26. Nov. 2018

Neun Antworten zur allgemeinmedizinischen Lehrpraxis

Die verpflichtende allgemeinmedizinische Lehrpraxis ist nach langem politischen Ringen Realität. Seit Sommer wird sie für sechs Monate gefördert. Lesen Sie hier, worauf Praxisinhaber und Turnusärzte achten sollten. (Medical Tribune 47/18)

Die Lehrpraxis ist für angehende Allgemeinmediziner seit Mitte 2018 verpflichtend, sofern sie in die neue Ärzteausbildungsordnung 2015 fallen. Vorerst sind sechs Monate bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner vorgesehen, im Anschluss an die 27 Monate Praxis im Spital. Ab 1.6.2022 soll die verpflichtende und geförderte Lehrpraxis dann auf neun und ab 1.6.2027 auf zwölf Monate ausgedehnt werden. Den Lehrpraxis-Gesamtvertrag unterzeichneten Ärztekammer und Hauptverband 2017. Seit 2016 gibt es auch einen neuen „Lehrpraxis- Kollektivvertrag“. In einem aktuell erschienenen Leitfaden für die postgraduale Lehrpraxis beantworten ÖÄK und ÖGAM wichtige Fragen von (künftigen) Lehrpraxisleitern und Praktikanten rund um die Thematik (siehe Buchtipp).

1 Welche Formen anerkannter Lehrpraxen gibt es?

Für Ärzte in der Ausbildung für Allgemeinmedizin verpflichtend im Fach Allgemeinmedizin (derzeit sechs Monate); sowie wahlweise in den Fachgebieten Kinder- und Jugendheilkunde, Orthopädie und Traumatologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Augenheilkunde und Optometrie, HNO, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Neurologie und Urologie in der Dauer von je drei Monaten (insgesamt max. zwölf Monate). In Ausbildung zum Facharzt eines Sonderfaches (ausschließlich im Rahmen der Sonderfach-Schwerpunktausbildung) im maximalen Ausmaß von zwölf Monaten.

2 Kann jeder Arzt eine Lehrpraxis führen?

Nein, es sind eine Reihe an Voraussetzungen gesetzlich vorgegeben, wie dass man eine mindestens vierjährige Berufserfahrung und zumindest 800 Patienten pro Quartal braucht, ein von der ÖÄK anerkanntes Lehr(gruppen)-Praxisseminar im Ausmaß von zwölf Stunden absolviert und ein gültiges ÖÄK-Fortbildungsdiplom haben muss, über eine entsprechende Praxis- und EDV-Ausstattung verfügt usw. Details: www.aerztekammer.at (Ausbildung/ÄAO 2015 bzw. Anerkennung von Lehrpraxen). Die Fortbildung ist verpflichtend für Hausärzte, die eine allgemeinmedizinisch verpflichtende Lehrpraxis führen, sowie für Fachärzte, die Teile der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin in ihrer fachärztlichen Lehrpraxis (oder in einem Institut) vermitteln.

3 Welche Inhalte umfassen Lehrpraxisseminare?

Acht der insgesamt zwölf Stunden sind in Form von E-Learning zu absolvieren. Dieses umfasst die Themenblöcke ärztliches Berufsrecht, Arbeitsrecht, Vertragspartnerrecht, Gesundheitsökonomie sowie Praxismanagement und Personalführung. Vier Stunden müssen als Präsenzfortbildung absolviert werden, die insbesondere die Themenblöcke Didaktik, Rasterzeugnis und Evaluation/Feedback zu erfassen hat. Infos: www.arztakademie. at (Fortbildungsangebot).

4 Wie erfolgt die Lehrpraxisfinanzierung?

Die Einigung mit Bund, Ländern und Sozialversicherung sieht vor: Der Umfang der Förderung für verpflichtende Lehrpraxen bezieht sich auf 30 Wochenstunden. Als Bemessungsgrundlage wird das aktuelle Gehalt des Turnusarztes im Krankenhaus bei Dienstzuteilung (Grundgehalt, allgemeine Zulagen und Lohnnebenkosten) herangezogen (aliquot). Eine Gefahrenzulage steht in Höhe von 60 Euro zu. In der Einführungsphase bis 2021 trägt der Bund 25 Prozent des Gesamtbetrages für die sechs Monate (gedeckelt mit 4 Millionen Euro für drei Jahre), die Länder 32,5 Prozent, die Sozialversicherungen 32,5 Prozent und die Ärzteschaft 10 Prozent. Sollten die 4 Millionen des Bundes nicht ausreichen, übernehmen Länder und Sozialversicherung darüber hinausgehende Förderungen jeweils zur Hälfte.

5 Welches Arbeitsverhältnis ist möglich?

Österreichweit sind zwei Modelle vorgesehen:

  • Anstellung in einer Lehr(gruppen)praxis für Allgemeinmedizin; oder
  • Weiterbeschäftigung in der bisherigen „Ausbildungskrankenanstalt“ unter Dienstzuteilung in eine Lehrpraxis.

Das Gehalt erhält der Ausbildungsarzt somit entweder vom Lehrpraxisinhaber oder von der Krankenanstalt. In Wien beispielsweise gibt es – entgegen der ursprünglichen Zusage des Wiener Krankenanstaltenverbunds, die Anstellung der Turnusärzte während der Lehrpraxis beizubehalten – nun doch ausschließlich das Modell Direktanstellung in der Lehrpraxis. Zumal sich auch die anderen Spitalsträger der Vorgehensweise des KAV angeschlossen haben. Wie bisher schon gehen somit der Turnusarzt und der Lehrpraxisinhaber ein Ausbildungsverhältnis in Form einer Anstellung ein. Der Turnusarzt ist bei der Krankenkasse entsprechend anzumelden und bekommt einen Dienstzettel ausgehändigt. Der Lehrpraxisinhaber muss darüber hinaus darauf achten, dass seine Haftpflichtversicherung die Tätigkeiten des Lehrpraktikanten mit abdeckt.

6 Wer ist Förderwerber?

Das Abwicklungsprozedere ist in einer vom Gesundheitsministerium bereits erlassenen Sonderrichtlinie Lehrpraxisförderung festgelegt. In der Variante Weiteranstellung in der Ausbildungskrankenanstalt ist der jeweilige Krankenanstaltenträger Förderwerber und erhält die Förderung direkt von den Fördergebern. Die Landesärztekammer ist nicht in die Abwicklung involviert. Bei Anstellung in der Lehrpraxis ist der Lehrpraxisinhaber auch Förderwerber. Mittlerweile wurde fixiert, dass in jenen Bundesländern, in denen dieses Modell zum Tragen kommt (insbesondere Wien, Tirol, Stmk.), die jeweils zuständige Ärztekammer als zentrale Abwicklungsstelle betraut wird und die Fördergelder zentral auszahlt und abrechnet.

Will heißen: Seitens des Gesundheitsministeriums werden vierteljährlich Akontozahlungen an die Landesärztekammer ausgezahlt. Sie leitet diese an die Lehrpraxisinhaber weiter, sodass sie das Gehalt des Turnusarztes nicht (vollständig) vorfinanzieren müssen. Am Ende der Ausbildung erfolgt dann eine Endabrechnung. Für das Land Wien haben sowohl der Hauptverband als auch der Wiener Gesundheitsfonds zugesichert, sich bei der Abwicklung der Förderung der Vorgehensweise des Gesundheitsministeriums anzuschließen. Da es regional Unterschiede gibt, empfiehlt es sich, bei speziellen Fragen die zuständige Landesärztekammer zu kontaktieren.

7 Was ist in puncto Arbeitszeiten zu beachten?

Die wöchentliche Kernausbildungszeit in der Lehrpraxis hat in einem Durchrechnungszeitraum von sechs Monaten durchschnittlich 30 Wochenstunden untertags zu betragen und jedenfalls die Ordinationszeiten zu umfassen. Die tägliche Arbeitszeit darf maximal neun Stunden betragen. Dienstbeginn darf nicht vor 6.30 Uhr, Dienstende nicht nach 20 Uhr sein. Auch Sonn- und Feiertagsregelungen sind im Kollektivvertrag vorgegeben. Eine Anstellung, die über das Anstellungsausmaß von 30 Wochenstunden hinausgeht, ist möglich, es wird dafür, bzw. für geleistete Überstunden, jedoch keine Förderung gewährt. Eine Teilzeitbeschäftigung ist ab einem Mindestanstellungsausmaß von 15 Wochenstunden ebenfalls möglich und verlängert die Ausbildungsdauer.

8 Wie kann das Arbeitsverhältnis beendet werden?

Der erste Monat gilt gemäß Lehrpraxis-KV als Probemonat. Das Arbeitsverhältnis kann von beiden Seiten jederzeit und ohne Angabe von Gründen beendet werden. Danach gelten die Bestimmungen des Angestelltengesetzes. Ist der Vertrag von vornherein befristet, bedarf es zur Beendigung keiner Kündigung. Auch eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist jederzeit möglich.

9 Worauf kommt es bei der Kompetenzvermittlung in der Lehrpraxis an?

Die Inhalte werden nach dem Rasterzeugnis Allgemeinmedizin abgearbeitet. Zusätzlich sollen die Turnusärzte in folgenden Bereichen gefördert werden: Kommunikation, Zusammenarbeit, Fähigkeit für ein lebenslanges Lernen, Bereitschaft, für die Gesundheitsbelange der Patienten einzutreten, ethische ärztliche Haltung und Management. Im Leitfaden „Verpflichtende allgemeinmedizinische Lehrpraxis“ werden verschiedene didaktische Methoden erläutert und Handlungsempfehlungen gegeben. Ziel ist, dass die Ärzte in Ausbildung relevante Inhalte, Erfahrungen und Fertigkeiten erwerben, die im Spital zu kurz kommen, aber als Hausarzt in Österreich von Bedeutung sind.

Buchtipp

ÖÄK, Bundessektion Allgemeinmedizin, ÖGAM: Verpflichtende allgemeinmedizinische Lehrpraxis.

Ein Leitfaden für Lehrpraxisinhaber und Lehrpraktikanten.
Verlagshaus der Ärzte 2018, ISBN 978-3-99052-148-9, 176 Seiten, € 39,90

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune