Ganz, Stein, Faust und Lear

Vor wenigen Tagen wurde am Wiener Burgtheater zum letzten Mal „König Lear“ in der Inszenierung von Peter Stein aufgeführt. Der wunderbare Klaus Maria Brandauer war König Lear, 52 Mal, seit der Premiere 2013. Und eben dieser Peter Stein war es, der im Jahr 2000 „Faust“, der Tragödie ersten und zweiten Teil in ganzer Länge inszeniert hatte – das größte Theaterereignis, das ich je erlebt habe. 21 Stunden über ein Wochenende, alle 12.110 Verse; nahezu unglaublich wunderbar!

Großes Theater

In diesem großen Theater stellte der kürzlich verstorbene Bruno Ganz ganz wunderbar den Faust dar. Wenn dieser Kommentar hier zu lesen ist, wissen wir wahrscheinlich auch schon, an wen Bruno Ganz, der Träger des Iffland-Ringes, ebendiesen weitergegeben hat – an den „jeweils bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters“. Ursprünglich hatte Bruno Ganz dafür Gert Voss – übrigens der König Lear am Burgtheater vor 20 Jahren – vorgesehen. Nach dessen Tod 2014 musste Ganz neu entscheiden. So vergehen die Jahre, die Generationen, viele große Mimen, Frauen und Männer, treten ab.

Die Endlichkeit wird uns bewusst, immer wieder. Und je älter wir werden, umso öfter spüren wir es: schon wieder jemand … „Der/die war doch noch gar nicht so alt …!“ – denken wir uns, die „wir ja noch gar nicht so alt sind“. Ein Kommen und Gehen. Theater als Sinnbild des Lebens. Und das Leben ist keine Generalprobe. Nein, wir sind mitten in der Aufführung! Seien wir dankbar für jeden Tag, leben wir! Die alten Römer sagten über jemanden, der gestorben ist, nicht „er ist gestorben“, sondern „er hat gelebt“! Mögen das Menschen auch über uns einmal sagen! – Aber es sollte halt noch nicht so bald sein …

Großes Leben

Ruhe in Frieden, großer Bruno Ganz! Ein großer Dank an ihn und all die vielen großen Menschen, die uns das große Leben auf der Bühne zeigen – als besuchende alte Dame, Faust oder König Lear. Und ein ebensolcher Dank an die vielen anderen großen Menschen – diejenigen, die nicht auf Bühnen spielen und nicht im Rampenlicht stehen! Das große Leben. Ankommen, auftreten, abtreten. Immer wieder.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune