6. März 2018

„Der Körper ist eine wesentliche Ressource“

Foto: David Cohen on Unsplash

SEXARBEIT – Beratungsstellen wie LEFÖ unterstützen Sexarbeiterinnen (auch) in Gesundheitsfragen, erzählt Sozialarbeiterin Renate Blum. Sie wünscht sich einen respektvollen Umgang von Ärztinnen und Ärzten mit den Frauen. (Medical Tribune 10/18)

Medical Tribune: LEFÖ steht für Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen in Wien. Ein Teilbereich ist die Arbeit mit Frauen in der Sexarbeit. Wie hat sich dieser Schwerpunkt ergeben?

Renate Blum: LEFÖ wurde 1985 von lateinamerikanischen Frauen gegründet, die aus dem Exil aus Lateinamerika nach Österreich gekommen waren. Wir sind eine auf antirassistischen und feministischen Prinzipien arbeitende Migrantinnen-Organisation. Einen Fokus auf Migrantinnen in der Sexarbeit haben wir seit Anfang der 90er Jahre. Lateinamerikanische Frauen, die selbst in diesem Bereich Erfahrungen gesammelt hatten, brachten die neue Thematik an uns heran. Meine Vorgängerinnen merkten, dass es einen anderen, neuen Zugang im Angebot und im Umgang mit diesen Frauen braucht. Seit 1995 ist LEFÖ Partnerin des europäischen Netzwerks TAMPEP. Dieses steht für Informations-, Beratungsund Gesundheitspräventionsarbeit für Migrantinnen in der Sexarbeit. Im Rahmen von TAMPEP haben wir beispielsweise das Konzept der kulturellen Mediation mitentwickelt.

Was ist darunter zu verstehen?

Renate Blum LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
Renate Blum
LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen

Kulturelle Mediatorinnen sind keine Dolmetscherinnen oder Übersetzerinnen. Sondern Frauen, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Und die sich sowohl im Rechts-, Sozial- und Gesundheitssystem des Herkunftslandes als auch von Österreich auskennen. So können sie eine Art Brückenfunktion übernehmen. Wir verfügen über kulturelle Mediatorinnen für rumänisch-, bulgarisch-, spanisch-, portugiesisch-, französisch-, chinesisch- und deutschsprachige Frauen. Gerade in Wien wären noch viele andere Nationalitäten vertreten. So gibt es etwa einen relativ hohen Anteil an Ungarinnen unter den Sexarbeiterinnen. Für diese anderen Sprachen haben wir derzeit aber leider keine kulturellen Mediatorinnen.

Auf wie viele Beratungen im Jahr kommen Sie in etwa?

Im Jahr 2017 hatten wir zwischen 1100 und 1200 Kontakte im Streetwork mit Sexarbeiterinnen. Und zirka 1000 Beratungen. Der Bedarf wäre wesentlich höher. Wir haben leider aber nicht die Ressourcen, um alles abdecken zu können.

Welche Rolle spielt das Thema Gesundheit?

Frauen mit Fragen zum Thema Gesundheit kommen einerseits in die Beratungsstelle, andererseits setzen wir auf Streetwork. Unsere Mitarbeiterinnen sind also an den Arbeitsorten vor Ort: vor allem in Wien, teilweise auch in den Bundesländern. In den Lokalen – Bordellen, Bars, Laufhäusern etc. – versuchen sie Informationen über die Arbeitsbedingungen in Erfahrung zu bringen und für Fragen der Frauen da zu sein. Darüber hinaus bieten wir Workshops an. Das heißt, wir fassen kleine Gruppen interessierter Frauen zusammen und behandeln ein Schwerpunktthema. Ein solches ist Gesundheit. Von Interesse sind etwa die Übertragbarkeit von Geschlechtskrankheiten, Verhütung und Schwangerschaft sowie der Bereich der ganzheitlichen Gesundheit. Darunter fallen Fragen wie: Was bedeutet es, als Frau in der Sexarbeit tätig zu sein? Was braucht es für Gesundheit auf psychischer und physischer Ebene? Und wie kann man sich als Frau gesund halten, um der Arbeit bestmöglich nachgehen zu können.

Haben die meisten der Frauen eine Krankenversicherung?

Ja, Frauen die registriert, also offiziell in der Sexarbeit tätig sind, müssen eine Versicherung haben. Und wir von LEFÖ haben in erster Linie mit diesen Frauen zu tun. An die anderen heranzukommen ist sehr schwierig. Deshalb sprechen wir uns für die Anerkennung von Sexarbeit als Beruf aus. Denn bei Restriktionen gehen die Frauen vermehrt in den illegalen Bereich. Und dann haben sie keinen Zugang mehr zu uns und wir nicht zu ihnen.

Sie arbeiten auch mit einer niedergelassenen Ärztin zusammen.

Genau. Dr. Ruth Bonin-Schulmeister ist Allgemeinmedizinerin und kommt zwei Mal im Monat zu uns in die Beratungsstelle. Sie hat einen alternativen medizinischen Zugang und sieht sich als Gesundheitsberaterin. Untersuchungen nimmt sie in der Beratungsstelle nicht vor, dafür würde die Zeit nicht ausreichen. Die Frauen können aber natürlich auch ihre Ordination im 5. Bezirk aufsuchen, wenn sie Untersuchungen benötigen.

Welche Erfahrungen machen Sexarbeiterinnen grundsätzlich mit niedergelassenen Ärzten?

Die Frauen müssen alle sechs Wochen zu verpflichtenden medizinischen Kontrolluntersuchungen gehen – in Wien ins „Zentrum für sexuelle Gesundheit“ der Krankenanstalt Rudolfstiftung (ehemals STD-Ambulatorium). Die Amtsärzte dort untersuchen sie vor allem auf Geschlechtskrankheiten und in größeren Intervallen auf HIV. Darüber hinaus wird regelmäßig ein Lungenröntgen gemacht, um Tbc auszuschließen. In der Sexarbeit ist der Körper eine ganz wesentliche Ressource, um der Arbeit gut nachkommen zu können. Deshalb suchen die Frauen normalerweise auch andere Ärzte und Ärztinnen auf, wie Gynäkologen.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Wir fordern viel Respekt gegenüber den Sexarbeiterinnen, egal welche Profession ihnen begegnet. Gerade in einem so intimen Bereich wie bei Ärzten sind Respekt und Anerkennung besonders wichtig. Sexarbeiterinnen sind auch Expertinnen ihres Lebens und ihrer Gesundheit. Und so sollten unserer Meinung nach die Ärzte sie sehen. Notwendig wäre, dass die Amtsärzte auch sprachlich darauf achten, dass die Migrantinnen sie verstehen. Oft hilft schon, wenn man eine einfachere Sprache verwendet und sich ausreichend Zeit fürs Gespräch nimmt. Oft kommen die Frauen zu einem Termin zu uns, und wir erklären ihnen, was im Arztbrief steht. Wir haben eine Krankenschwester im Team, die die medizinischen Fachbegriffe gut kennt. Wir machen das gerne. Doch eigentlich wäre es Aufgabe der Ärzte, die die Diagnose stellen, den Frauen zu erklären, wie man die Geschlechtskrankheit bekämpft, wann man damit arbeiten darf und wann nicht, worauf man bei der Verhütung achten muss usw.

Wann sollten Ärzte die Frauen an eine Beratungsstelle wie LEFÖ weiterleiten? Zum Beispiel bei Anzeichen von Gewalt oder Abhängigkeiten?

Das wäre wichtig, ja. In diesem Zusammenhang spielen auch Datenschutz und Anonymität eine Rolle. In den Beratungen etwa erzählen die Frauen schon von eigenen Gewalterfahrungen. In den Workshops, die wir ebenfalls zum Thema anbieten, sprechen sie hingegen oftmals eher davon, dass eine Freundin oder Bekannte betroffen gewesen sei. Vorteil der Workshops ist, dass die Frauen sich austauschen können, es kommt zu einem gegenseitigen Lernen. Wir setzen auf Empowerment: Wir versorgen die Frauen mit Wissen, damit sie kritische Situationen bestmöglich selbst bewältigen können. Dafür braucht es auch eine gute Zusammenarbeit mit der Exekutive. Die Frauen müssen wissen, dass sie das Recht haben, Anzeige zu erstatten, wenn ein Kunde gewalttätig wird.

Sie setzen auch auf „Peer-Educators“. Könnten Sie uns ein Beispiel aus dem Gesundheitsbereich nennen?

Wenn wir Workshops vor Ort in den Lokalen anbieten, erreichen wir nie alle Frauen. Zu „Peer- Educators“ werden oft Frauen, die schon länger an einem Ort arbeiten, vielleicht mehr Erfahrung oder einfach besonderes Interesse an einem Thema haben. Sie geben ihr Wissen an andere weiter. Im Bereich Gesundheit geht es dabei wiederum um Themen wie geschützten Verkehr oder das Einordnen von Symptomen, die auf sexuell übertragbare Krankheiten hinweisen können.

Ein abschließender Appell an die Politik?

Es ist wichtig, dass Migrantinnen- und Menschenrechtsberatungsstellen auch in Bezug auf Sexarbeit genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um die Arbeit kontinuierlich und systematisch durchführen zu können. Wir setzen uns für schützende Rahmenbedingungen ein, und dafür braucht es ebenso von der Politik einen klaren proaktiven Zugang zum Thema. Es braucht Schutz vor Gewalt, Ausbeutung, Diskriminierung und Stigmatisierung. Auch Amnesty International fordert den Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen ein.

LEFÖ

DSA Renate Blum, MAS, ist für den Bereich Öffentlichkeits-, Sensibilisierungsund Lobbyingarbeit des Vereins LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen, verantwortlich. Weitere Bereiche in LEFÖ sind: eine Beratungsstelle für lateinamerikanische Frauen, ein Lernzentrum für Migrantinnen, die Beratungsstelle für Migrantinnen in der Sexarbeit sowie eine Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel.

Kontakt: Kettenbrückengasse 15/4, 1050 Wien Tel. 01/5811881, www.lefoe.at

Beratung in den Bundesländern:

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune