29. Aug. 2016

Neue Leitlinie zu Dyslipidämie

Im Rahmen des Europäischen Kardiologen(ESC)-Kongresses 2016 in Rom wurde eine neue Leitlinie zum Management von Dyslipidämien vorgestellt und im European Heart Journal (1) sowie auf der ESC-Website (2) veröffentlicht.

Foto: istockohoto/ 3D illustration of fat cells and capillaries

Zumindest 80 Prozent aller kardiovaskulären Erkrankungen könnten laut ESC durch die Reduktion von Risikofaktoren vermieden werden. „Lipide sind wahrscheinlich die wichtigsten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen“, berichtet Prof. Dr. Ian Graham von der ESC-Task Force. „Der Zusammenhang zwischen Lipiden – speziell dem low-density-lipoprotein(LDL)-Cholesterol – und kardiovaskulären Erkrankungen ist eindeutig kausal. Herzinfarkte ereignen sich nämlich kaum in Populationen mit sehr niedrigen Lipid-Spiegeln, selbst wenn diese Personen rauchen.“

50-prozentige LDL-Senkung für alle

Die neue Leitlinie unterstreicht die Notwendigkeit, die Lipid-Spiegel in der Bevölkerung und bei Hochrisiko-Personen zu senken. „Personen mit hohem Risiko sollten aus ärztlicher Sicht die Top-Priorität darstellen“, betont Graham. „Die meisten Todesfälle treten bei leicht erhöhtem Cholesterin-Spiegeln auf – wahrscheinlich deshalb, weil davon viele Personen betroffen sind. Aus diesem Grund sind auch Populations-basierte Ansätze für die Lipidsenkung – wie etwa Lebensstiländerungen – erforderlich.“

Die Leitlinien empfehlen ein individuelles LDL-Cholesterol-Ziel, das auf dem jeweiligen Risiko (definiert aus Komorbiditäten und dem 10-Jahres-Risiko für eine tödliche kardiovaskuläre Erkrankung(3)) basiert. Beispielsweise liegt das LDL-Cholesterol-Ziel bei Hochrisikopatienten unter 2,6mmol/l (100mg/dl). Alle Patienten – unabhängig von ihrem Risiko – sollten zumindest eine 50-prozentige LDL-Cholesterol-Senkung erreichen. „Wir haben das LDL-Cholesterol-Ziel und die Senkung in Prozent zusammengefasst, um sicher zu gehen, dass alle Patienten zumindest eine 50-prozentige Senkung ihres LDL-Cholesterols erreichen“, so Prof. Dr. Alberico Catapano von der EAS-Task Force.

Dieser individuelle Ansatz unterscheidet sich von den US-Leitlinien, die für alle Hochrisiko-Patienten Statine empfehlen, auch wenn sie ein niedriges Cholesterin haben (4). „Der US-amerikanische Ansatz würde bedeuten, dass in Europa deutlich mehr Menschen unter Statintherapie stünden“, gibt Graham zu bedenken. „Unsere Task Force hat sich gegen diesen Ansatz entschieden. Eine Sorge bleibt jedoch: eine große Gruppe von Hochrisiko-Personen, die inaktiv und übergewichtig ist, hat zwar einen medikamentös eingestellten niedrigen Cholesterinspiegel, ignoriert allerdings ihre weiteren Risikofaktoren.“

Nüchtern ist out

Für das Screening der Lipid-Spiegel ist Nüchternheit nicht mehr erforderlich nachdem sich gezeigt hat, dass die Ergebnisse aus Blutproben von nicht nüchternen Patienten für die Bestimmung von Cholesterin ähnlich sind.

Lebensstil & Ernährung

Mehr Bedeutung als in früheren ESC/EAS-Leitlinien kommt dem Lebensstil und der Ernährung zu und zwar mit Angaben zum Body-Mass-Index (BMI) und Gewicht. Die Empfehlungen berücksichtigen zu bevorzugende Lebensmittel, sowie Lebensmittel die mäßig oder nur selten in begrenztem Ausmaß konsumiert werden sollten. „Es wird mehr Wert auf Müsli/Cerealien, Gemüse, Obst und Fisch gelegt. Dem zugrunde liegen zwei Studien zur mediterranen Diät, die unerwartet große Effekte auf die Mortalität gezeigt haben. Wir verbieten keine gesättigten Fette, sondern empfehlen den Patienten eine positive Nahrungsauswahl, insbesondere eine genussreiche, was für sie einfacher zu managen ist.“

Kombinationstherapien

Für Patienten mit persistierend hohem Cholesterin werden Kombinationstherapien vorgeschlagen. Statine stellen dabei die First-line-Therapie dar. Eine Kombinationstherapie mit Ezetimib und einem Statin ermöglicht die schrittweise Reduktion des LDL-Cholesterols um 15 bis 20 Prozent.

Proprotein convertase subtilisin/kexin typ 9 (PCSK9)-Inhibitoren können bei Patienten mit anhaltend hohem LDL-Cholesterin, die bereits eine Statin- und Ezetimib-Therapie haben, in Erwägung gezogen werden. „PCSK9-Inhibitoren verfügen über einen beträchtlichen Effekt über die Maximaltherapie hinaus und stellen einen wirklichen Fortschritt z.B. für Patienten mit schwerer familiärer Hypercholesterinämie dar. Ein limitierender Faktor für deren Einsatz könnte der sehr hohe Preis sein“, sagt Catapano und resümiert: „Statine sollten die Hauptstütze in der LDL-Cholesterin-Senkung darstellen, dann können die Kombinationstherapie mit Ezetimib und schließlich als Drittlinie die neuen PCSK9-Inhibitoren zum Einsatz kommen.“

Referenzen:
1 2016 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. European Heart Journal 2016. doi: [10.1093/eurheartj/ehw272];
2 ESC Guidelines on the ESC Website: http://www.escardio.org/Guidelines-&-Education/Clinical-Practice-Guidelines/ESC-Clinical-Practice-Guidelines-list/listing
3 Das Systemic Coronary Risk Estimation (SCORE)-System schätzt das kumulative 10-Jahres-Risiko für das erste fatale kardiovaskuläre Ereignis;
4 2013 ACC/AHA guideline on the treatment of blood cholesterol to reduce atherosclerotic cardiovascular risk in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2014;129(25 Suppl 2):S1–S45