9. Feb. 2021Zwei Jahre digitales Sicherheitssystem

Arzneimittelsicherheit: Österreich ist Musterland

Jede Arzneimittel-Packung muss vom Endbenutzer – Apotheker oder hausapothekenführender Arzt – verifiziert und ausgebucht werden, um Fälschungen sicher auszuschließen. So sieht das die Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie der EU (2011) vor, die seit 9. Februar 2019 anzuwenden ist. Die Redaktion fragte zum Zwei-Jahres-Jubiläum nach, wie es um das digitale Sicherheitssystem für Arzneimittel steht. Österreich sei weiterhin ein „Musterland“, freut sich Christoph Lendl, MSc, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft AMVS (Austrian Medicines Verification Organisation), im Interview.

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Die Zwei-Jahres-Bilanz fällt äußerst erfolgreich aus: Die Fehlerquote konnte auf 0,018 Prozent gesenkt werden, das sind 200 Alarme pro Tag in ganz Österreich bei nunmehr 1,1 Millionen Transaktionen. Vor mehr als einem Jahr waren es noch 0,25 Prozent aller Transaktionen oder 1.000 Alarme. Bis zum Februar des Vorjahres gab es eine Stabilisierungsfrist, die dann von der sogenannten Startphase abgelöst worden ist. Jetzt wäre man bereit, auch diese Startphase zu beenden und in den Regelbetrieb zu gehen. Wegen der Corona-Pandemie bleibt jedoch die Erleichterung, eine Augenschein-Prüfung bei Alarmen durchzuführen, vorerst aufrecht.

Am 24./25. Juni 2020 fand in Wien ein Livestream-Event mit 300 Vertretern der Pharmaindustrie aus ganz Europa statt. Sie haben damals gesagt, Österreich sei „Musterland“ bei der Serialisierung, die Abgabe laufe reibungslos, 340 Millionen Packungen hätten das Sicherheitssystem durchlaufen. Ist das nach wie vor so, dass Österreich so gut dasteht?

Christoph Lendl: Wir können weiterhin sagen, dass wir ganz vorne dabei sind. Wir sind bei der Implementierung sicher unter den Top-5-Ländern. Wir haben sehr viele Initiativen, um das System noch weiter zu stärken, sind auch stark in die technische Weiterentwicklung des Systems involviert – meine Mitarbeiter spielen derzeit auch eine treibende Rolle zur Verbesserung des Systems. Inzwischen sind wir bei 470 Millionen Packungen, die hochgeladen wurden, wir haben jeden Tag mehr als 500.000 Packungen, die ausgebucht und abgegeben werden. Aus meiner Sicht sind wir weiterhin ein Musterland.

Pharmig-Generalsekretär Mag. Alexander Herzog hat bei diesem Online-Event gesagt, dass in Österreich keine einzige Fälschung aufgetaucht ist. Nach wie vor nicht?

Nein, wir haben in Österreich keine Fälschung, die aufgetreten ist – das System erfüllt seine Rolle perfekt. Das System spielt auch in ganz Europa ausgezeichnet seine Rolle.

In unserem ersten Interview im November 2019 (siehe hier bzw. hier) haben Sie von 190 Millionen Packungen im System und täglich 500.000 Transaktionen, also Verifizierungen plus Ausbuchungen, berichtet. Die Fehlerquote ist damals bei 0,25 Prozent gelegen, das waren zirka 1.000 Transaktionen pro Tag. Wie viele Transaktionen sind es jetzt insgesamt bzw. wie hoch ist die Fehlerquote?

Die Transaktionen haben sich inzwischen verdoppelt – auf 1,1 Millionen. Jetzt sind wir bei einer Fehlerquote von 0,018 Prozent, das entspricht ungefähr 200 Packungen pro Tag.

Damals war ja das Projekt in der um ein halbes Jahr verlängerten Stabilisierungsphase. Als Gründe für die Verlängerung bis 08.02.2020 wurde angegeben: Probleme mit der Scanner-Konfiguration, mehrfaches Scannen derselben Packung, was zur Doppelausbuchungen und Alarmen führt, fehlerhaftes Hochladen von Chargen durch die Hersteller. Sind wir noch immer in der Stabilisierungsphase?

Nein, die Stabilisierungsphase wurde am 9. Februar 2020 abgelöst von einer Startphase, in der wir uns derzeit befinden. In dieser Startphase haben wir jetzt weitere Schritte gesetzt, um die Fehlerquote noch massiv runterzubringen, wie man aus den Zahlen jetzt erkennen kann. Aus unserer Sicht sind alle Rahmenbedingungen geschaffen, um auch die Startphase zu beenden.

Welche Verbesserungen in welchen Bereichen haben zu dieser beachtlichen Reduktion der Fehlerquote geführt?

Es gab in allen Bereichen massive Verbesserungen. Industriefehler gibt es überhaupt nur mehr in seltenen Fällen. Und auch auf der Endbenutzer-Seite gibt es nur mehr vereinzelte Fehler.

Sie haben gesagt, derzeit gibt es 200 Alarme pro Tag. Was muss der Apotheker oder hausapothekenführende Arzt bei einem Alarm machen?

Wenn es zu einem Alarm kommt, testet der Apotheker die Packung, kontrolliert auch den sogenannten Manipulationsschutz, und wenn er die Packung augenscheinlich für gut befindet, darf er sie abgeben. Nach der Startphase, also im nächsten Stadium, ist es dann so, dass bei diesen Packungen der Fälschungsverdacht ausgeschlossen werden muss – zusammen mit der AMVS und eventuell auch der Behörde.

Kurz vor Beginn der Startphase, am 05.02.2020, haben Sie die alleinige Geschäftsführung der AMVS übernommen. Bis dorthin haben Sie und Mag. Andreas Achrainer, der in den bundesnahen Bereich gewechselt ist, die Geschäfte gemeinsam geführt. Ist denn mit dem Ende der Stabilisierungsphase die Arbeit weniger geworden?

Man kann schon sagen, dass sich die Arbeit nach der Projektphase stabilisiert hat. Es gibt weiterhin viel Arbeit, keine Frage, aber der Aufbau des Systems und die Anbindung sämtlicher Benutzergruppen ist ja jetzt erledigt und abgeschlossen und daher ist es mir auch möglich, diese Rolle gemeinsam mit meinem ausgezeichneten Team alleine auszufüllen.

Ist nun zum Zwei-Jahres-Jubiläum diese Startphase vorbei?

Nein, am 9. Februar wird sich vorerst nichts ändern. Grund dafür ist die Corona-Pandemie, die die Apotheken und Arztpraxen sehr stark fordert. Die Stakeholder der AMVO (siehe Kasten) sind sich einig, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für große Veränderungen ist.

Heißt das, die Erleichterung bleibt weiterhin aufrecht, dass bei Alarmen die Apotheker und Ärzte eine Sichtkontrolle durchführen, und wenn die Packung in Ordnung ist, sie diese abgeben dürfen?

Ja, wie gesagt, wir sind prinzipiell bereit, diese Erleichterungen aufzuheben. Aber das macht man aufgrund des extremen Drucks, der gerade auf allen Endbenutzern lastet, nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Bis es so weit ist: Gilt Ihre damalige Aufforderung „Scannen, scannen, scannen“ noch immer?

Die bleibt auf jeden Fall aufrecht, jeder Scan ist ein wichtiger Beitrag und unterstützt nicht zuletzt auch unsere Analysen, um Fehler weiter zu reduzieren.

Altpackungen, die vor dem 09.02.2019 die Produktionsstraße verlassen haben, können noch bis 2024 nach der alten Façon abgegeben werden.

Ja, das passiert jetzt schon kaum mehr. Es sind fast alle Packungen serialisiert. Es wird noch ein bisschen dauern, bis sich alle Altpackungen herausdrehen.

Kommen wir zur Corona-Pandemie. Die ersten Fälle in Österreich wurden am 25.02.2020 bekannt, kurz nach Beginn der Startphase. Ab wann war man durch die Pandemie nicht mehr im Plan bzw. wie lange wäre die Startphase geplant gewesen?

Das haben wir uns bewusst offen gelassen. Die Stakeholder haben eine laufende Evaluierung der Startphase gewählt. Man hat gewartet, wie sich die Systemmeldungen und die Nutzung des Systems weiter entwickeln, und hat laufend evaluiert. In diese Evaluierung sind natürlich auch die Auswirkungen der Pandemie eingeflossen. Wir haben vergangenen Frühling gesehen, dass die Apothekerinnen und Apotheker sowie die Ärztinnen und Ärzte durch die Pandemie vermehrt gefordert sind. Die Interessensvertretungen sind sich alle einig, dass jetzt der falsche Moment ist, um nächste Schritte zu setzen.

Sind Impfstoffe auch im System, z.B. die Corona-Impfstoffe?

Prinzipiell sind Impfstoffe auch serialisierungspflichtig. Für Impfaktionen wie Impfstraßen und Impfzentren werden sie direkt beim Großhandel ausgebucht. Die Corona-Impfstoffe werden erst ab dem zweiten Quartal serialisiert sein, um auch hier ein Fälschungsrisiko auf jeden Fall auszuschließen.

Wie ist das mit den Zutaten für magistrale Zubereitungen, müssen diese auch ausgebucht werden?                                 

Wenn im Zuge einer magistralen Zubereitung verschreibungspflichtige Arzneimittel als Bestandteil eingesetzt werden, müssen ebendiese beim erstmaligen Öffnen auch ausgebucht werden.

Ihre abschließende Botschaft?

Ich möchte mich im Namen der AMVS als Betreiberorganisation fürs Mitmachen bedanken, sowohl die hausapothekenführenden Ärztinnen und Ärzte als auch die öffentlichen Apotheken und die Krankenhaus-Apotheken arbeiten mit dem System einwandfrei. „Scannen, scannen, scannen“ hat funktioniert und ich kann die Endbenutzer nur bitten, das System weiterhin so gut zu verwenden!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Zur Person – Christoph Lendl

Christoph Lendl, MSc, ist seit 1. Juli 2019 Geschäftsführer der Austria Medicines Verification GmbH (AMVS), die das digitale Sicherheitssystem für rezeptpflichtige Arzneimittel im Auftrag der AMVO (Austrian Medicines Verification Organisation) betreibt. Davor war der studierte Betriebswirt als Manager in der Pharmabranche tätig.

Foto: AMVS

Zur Betreibergesellschaft AMVS

Die Betreibergesellschaft AMVS (Austrian Medicines Verification System GmbH) ist eine 100-prozentige Tochter der AMVO (Austrian Medicines Verification Organisation), die für die Umsetzung der EU-Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie in Österreich verantwortlich ist. In der AMVO sind alle Mitglieder der legalen Lieferkette vertreten: Pharmig, Generikaverband, Phago, Apothekerkammer und Ärztekammer. Mehr auf www.amvs-medicines.at