Innerlicher Frühjahrsputz

Der Frühling ist da. Die Blumen blühen, die Vöglein zwitschern. Es wird wärmer. Zeit für einen Frühjahrsputz. Nicht nur äußerlich! Die Menschen strömen in ihre Apotheke, um diesen auch innerlich zu starten. Neben diversen Fastenthemen und Abnehmstrategien geht es vor allem um Entschlackung oder, nennen wir das Kind beim Namen, um Darmreinigung.

Menschen bringen uns großes Vertrauen entgegen, wenn es um ihre längste Innerei geht. Das ist auch gut so, schließlich sitzen Abwehrkräfte, Millionen von Bakterien und sonst so einiges im Darm – vor allem aber unser Endprodukt – der Stuhl. Und der sitzt manchmal ganz schön fest. Es funktioniert keine Diät, keine Fastenkur ohne eine Darmreinigung zu Beginn, das ist mittlerweile auch kein Geheimnis mehr. Das Geheimnis, warum Menschen dann aber den Rest des Jahres ihren Darm so vernachlässigen oder ihn ängstlich jeden Tag beobachten, hat sich mir bis heute nicht wirklich erschlossen. Auch der häufige Gebrauch von Abführmitteln vor allem bei jungen Mädchen zwecks Haltung der Figur – ist neben dem Missbrauch von Diuretika – für mich unverständlich.

Jedenfalls scheint die Vorstellung eines inneren Frühjahrsputzes vielen zu gefallen. Besonders Menschen aus Osteuropa kommen gern mit dem Wunsch: „Haben Sie ein Pulver, das innen alles sauber macht?“ Obwohl ich diese Frage schon so oft gehört habe, weiß ich noch immer nicht spontan, was gemeint ist. Und in der Tat meinen auch nicht alle dasselbe. Manche denken, sie müssten eine Art Aktivkohle einnehmen, um Giftstoffe abzutransportieren. Andere geben sich mit Glaubersalz zufrieden, wie es zu Beginn vieler Fastenkuren eingenommen wird. Auch Tonerde wird gern gelöffelt oder auf die Haut gepappt, ein altes Hausmittel. Die schnelle und simpelste Variante des Darmputzens ist ob ihrer Anwendung anscheinend nicht so populär – die des Irrigators. Manche haben Scheu, sich einen Schlauch in den Allerwertesten zu stecken, obwohl das Leichtigkeitsgefühl unmittelbar danach unvergleichlich ist. Aber sogar da kann es Missbrauch geben: Ein junger Mann teilte mir mal mit, dass er absichtlich einen Vollrausch durch einen Rotweineinlauf produzierte.

Ein anderer junger Mann bat mich kürzlich um etwas, dass den Darm schneller arbeiten lassen soll. „Leiden Sie an Verstopfung?“, fragte ich mitfühlend. Er verneinte. „Nein, ich möchte nur, dass mein Essen rascher verdaut wird.“ Er war jedoch weder aufgebläht noch übergewichtig, sondern durchtrainiert und fit. „Wie oft haben Sie Stuhlgang in der Woche?“ Auch diese Antwort war zufriedenstellend. Ich war ratlos. Nach längerem Fragen erfuhr ich, dass er einfach mehr und öfter essen wollte, um gezielt Muskeln aufzubauen, dabei aber nicht dick werden und deshalb seinen Darm erziehen wollte. Es kostete mich viel Überredungskunst, ihm klarzumachen, dass er gut daran tue, weiterhin gesund zu essen, Wasser zur trinken und Sport zu treiben. Zufrieden ging er von dannen.