15. Juli 2020Tumorzentrum OÖ

„Ein Spital alleine ist viel zu klein!“

Ende Jänner ist in Linz das Tumorzentrum Oberösterreich eröffnet worden. Damit wachsen neun onkologische Zentren in Oberösterreich virtuell zusammen. Clinicum onko im Gespräch mit dem Leiter des Tumorzentrums, Univ.-Doz. Dr. Ansgar Weltermann. (CliniCum onko 3-4/20)

CliniCum onko: In Oberösterreich wurde bereits 2013 ein Tumorzentrum der Elisabethinen Linz und damals Gespag gegründet. Was ist jetzt neu am Oberösterreichischen Tumorzentrum?

Weltermann: „Uns muss klar sein, dass wir nur dann für die Forschung attraktiver werden, wenn wir groß sind und eine entsprechende Fallzahl einbringen.“

Ansgar Weltermann: Das Tumorzentrum entstand damals als Zusammenschluss von zwei Trägern. Ziel war es, diese mit einander zu vernetzen und Leitlinien für die Tumordokumentation zu entwickeln. 2018, als das Ordensklinikum Linz entstand, haben wir beschlossen, dieses Zentrum nicht nur zu erweitern, sondern neu aufzusetzen. Natürlich haben wir auch Know-how mitgenommen, wie die Tumordokumentation. Aber jetzt ist das Tumorzentrum deutlich größer. Es wurde vom Ordensklinikum Linz, dem Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried und allen Regionalkliniken der OÖ Gesundheitsholding entwickelt und bindet mehr Spitäler ein.

Welche Krankenhäuser beteiligen sich?

Insgesamt sind neun Krankenhäuser beteiligt und es werden noch weitere dazu kommen. Sehr konkret sind etwa schon die Pläne der Keppler Universitätsklinik.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Wir haben flächendeckend einheitliche Richtlinien und Systeme geschaffen, um einen gemeinsamen Standard für die Behandlung von Krebspatienten zu haben. Das beginnt bei der Tumordokumentation, wo wir alle Daten in ein gemeinsames System einspeisen und alle Informationen gleichmäßig erfassen und endet bei einheitlichen medizinischen Leitlinien für alle Standorte. Wir haben in allen Häusern einen eigenen Tumordokumentationsassistenten. In Deutschland ist das schon eine eigene Berufsgruppe, in Österreich aber noch eher unbekannt. Und wir haben über alle Standorte ein Tumorboard via Videokonferenz installiert, das im April starten wird.

Nach welchen Kriterien werden die Befunde ausgewählt oder werden alle Befunde besprochen?

Alle Ärzte schicken vorab ihre Befunde, sodass wir schon im Vorfeld entscheiden können, welche Fälle wir besprechen müssen und welche Fälle vielleicht überschneidend sind.

Welche Vorteile hat so ein virtuelles Zentrum?

Zum einen hat es für die Patienten Vorteile, weil sie in ihrem Wohnort optimal betreut werden. Zum anderen können wir durch den Zusammenschluss unsere Qualität in der Krebsdiagnostik und -therapie steigern. Tumor ist nicht gleich Tumor ist. Wir benötigen daher große Datenmengen, um valide Aussagen treffen zu können. Ein einzelnes Spital, selbst das AKH in Wien, ist viel zu klein. Wir haben viel zu wenige Patienten mit einem bestimmten Tumor, um zu wissen, ob wir richtig und effizient behandeln. Wenn eine klinische Studie etwa eine Heilungschance von 60 Prozent prognostiziert, wir aber nur 50 Prozent erreichen, dann stellt sich die Frage nach dem Warum. Haben wir Fehler bei der Behandlung gemacht oder gibt es andere Faktoren, die eine Heilungschance beeinträchtigen, wie Vorerkrankungen oder Ähnliches? Denn unsere Patienten in der realen Welt sind keine klinischen Studienpatienten. Dennoch können wir diese Faktoren erst dann bestimmen, wenn wir eine ausreichend große valide Fallzahl auswerten können.

Arbeiten Sie hier auch mit künstlicher Intelligenz (KI) bei der Auswertung?

Nein derzeit nicht. KI ist noch nicht so intelligent, wie wir denken. Wir sind noch weit weg davon, dass Algorithmen die richtigen Schlüsse ziehen. Außerdem geht es bei unserer Auswertung nicht darum, ein Muster im Chaos zu erkennen. Wir haben ja sehr gut strukturierte, saubere Daten, wodurch andere statistische Auswertungsmethoden besser geeignet sind. Im Bereich der Therapieentscheidung fließt ja viel mehr ein. Wenn ein Patient etwa 70 Jahre alt ist, Bluthochdruck und Prostatakrebs hat, dann möchte er vielleicht nicht die wirksamste, sondern die sanfteste Therapie. Die Empfehlung werden Algorithmen aber nicht treffen.

Ebenfalls ein Teil des Projekts Tumorzentrum ist die Krebsakademie. Wie hängen Ausbildung und Tumorzentrum zusammen?

Die Krebsakademie wurde 2014 als Instrument und Teil des Tumorzentrums gegründet. Unser Ziel ist es, hier Fachexperten weiterzubilden, damit wir alle mit einer Stimme zu den Patienten sprechen. Wir richten uns explizit nicht nur an Ärzte, sondern an alle, die mit onkologischen Patienten zu tun haben und wollen hier gemeinsame Standards setzen.

Welche Pläne haben Sie für das Tumorzentrum?

Ich freue mich, wenn das Tumorzentrum noch mehr Spitäler eingliedert und alle Regionen umfasst. Und was ich gerne hätte, ist eine valide Qualitätssicherung. Wir sind schon sehr weit, aber das sind Prozesse, die dauern.

Virtuelle Tumorzentren wurden auch in anderen Bundesländern gestartet. Könnte die Zukunft eventuell ein österreichweites Tumorzentrum sein?

Das ist eine schöne Vision. Uns muss klar sein, dass wir nur dann für die Forschung attraktiver werden, wenn wir groß sind und eine entsprechende Fallzahl einbringen. Das geht nur im Austausch und im Zusammenschluss.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum onko