – um andere in die Irre zu führen, wenden sie fünf rhetorische Techniken an, verdeutlicht der Psychologe:

  • Sie zitieren „Experten“, die gar keine sind.
  • Sie wecken umögliche Erwartungen, z.B. „ein Impfstoff muss zu 100 % sicher sein“.
  • Sie verbreiten Verschwörungstheorien.
  • Sie wenden falsche Logik an. So wird z.B. jemand auf persönliche Weise als unglaubwürdig dargestellt, statt seine Argumente zu beurteilen.
  • Sie picken sich die Rosinen raus. Es werden z.B. einzelne Studien herausgehoben, die den eigenen Standpunkt bekräftigen. Alle anderen ignorieren sie.

Zudem verwenden Wissenschaftsleugner eine emotionale Sprache. Wer diese Strategien kennt, wird widerstandfähiger gegen Manipulationsversuche.

Querlesen statt Querdenken

  • Informationen aus den sozialen Medien stets kritisch bewerten.
  • Sind die Angaben plausibel?
  • Aus welcher Quelle stammt die Information? Hat die Quelle eine Vorgeschichte? Handelt es sich um Fachwissen? Welche Motive werden dort verfolgt?
  • Behauptungen überprüfen, z.B. durch Querlesen (= andere Webseiten nutzen, um die Glaubwürdigkeit der Quelle einschätzen zu können).

Unter manchem Aluhut steckt jemand mit Ängsten

Doch nicht jeder, der Fehlinformationen verbreitet, verfolgt damit eigene Interessen. Es gibt Menschen, die aus Prinzip gegen alles sind. Andere schließen sich einfach den Ansichten ihres sozialen Umfelds an. Und manche glauben an Fake News, um nicht mit ihrer Angst konfrontiert zu werden. Wer z.B. große Angst vor Spritzen hat, kann die Konfrontation damit meiden, indem er behauptet, dass Impfungen mehr schaden als nutzen.

Apropos mehr Schaden als Nutzen: Mythen zu korrigieren, kann unter Umständen kontraproduktiv wirken. Denn Menschen neigen dazu, Kontexte zu vergessen. Was von der Aussage „Der Impfstoff verändert die DNA nicht“ vielleicht in Erinnerung bleibt, sind die Worte „Impfstoff verändert DNA“. Dennoch sollte niemand aus Angst vor einem solchen „Backfire-Effekt“ darauf verzichten, einen Irrglauben zu widerlegen. Hierfür gibt es effektive und einfach anwendbare Methoden.

Im Gespräch mit Patienten empfiehlt Dr. Schmid Ärzten das sog. „Motivational Interviewing“. Dabei kommt es darauf an, Empathie und Interesse zu zeigen, Gemeinsamkeiten hervorzuheben und an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Glaubwürdigkeit basiert unter anderem auf Fachkenntnis und Vertrauenswürdigkeit. Als Hausarzt bringen Sie beides schon mit.

Zunächst einmal gilt es, die Wahrnehmung des Gegenübers einzuschätzen, indem Sie eine offene Frage stellen, z.B. „Wie stehen Sie zum Nutzen des Impfstoffs? Man hört ja viel von Nebenwirkungen“. Reflektieren Sie die Position und bestätigen Sie die Perspektive: „Das stimmt, es können Nebenwirkungen auftreten.“ Erst dann sollten Sie die Fakten auf den Tisch legen.

Glaubt der Patient an einen Mythos, servieren Sie ihm am besten ein Fakten-Sandwich (s. Abb. und Kasten links). Hierfür benötigen Sie eine eindeutige Erklärung, warum klar ist, dass die Behauptung nicht stimmt, und was stattdessen richtig ist.

Fakten-Sandwich

Ein Beispiel:

  1. Corona-Impfstoffe sind für Frauen mit Kinderwunsch und Schwangere geeignet.
  2. Es kursiert die Falschbehauptung, die Immunisierung könne unfruchtbar machen, da das Spike-Protein von SARS-CoV-2 dem für die Bildung der Plazenta verantwortlichen Syncytin-1 ähnele.
  3. Dieser Mythos wird von Impfgegnern und Verharmlosern der Covid-19-Pandemie verbreitet. Das körpereigene und virale Protein unterscheiden sich aber wesentlich, sodass eine Kreuzreaktion höchst unwahrscheinlich ist. Außerdem müssten dann auch Frauen unfruchtbar sein, die bereits eine Infektion durchgemacht haben. Darauf gibt es jedoch keine Hinweise.
  4. Es besteht also kein Grund für Frauen mit Kinderwunsch und Schwangere, sich vor der Impfung zu fürchten.

https://correctiv.org/faktencheck/2021/01/14/keine-belege-dass-die-covid-19-impfung-unfruchtbar-macht/

Richtigstellen kann auch bei Sturköpfen etwas bewirken

„Widerlegen Sie Falschinformationen, so oft Sie können“, fordern die Experten. Das gilt auch, wenn Sie den Eindruck haben, dass sich die Einstellung des Gegenübers nicht ändern wird. Das Richtigstellen kann sich trotzdem auf das Verhalten auswirken, z.B. weniger Verbreiten des Mythos. „Sie werden nicht jeden Wissenschaftsleugner bekehren können“, legt Dr. Schmid abschließend dar, „aber Sie ermöglichen mit diesen Kommunikationsstrategien für jeden eine informierte Entscheidungsfindung.“

Referenzen:

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune