21. Aug. 2013Diabetiker mit Polyneuropathie

Neuropathie – Konzept gegen Schmerz und unruhige Nächte

Sind die Patienten im täglichen Leben durch die Nervenschäden nicht beeinträchtigt, brauchen Sie bei Diabetikern mit Polyneuropathie „nur“ den Blutzucker gut einzustellen. Meist aber leiden die Patienten erheblich, v.a. unter Schmerzen und Schlafstörungen. Für die Therapie der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie gibt es wichtige Leitsätze, die Dr. Adam Czaplinski vom Neurozentrum Bellevue Zürich darlegt:

Räntgenbild von einem Diabetischen Fuss
iStock/WILLSIE
  • Die medikamentöse, symptomatische Behandlung soll möglichst früh beginnen.
  • Schmerztherapie zielt auch darauf ab, Schlafqualität, Mobilität und Lebensqualität zu bessern.
  • Bei gleichem analgetischem Effekt werden Medikamente mit geringen kardiovaskulären und renalen Nebenwirkungen bevorzugt.
  • Die minimale wirksame Dosis wird individuell austitriert.
  • Die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie lässt sich bei adäquater Dosis frühestens nach zwei Wochen beurteilen
  • Analgetika-Kombinationen werden nur dann empfohlen, wenn sie die Wirksamkeit verbessern und/oder das Risiko durch Dosisreduktion der Einzelkomponenten verringern.
  • Psychopharmaka ohne analgetische Potenz gelten als nicht indiziert, ebenso Kombinationspräparate mit Koffein, Muskelrelaxanzien oder Benzodiazepinen (Abhängigkeit). Ebenfalls vermeiden: Substanzen mit renalen/kardiovaskulären Langzeitrisiken (z.B. NSAR, Coxibe).

Leitliniengerecht an die diabetische Neuropathie

Wie gestaltet sich nach diesen Vorgaben Ihre Therapie in der Praxis? Als realistisches Ziel nennt Dr. Czaplinski eine Schmerzreduktion um 30 bis 50 % laut VAS-Skala bzw. eine Besserung, die es dem Patienten erlaubt, seinen Beruf auszuüben und am sozialen Leben teilzunehmen.

Laut Leitlinie werden u.a. trizyklische Antidepressiva zur medikamentösen Schmerztherapie empfohlen. Wegen deren Nebenwirkungspotenzial startet Dr. Czaplinski jedoch meist zuerst einen Versuch mit anderen, ebenfalls in der Leitlinie aufgeführten Substanzen wie Pregabalin, Duloxetin oder Gabapentin.

Da viele Patienten über Schlafstörungen klagen, kommt die schlafanstoßende Wirkung von Pregabalin oft sehr gelegen. In einigen Fällen lassen sich auch mit Carbamazepin Erfolge erzielen, so die Erfahrung des Kollegen. Die Wirkung der infrage kommenden Substanzen muss – wie erwähnt – individuell ermittelt werden. Manche Patienten sprechen gut auf eine Therapie mit Amitriptylin an (75 bis 100 mg abends, langsam eindosieren) eventuell kombiniert mit Duloxetin (30–60 mg/Tag).

Nervendekompression bei Polyneuropathie?

Als nächste Option – wenn die genannten Therapieversuche fehlschlagen – steht Tramadol (retardiert z.B. 200–400 mg/Tag) auf dem Plan. Opiate wie Oxycodon, Morphin und L-Methadon behält man sich für starke therapieresistente Neuropathie-Schmerzen vor. Die topische Behandlung erhält in der Leitlinie u.a. aufgrund unzureichenden Wirkungsnachweises keine positive Empfehlung.

Leider weit verbreitet im Alltag ist der Einsatz von NSAR, diese werden jedoch in der aktuellen Leitlinie ausdrücklich nicht empfohlen (mit Paracetamol bzw. Metamizol ist ein zeitlich begrenzter Therapieversuch möglich).

Ebenfalls gewarnt wird vor unnötigen invasiven Therapien: Die chirurgische Nervendekompression soll bei diabetischer Polyneuropathie ausdrücklich nicht eingesetzt werden. Ausgenommen von dieser Regel sind natürlich Patienten, bei denen sich ein Engpass-Syndrom nachweisen lässt.

Qelle: A. Czaplinski, Schweiz Med Forum 2013; 13: 476–482