21. Nov. 2018Wiener Wissenschaft

Arginin – Treibstoff für die T-Zellen

Foto: Meletios Verras/GettyImages

Die Aminosäure Arginin spielt eine zentrale Rolle im Immunsystem. Wiener Wissenschaftler beforschen den Zusammenhang zwischen Argininmetabolismus, Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerose. (CliniCum 11/18)

Das menschliche Immunsystem besteht aus einem komplexen Zusammenspiel von Immunzellen. Dazu gehören die T-Zellen, die durch den Organismus wandern und nach fremdartigen oder veränderten Substanzen, den sogenannten Antigenen, suchen. Die T-Zellen spüren die Antigene jedoch nicht selbst auf, sondern sie werden ihnen von anderen Zellen präsentiert, etwa den Makrophagen. Wenn dies geschieht, wird die T-Zelle aktiviert: sie teilt sich und differenziert sich dabei. Auf diese Weise entstehen unter anderem Millionen von T-Killerzellen, die kranke Zellen zerstören, oder T-Helferzellen, die Alarm schlagen und zusätzliche Immunzellen anlocken.

Es kommt aber vor, dass die Antigen-präsentierenden Zellen den T-Zellen keine Antigene, die von einer Infektion oder einer krankhaften Zellveränderung stammen, sondern ganz gewöhnliche Bestandteile gesunder Körperzellen präsentieren. Dann richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper. Man spricht von Autoimmunerkrankungen. Wird den T-Zellen ein Antigen präsentiert, das speziell im Zentralnervensystem vorkommt, dann kommt es zu Multipler Sklerose; wird ihnen ein Antigen präsentiert, das speziell in den Gelenken vorkommt, so kommt es zu Rheumatoider Arthritis. Beide Autoimmunerkrankungen sprechen oftmals ungenügend auf die derzeit verfügbaren Therapien an.

„Die gezielte Behandlung von pathogenen Zielzellen würde neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen“, erklärt Assoc. Prof. Dr. Gernot Schabbauer, Leiter des Christian-Doppler-Labors für Argininmetabolismus in Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerosis in Wien. Die Zellen, die er meint, sind die T-Zellen, die Makrophagen und die Osteoklasten. Ziel des CD-Labors ist die Erforschung des Metabolismus dieser Immunzellen und deren komplexes Zusammenspiel. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Aminosäure Arginin und das Enzym Arginase, das Arginin in Harnstoff und andere ungefährliche Substanzen aufspaltet.

Begriffserklärungen

  • T-Zellen zählen zu den Lymphozyten und sind Teil des erworbenen Immunsystems, spielen also eine Rolle bei der adaptiven Immunantwort. T-Zellen erkennen Antigene über einen spezifischen Rezeptor. Antigene sind Proteine, Lipide, Kohlenhydrate oder andere komplexe Moleküle, die vom Immunsystem als körperfremd erkannt werden. Die Antigene werden den T-Zellen von anderen Zellen präsentiert.
  • Makrophagen zählen zu den Leukozyten und sind Teil der angeborenen Immunabwehr. Sie dienen der Beseitigung von Mikroorganismen durch Phagozytose und werden daher auch Fresszellen genannt. Außerdem gehören sie zu jenen Zellen, die den T- Zellen Antigene präsentieren.
  • Osteoklasten sind mehrkernige Riesenzellen, die aus den hämatopoetischen Stammzellen des Knochenmarks entstehen. Ihre Hauptaufgabe ist die Resorption von Knochengewebe. Sie haften am Knochen an und sondern Proteasen und Oxydasen frei, die zum Knochenabbau führen.

Arginin

Arginin ist eine der 20 Aminosäuren, aus denen alle Proteine im menschlichen Körper bestehen. Es ist zentral an zahlreichen biologischen Funktionen beteiligt, unter anderem als Metabolit des Harnstoffzyklus. Aber auch manche Immunzellen, etwa die T-Zellen, sind besonders stark von Arginin abhängig. Im Normalzustand verfügen T-Zellen über ausreichend Arginin aus Eigenproduktion, aber für die Teilung und für die Differenzierung brauchen sie zusätzliches Arginin, das sie sich aus der extrazellulären Umgebung holen. Vor fünf Jahren hat Schabbauer entdeckt, dass Makrophagen Arginase produzieren und absondern können. So wird das Arginin in der Umgebung des Makrophagen verstoffwechselt, und in der Nähe befindliche T-Zellen können auf diesem Weg nicht mehr aktiviert werden. Das ist einer der sogenannten Toleranzmechanismen, mit denen das Immunsystem dafür sorgt, dass eine Immunreaktion beendet wird, wenn keine Antigene mehr vorhanden sind.

Dann kam dem Biochemiker die Idee, dass dieser Mechanismus genützt werden könnte, um der überschießenden Immunreaktion bei Autoimmunkrankheiten ein Ende zu setzen. „Wenn man den T-Zellen das Arginin vorenthält, nimmt man ihnen gewissermaßen den Treibstoff weg “, formuliert Schabbauer die Grundidee dieses Ansatzes: „Auf diese Weise könnte man die T-Zellen, die zum Beispiel einen MS-Schub auslösen können, schlafend halten.“ In vitro und im Tiermodell funktioniert das. Wenn man Kulturen von T-Zellen Arginase zugibt, zeigen T-Zellen keinerlei Aktivität mehr. Und bei Mäusen, die an Multipler Sklerose leiden, hat eine Zufuhr von Arginase dazu geführt, das die Erkrankung nicht weiter fortschritt.

Osteoklasten

Was mit T-Zellen funktioniert, klappt auch mit den Osteoklasten. Osteoklasten sind für die Resorption von Knochengewebe verantwortlich. Sie legen sich an den Knochen an und setzen diverse Proteasen und Oxydasen frei, die den Knochen verdauen. „Das ist gewissenmaßen ein entzündlicher Prozess“, erklärt Schabbauer: „Dieser Knochenabbau ist es, der die meisten Schmerzen bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis verursacht.“

Riesenzellen

Obwohl Osteoklasten ein ganz anderer Zelltyp sind als T-Zellen, haben die beiden doch zwei Gemeinsamkeiten: Erstens sind auch Osteoklasten extrem abhängig von Arginin. Während es bei den T-Zellen der Vorgang der Teilung und Differenzierung ist, der Arginin als Treibstoff braucht, ist es bei Osteoklasten die Fusion. Es handelt sich nämlich um Riesenzellen mit bis zu 70 Zellkernen, die durch Verschmelzung aus einkernigen Vorläuferzellen entstehen. „In Zellkulturen sind Osteoklasten mit bloßem Auge sichtbar“, bekräftigt Schabbauer: „Es ist eine große energetische Herausforderung , so oft zu fusionieren.“ Und zweitens spielen bei beiden Zellen die Makrophagen eine wichtige Rolle. Für die T-Zellen sind die Makrophagen die Auftraggeber, die ihnen mitteilen, welches Antigen sie bekämpfen sollen. Für die Osteoklasten hingegen stellen Makrophagen Vorläuferzellen dar; Osteoklasten entstehen aus Makrophagen und Monozyten. Außerdem brauchen Makrophagen, wenn sie sich zu Osteoklasten entwickeln, ebenfalls Arginin.

Aus diesen Gründen ist die Zufuhr von rekombinanter Arginase auch bei Rheumatoider Arthritis ein möglicher Therapieansatz. Obwohl die Arginase einen Teil des Immunsystems lahmlegt, ist dies nicht mit einem Anstieg von Infektionen verbunden. Am CD-Labor für Argininmetabolismus in Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerosis wurden Mäuse vier bis fünf Monate behandelt, ohne dass es zu Infektionen gekommen wäre. Arginase wurde in den USA sogar schon an Menschen erprobt, allerdings in einem onkologischen Zusammenhang (auch bestimmte Tumorzellen brauchen viel Arginin für ihre Vermehrung). Die Patienten, die in Phase-I-Studien über ein Jahr lang behandelt wurden, litten nicht unter zusätzlichen Infektionen. Rekombinante Arginase ist von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen und hat entsprechend ausgiebige toxikologische und pharmakologische Analysen hinter sich.

Arginin-arme Diät

Eine weitere Möglichkeit, um den Zellen Arginin vorzuenthalten, ist eine spezielle Arginin-arme Diät. Arginin ist ja eine sogenannte semiessenzielle Aminosäure: Das heißt, sie kann nicht in ausreichender Menge vom Organismus produziert werden, der Rest muss über die Nahrung zugeführt werden. „Allerdings hat die Verstoffwechselung des Arginins mittels Arginase eine stärkere Wirkung als die Drosselung der Arginin-Zufuhr“, erklärt Schabbauer. Der Biochemiker legt Wert auf die Feststellung , dass an seinem CD-Labor Grundlagenforschung und keinesfalls klinische Forschung betrieben wird. „Wir sind Forscher. Wir wollen einfach wissen, warum der Arginin-Stoffwechsel für manche Zellen so wichtig ist.“ Ein weiteres Ziel des CD-Labors ist die Entdeckung neuer Targets. „Es gibt sicherlich noch weitere Metabolite, die eine ähnliche Aufgabe im Immunsystem erfüllen wie Arginin“, ist Schabbauer überzeugt.

Harnstoffzyklus auch in Immunzellen

„Lange dachte man, den Harnstoffzyklus gebe es nur in Leberzellen“, sagt Assoc. Prof. Dr. Gernot Schabbauer, Leiter des Christian-Doppler-Labors für Argininmetabolismus in Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerosis: „Aber dieser Zyklus existiert auch in den Immunzellen.“
Der Harnstoffzyklus ist in der Leber dazu da, dass der Körper Stickstoff loswird, der in zu großen Mengen zu schweren Schäden im Organismus führen kann. Dabei wird der Stickstoff in größere Moleküle verpackt. Hauptmetabolit des Harnstoffzyklus ist Arginin, weil es jene Aminosäure ist, die pro Molekül am meisten Stickstoff enthält. Am Ende des Zyklus wird Arginin durch das Enzym Arginase in Harnstoff (und andere ungefährliche Substanzen) aufgespaltet, der aus den Zellen diffundiert und über den Urin ausgeschieden wird.
Arginin spielt aber auch im Immunsystem eine entscheidende Rolle, unter anderem für die Aktivierung der T-Zellen und die Bildung von Osteoklasten. Im Harnstoffzyklus entstehen auch weitere Metabolite, die unter anderem für die Regeneration von Gewebe wichtig sind: zum Beispiel Polyamine, die sehr viel Stickstoff enthalten, was sehr förderlich für die Zellteilung ist, oder die Aminosäure Prolin, die bei der Synthese von Collagen benötigt wird. Daher ist es kein Wunder, dass der Harnstoffzyklus auch in Immunzellen zu finden ist.