1. Juni 2018

Unendliche Möglichkeiten zu kommunizieren

Ich mag keine Shopping-Center. Hunderte Geschäfte, Tausende Menschen und kaum irgendetwas, das wir wirklich benötigen. Kaum ein Laden mit qualitativ hochwertigen oder gar nachhaltig produzierten Waren. Dafür unendliche Massen von Billigfetzen aus wenig ansprechenden Kunstfasern, teilweise giftig und auf jeden Fall unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt. Irgendwo, wo wir nicht so genau wissen, was mit den Menschen und der Umwelt dort passiert. Aber Hauptsache, wir haben mehr, das wir kaufen und ehebaldigst wieder wegwerfen können. Ich mag auch praktisch nicht mehr fernsehen. Weil es mir einfach so unendlich viel Arbeit bereitet, durch einen undurchschaubaren Wust von Sendern zu surfen, um die eine intelligente Sendung oder den einen sehenswerten Film zu finden. Noch mehr Sender, noch mehr Angebot, noch mehr Billigserien und nicht zu vergessen Reality-TV. Qualität ist da keine mehr zu finden. Ist aber auch egal.

I wie Informationsflut

Unsere oberste Priorität heißt Quantität. Hauptsache viel. Eigentlich würden wir ja gerne viel UND gut haben. Aber da das meistens einfach nicht zusammengeht, optieren wir lieber für viel. Ob das nun T-Shirts im Kasten oder Plastikspielsachen für unseren Nachwuchs sind. Und in diesem Sinne leben, kaufen und kommunizieren wir. Kommunikation war noch nie so einfach wie hier und heute. Also sollte es eigentlich keine einsamen Menschen, keine unübermittelten Botschaften und keine unausgesprochenen Worte mehr geben. Und warum steigt dann der Bedarf an Psychotherapeuten oder Lebensberatern? Und daneben explodiert der Markt an Energetikerinnen, Sterndeutern und allen möglichen mehr oder weniger abstrusen Zünften, die ihr Geld mit dem Zuhören und Ratgeben verdienen?

Psychische und psychiatrische Erkrankungen jetzt mal ausklammernd, sollte der Rest von uns ja glücklich eingebunden in ausreichend viele Beziehungen, gut vernetzt und noch besser kommuniziert sein. Oder ist vielleicht auch in diesem Bereich die Quantität nicht zu unserem Segen? Es ist nun schon fast dreißig Jahre her, dass ich von Madrid wieder zurück nach Graz gezogen bin. Eine unvorstellbar lange Zeit. Ich war zurück und hatte Sehnsucht nach meinen Freunden. Und schrieb Briefe. Und wartete tagelang auf die Antwort. Die Post war schon damals langsam und die spanische noch langsamer. Aber wenn ein Brief kam, dann war das etwas Besonderes. Er wurde geöffnet und erst mal verschlungen. Und dann nachher in Ruhe noch einmal gelesen. Bis alle Aussagen, Andeutungen und Metaebenen verstanden und memoriert waren. Und dann wurde er in Ruhe beantwortet, die Antwort überlegt, der eine oder andere Nachsatz angefügt, weil einem immer noch irgendetwas Wichtiges eingefallen war.

Gegen Mitternacht am Wochenende war das Telefonieren billiger, und die Nachbarin hatte endlich das Vierteltelefon freigegeben. Dann gab es kostbare Gesprächsminuten, die waren Gold wert. Im emotionalen und materiellen Sinn. Falls jetzt jemand auf falsche Ideen kommt: Ich sehne mich nicht zurück nach dieser Zeit. Ich glaube auch, dass hundert Jahre früher, als man wochenlang auf die Postkutsche mit den Nachrichten seiner Liebsten warten musste, mir das etwas zu viel an Romantik gewesen wäre. Nein, ich bin froh, über die heutigen Möglichkeiten der Kommunikation, die mir zur Verfügung stehen. Ich habe Festnetztelefon und Fax, ein Mobiltelefon, E-Mail und nutze Facebook und WhatsApp. Ich sehne mich wirklich nicht nach den Zeiten der Postkutsche und ganz bestimmt nicht nach dem Vierteltelefon. Zumal ich auch ein extrem ungeduldiger Mensch bin. Ich sehne mich aber nach der Zeit, als eine Nachricht noch einen Wert hatte.

Als ich mich noch neugierig beim Klingeln des Telefons auf den Anrufer gefreut habe. Und nicht „Wer will denn jetzt schon wieder was von mir?“ gegrummelt habe. Und ich würde so gerne zurück in eine Zeit, als eine Message noch gelesen wurde. Als es noch normal war und zum Respekt vor dem anderen gehört hat, zuzuhören und wahrzunehmen. Ich versuche das immer noch. Ich lese auch all die Nachrichten (keinen Junk und keine Spams natürlich), die man mir, egal in welchem Medium, schickt. „Da bist du aber die Einzige!“, wurde ich kürzlich informiert. Wahrscheinlich muss ich mich ändern. Ich schreibe längst keine Briefe mehr. Ich rufe auch kaum mehr jemanden an, schon gar nicht am Wochenende. Um nicht zu stören. Denn die Zeitpläne meiner Lieben sind zum Bersten voll.

Ich schreibe ganz gerne mal ein WhatsApp. Manchmal will ich doch von etwas Schönem berichten, oder gelegentlich fühlt sich auch mein Leben zu schwer oder zu kompliziert an. Und dann brauche ich Hilfe oder zumindest einen Zuhörer (Leser). Nicht länger als einen Bildschirmausschnitt am iPhone, wenn’s geht, nur einen halben. Um nicht zu überfordern. „Das überflieg ich maximal, das les ich gar nicht“, klärte mich eine Freundin unlängst auf. Also schreibe ich auch kein WhatsApp mehr und keine SMS. Hie und da ein Foto und einen Smiley dazu. Nur nicht zu viel Kommunikation. Falls Sie mir in nächster Zeit auf der Straße begegnen und mich dabei beobachten, wie ich vor mich hinmurmle, wundern Sie sich bitte nicht. Ich rede mit mir selber, weil ich noch Gespräche brauche. Ich glaube, ich bin ein passabler Zuhörer. Und gelegentlich gebe ich mir auch gute Ratschläge.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune