14. Aug. 2019ESMO-GI-2019-Highlights

Krebs im Magen-Darm-Trakt: Zehn Abstracts von Abscopalen Effekten bis Zolbetuximab

Foto: ESMO GI 2019/alexandracsuport

Wir haben eine Onkologin und einen Chirurgen nach ihren Highlights vom ESMO-GI-Kongress gefragt. Dazu zählen praxisverändernde Daten bei Ösophagus- und Kolorektalkarzinom sowie ein Proof of Concept des absocpalen Effektes beim Pankreaskarzinom.

Magen- und Ösophaguskarzinom

Die Phase-III-Studie KEYNOTE 062 zeigte, dass eine Pembrolizumab-Monotherapie als Erstlinie bei fortgeschrittenem Karzinom des Magens und gastroösophagealen Übergangs gegenüber Chemotherapie nicht unterlegen ist (Tabernero J et al. Abstract LBA-002). Die ersten Daten wurden bereits beim ASCO präsentiert. Insgesamt wurden 763 Patienten, darunter 281 mit einem Combined Positive Score (CPS) ≥10, zu Pembrolizumab/Chemotherapie, Pembrolizumab-Monotherapie oder Chemotherapie randomisiert.
Bei einem CPS ≥10 zeigt sich ein Gesamtüberleben von 17,4 vs. 10,8 Monaten mit Pembrolizumab vs. Chemotherapie (HR 0,69). Pembrolizumab/Chemotherapie vs. Chemotherapie war nicht überlegen in Hinblick auf das Gesamtüberleben bei einem CPS ≥1 oder ≥10, mit einem Trend zugunsten von Pembrolizumab/Chemotherapie. Pembrolizumab/Chemotherapie verlängerte nicht signifikant das progressionsfreie Überleben bei CPS ≥1.
Die Rate an therapieassoziierten Grad-3- bis -5-Nebenwirkungen betrug 17 vs. 73 vs. 69 Prozent für Pembrolizumab vs. Pembrolizumab/Chemotherapie vs. Chemotherapie.
Priv.-Doz. Dr. Aysegül Ilhan-Mutlu, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Wien, kommentiert: „Sieht man sich nur die Zahlen an, so sind diese Ergebnisse sensationell und sehr schön, weil wir zum ersten Mal beim metastasierten Magenkarzinom ein Überleben von rund 17 Monaten ohne Chemotherapie erreicht haben. Allerdings sieht man anhand der Kaplan-Meyer-Kurven, dass jene Patienten, die Pembrolizumab erhielten, leider in den ersten Monaten schlechter abschneiden als jene die eine Chemotherapie bekommen haben. Erst nach einem Crossover der Kurven nach ein paar Monaten beginnt die Pembrolizumab-Gruppe signifikant besser zu werden. Somit gehen wir davon aus, dass leider einige Patienten mit Pembrolizumab in den ersten Monaten nicht ansprechen und schnell progredient werden. Welche das sind muss in weiteren Biomarker-Analysen geklärt werden, bevor eine Empfehlung für die Praxis ausgesprochen werden kann.“

Für die Zweitlinientherapie gebe es aber sehr wohl ein Update aus einer Practice-Changing-Studie, so Ilhan-Mutlu. In KEYNOTE 181 zeigte Pembrolizumab vs. Chemotherapie nach Wahl des Arztes (Irinotecan, Paclitaxel oder Docetaxel) als Zweitlinie beim Ösophaguskarzinom ein signifikant längeres Gesamtüberleben bei Patienten mit einem CPS ≥10, sowohl bei Adeno- als auch Plattenepithel-Histologie (9,3 vs. 6,7 Monate; HR 0,69; p=0,0074; Metges J et al., Abstract O-012).
„Ich finde die Daten auch deswegen interessant und wertvoll, weil wir nun zum ersten Mal seit Jahren eine Therapieoption für die Plattenepithelkarzinom-Patienten haben. Eine Zulassung für die Gruppe mit CPS ≥10 ist sehr wahrscheinlich“, sagt die Expertin.

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In der Phase-I-Studie REGONIVO erreichte die Kombi Regorafenib/Nivolumab bei „austherapierten“ Magenkarzinom-Patienten (n=25) nach mindestens zwei bzw. drei Therapielinien und ohne Biomarker-Selektion eine Ansprechrate von 44 Prozent (Hara H et al., Abstract SO-007). Ilhan-Mutlu: „Ein derart gutes Ansprechen sehen wir kaum in der Erstlinie, wenn wir die Patienten mit einer Chemotherapie behandeln. Somit waren diese Daten hochinteressant und äußerst relevant für die weitere Entwicklung. Zu beachten ist, dass die Effektivität der Kombination auch bei jenen Patienten gegeben war, die zuvor Nivolumab erhalten hatten. Darüber hinaus war Regorafenib in reduzierter Dosis (80mg) gut verträglich.“

Auf Nachfrage der ESMO berichtet Dr. Andrés Cervantes, PhD, Valencia, Spanien, über neue Wirkstoffe beim fortgeschrittenen Magenkarzinom. Gute Ergebnisse seien etwa in der Phase-II-Studie MONO bei genetisch stabilen Tumoren, also jenen ohne prominente molekulare Alterationen, mit dem Anti-Claudin18.2-Antikörper Zolbetuximab erzielt worden (Türeci O et al., Ann Oncol 2019). Patienten mit Adenokarzinomen des Magens oder gastroösophagealen Übergangs und moderater bis starker Claudin18.2-Expression bei ≥50 Prozent der Tumorzellen erhielten Zolbetuximab intravenös alle zwei Wochen für insgesamt fünf geplante Infusionen. Effektivitätsdaten waren für 43 Patienten verfügbar, von denen vier ein partielles Ansprechen (ORR 9%) und sechs eine Krankheitsstabilisierung erzielten (14%), entsprechend einer Clinical Benefit Rate von 23 Prozent. Bei Patienten mit höherer Claudin18.2-Expression (≥70%) lag die ORR bei 14 Prozent. In ihrer Conclusio geben die Autoren eine gute Verträglichkeit des Antikörpers an. Eine große Phase-III-Studie schließe derzeit bereits Patienten ein, so Cervantes.

Gallenwegstumore

Im Bereich der Gallenwegstumore war für Prim. Univ.-Prof. Dr. Thomas Grünberger, SMZ Süd, Wien, insbesondere die Phase-II-Studie REACHIN interessant. Diese zeigt, dass Regorafenib nach Gemcitabin-Versagen das PFS gegenüber Placebo verdoppelt hat. „Das Gesamtüberleben konnte jedoch nicht wesentlich verlängert werden“, so der Experte (Demols A et al., Abstract O-003).

MSS-Tumore in Pankreas und Kolorektum

Grünberger erklärt: „Die Idee war einen mikrosatellitenstabilen (MSS) Tumor, der letztendlich wenig Immunantwort hat, heiß zu machen. Man versucht das Immunsystem zum Beispiel durch eine Strahlentherapie zu stimulieren. In dieser Studie wurde die Bestrahlung einer metastatischen Läsion gemeinsam mit der Gabe von Ipilimumab und Nivolumab getestet. Das hat sowohl beim Pankreas- als auch beim Kolorektalkarzinom zu einem Response von 15 bis 18 Prozent geführt. Auch die Dauer der Krankheitskontrolle war mit fünf Monaten durchaus erfolgreich. Das Gesamtüberleben jener Patienten, die ansprachen, war fast 16 Monate bei metastasiertem Kolonkarzinom und immerhin zwölf Monate beim metastasierten Pankreaskarzinom, was doch beachtlich ist.“
Der Experte vergleicht diese Daten mit einer soeben publizierten Studie des Amsterdam Cancer Institut: „Hier wurden Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom mit drei mal 8 Gy bestrahlt und erhielten nachfolgend Pembrolizumab. Die Vergleichsgruppe erhielt ausschließlich Pembrolizumab. Es zeigte sich eine beeindruckende Ansprechrate von 36 Prozent. Das sogenannte Heiß-machen von Tumoren war bis jetzt sehr umstritten. Aber das sind gute Daten aus zwei unterschiedlichen Studien die uns bei mikrosatellitenstabilen Tumoren eine interessante Option für die Zukunft offerieren.“

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Adenokarzinom des Pankreas

Grünberger nennt bei seinen Kongress-Highlights zudem ein Update der APACT-Studie mit Gemcitabin/nab-Paclitaxel vs. Gemcitabin alleine als adjuvante Therapie bei Patienten mit einem Adenokarzinom des Pankreas. Darin zeigte sich keine Verbesserung der Lebensqualität durch die Kombinationstherapie (Reni M et al., Abstract O-001). Am ASCO waren bereits Daten präsentiert worden, wonach in dieser Phase-III-Studie mit insgesamt 866 Patienten kein Vorteil im krankheitsfreien Überleben erzielt werden konnte, das als primärer Endpunkt definiert war (19,4 vs. 18,8 Monate; HR 0,88; p=0,18; Tempero MA et al.; Abstract 4000). Das Gesamtüberleben (sekundärer Endpunkt) war jedoch im Kombinationsarm verlängert 40,5 vs. 36,2 Monaten (HR 0,82; p=0,045).

Wichtig für Grünberger ist zudem eine Phase-II-Studie zu mikrosatellitenstabilen, metastasierten Adenokarzinomen des Pankreas (n=25) oder Kolorektums (n=40; Parikh A et al., Abstract O-008). Die Therapie bestand aus Ipilimumab 1mg/kg alle sechs Wochen, Nivolumab 240mg alle zwei Wochen und drei Fraktionen Strahlentherapie mit 8 Gy zum Zeitpunkt des Zyklus 2 jeden zweiten Tag. Die Krankheitskontrollrate belief sich auf 40 Prozent (10/25) und die Gesamtansprechrate auf 16 Prozent (4/25).

Für die Erstlinientherapie bei metastasiertem Pankreaskarzinom könnte die Kombi aus liposomalem Irinotecan/5-Fluoruracil/Leucovorin/Oxaliplatin (NAPOX) in Zukunft interessant werden. Das Regime sei in einer Phase-I/II-Studie managebar gewesen und habe vielversprechende Antitumor-Aktivität gezeigt, so Dr. Zev Wainberg, Santa Monica, California, der die Studie präsentierte (Wainberg Z et al., Abstract SO-005). 56 Patienten wurden eingeschlossen und in beiden Phasen der Studie therapiert, wovon 32 die empfohlene Dosis NAPOX erhielten.
Insgesamt traten in der Explorationsphase der Studie neun dosis-limitierende Nebenwirkungen bei fünf Patienten auf. Zu therapieassoziierten Nebenwirkungen ≥ Grad 3 kam es bei 29 Patienten. Dazu zählten Neutropenie (n=9), febrile Neutropenie (n=4), Hypokaliämie (n=4), Diarrhö (n=3), Nausea (n=3), Anämie (n=2) und Erbrechen (n=2). Zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kam es bei 31 Patienten.
Bei über 70 Prozent (n=23) der Patienten, die die empfohlene Dosis erhielten, kam es zu einer Krankheitskontrolle. Als bestes Ansprechen wurde ein komplettes Ansprechen bei einem Patienten erzielt, während zehn Patienten ein partielles Ansprechen erreichten und 15 eine Krankheitsstabilisierung, entsprechend einer Gesamtansprechrate von 34 Prozent. Zum Zeitpunkt des Daten-Cutoffs erhielten nach wie vor 15 von 32 Patienten die Studienmedikation.
Die Daten für Gesamtüberleben und PFS sind nicht reif, da etwa die Hälfte der eingeschlossenen Patienten noch die Studienmedikation erhält.

Kolorektalkarzinom

Die Phase-III-Studie BEACON zeigte, dass Encorafenib/Cetuximab/Binimetinib als Zweitlinientherapie das Gesamtüberleben und die Ansprechrate vs. Irinotecan oder FOLFIRI plus Cetuximab bei metastasiertem Kolorektalkarzinom (mCRC) mit BRAF-V600E-Mutation verbesserte (Kopetz S et al., Abstract LBA-006). „Diese Daten sind Practice-Changing und eine solche Mutation sollte unbedingt zum Zeitpunkt der Diagnose bestimmt werden, weil es eine therapeutische Konsequenz hat“, sagt Ilhan-Mutlu.
Die dreiarmige Studie prüfte Encorafenib/Cetuximab mit oder ohne Binimetinib vs. Irinotecan oder FOLFIRI plus Cetuximab. „Encorafenib/Cetuximab ±Binimetinib haben besser abgeschnitten als die Kombination mit einer Chemotherapie. Somit kann davon ausgegangen werden dass eine BRAF- und MEK-Inhibition in Zweitlinie ohne Bedenken angeboten werden kann. Interessanterweise hat die Kombi mit BRAF- und MEK-Inhibition vs. MEK-Inhibition alleine auch nicht wirklich einen Unterschied gezeigt. Allerdings war die Studie nicht dafür gepowert zwischen den beiden letztgenannten einen Unterschied zu zeigen. Damit kann die Frage, ob vielleicht auch nur ein MEK-Inhibitor plus Cetuximab ausreicht, nicht beantwortet werden.“

Eine dänische Forschergruppe stellte eine randomisierte Studie bei chemo-refraktärem mCRC vor, die zeigt, dass die Zugabe von Bevacizumab zu Trifluridin/Tipiracil signifikant das Gesamtüberleben im Vergleich zu Trifluridin/Tipiracil alleine verbessert. (Pfeiffer et al., Abstract O-014).
Die Studie schloss insgesamt 93 Patienten ein, die während oder nach einer Therapie mit Fluorpyrimidin, Irinotecan und Oxaliplatin progredient wurden und bei denen es zum Versagen von EGFR-Inhibitor-Therapie (RAS-Wildtyp-Patienten) mit oder ohne Bevacizumab gekommen war. Es erfolgte eine 1:1-Randomisierung zu Trifluridin/Tipiracil alleine oder in Kombination mit Bevacizumab. Das PFS konnte durch die Zugabe von Bevacizumab auf 4,6 vs. 2,6 Monate verlängert werden (HR, 0,45; p<0,001). Darüber hinaus war auch das Gesamtüberleben mit 9,4 vs. 6,7 Monaten signifikant verlängert (HR 0,55; p<0,03).
Patienten im Kombinationsarm hatten allerdings deutlich häufiger Grad-3/4-Neutropenien (67 vs. 38%, p<0,05) und drei vs. ein Patient(en) mit vs. ohne Bevacizumab hatten eine febrile Neutropenie. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten bei 21 vs. 19 Patienten auf.
„Diese Studie zeigt erstmals, dass die Zugabe von Bevacizumab zu Trifluridin/Tipiracil das PFS und OS unabhängig von einer vorhergehenden Bevacizumab-Gabe verlängert“, resümiert Erstautor Dr. Per Pfeiffer, PhD, Odense, Dänemark.

Take Home Messages

  • Pembrolizumab vs. Chemotherapie als Erstlinie bei fortgeschrittenem Karzinom des Magens und gastroösophagealen Übergangs zeigte bei einem CPS ≥10 ein medianes Gesamtüberleben von 17,4 vs. 10,8 Monaten. Welche Patienten wirklich profitieren ist aber noch unklar.
  • Pembrolizumab vs. Chemotherapie als Zweitlinie beim Ösophaguskarzinom erzielte ein signifikant längeres Gesamtüberleben bei einem CPS ≥10, sowohl bei Adeno- als auch Plattenepithel-Histologie. Eine Zulassung für die Gruppe mit CPS ≥10 ist sehr wahrscheinlich.
  • Regorafenib/Nivolumab zeigt in einer Phase-I-Studie bei „austherapierten“ Magenkarzinom-Patienten nach mindestens zwei bzw. drei Therapielinien und ohne Biomarker-Selektion eine Ansprechrate von 44 Prozent. Regorafenib in reduzierter Dosis war gut verträglich.
  • Regorafenib verbesserte beim Gallenwegskarzinom in der Zweitlinie nach Versagen von Gemcitabin das mediane PFS gegenüber Placebo – das Gesamtüberleben war jedoch nicht wesentlich verlängert.
  • Ein Update der APACT-Studie Beim Pankreaskarzinom zeigt, dass nab-Paclitaxel/Gemcitabin als adjuvante Therapie die Lebensqualität von Patienten gegenüber Gemcitabin alleine nicht verändern konnte.
  • Bei mikrosatellitenstabilen Kolon- oder Pankreaskarzinomen erzielte die Stimulation des Immunsystems mittels Bestrahlung einer metastatischen Läsion zusätzlich zu einer Immuntherapie beachtenswerte Ergebnisse.
  • Encorafenib/Cetuximab/Binimetinib verbesserte das Gesamtüberleben vs. Irinotecan oder FOLFIRI plus Cetuximab bei metastasiertem Kolorektalkarzinom mit BRAF-V600E-Mutation und kann diesen Patienten angeboten werden. Bei Diagnose sollte auf die Mutation getestet werden.
Quelle

European Society of Medical Oncology (ESMO) 21st World Congress on Gastrointestinal Cancer, Barcelona, 3.-6.7.19