9. Mai 2018Geriatrie

Stürze: Protokoll ohne Einsichten

Die sehr zeitaufwendigen Sturzprotokolle scheinen nicht viel zu bringen. Besser wären Assessments zur Sturzprävention, zeigt eine Untersuchung in zwei Pflegekrankenhäusern in Wien. (Medical Tribune 19/18)

Geht’s auch ohne Protokoll? Diese Frage stand am Anfang einer umfangreichen Analyse, deren Ergebnisse in Form eines Posters* auf dem Geriatrie-Kongress präsentiert wurden. Der Hintergrund: 30–50 % der Patienten in geriatrischen Langzeiteinrichtungen stürzen mindestens einmal im Jahr, 40 % sogar mehrmals. Verschiedene Assessments dienen dazu, die Sturzrisiken abzuschätzen. Nach einem Sturz dokumentieren in der Regel Pflegekräfte gemeinsam mit den behandelnden Ärzten die Umstände, die zum Sturz führten, in einem „Sturzprotokoll“, um Muster und wiederkehrende Verhaltensweisen zu erkennen und in Folge die Patienten vor künftigen Stürzen zu bewahren. Bis zu 24 verschiedene Faktoren werden abgefragt, das Ausfüllen des Protokolls dauert im Schnitt zehn Minuten.

Fast 3.500 Sturzprotokolle

3.488 Sturzprotokolle zweier geriatrischer Pflegekrankenhäuser – Haus der Barmherzigkeit, Seeböckgasse und Tokiostraße – mit insgesamt 620 Betten wurden untersucht, u.a. im Hinblick auf Korrelationen zu Laborparametern und Ergebnissen anderer Assessments aus Medizin, Pflege und Therapie. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • 1.205 Patienten wurden von 2015 bis 2017 betreut.
  • 488 (40,5 %) Patienten stürzten, 40,1 % einmal, 59,9 % mehrmals jährlich.
  • Acht von zehn Stürzen erfolgten ohne Beobachtung durch andere Personen.
  • Das Ausfüllen der Sturzprotokolle beanspruchte rund 31 Minuten täglich, davon etwa sechs Arzt- und 25 Pflegepersonminuten.
  • Die meisten Stürze passierten am Nachmittag, der Sturzhöhepunkt war nach dem Mittagessen auf dem Weg ins Zimmer.
  • Die Patienten mit erhöhtem Sturzrisiko stürzten bis zu achtfach häufiger als jene mit geringem Risiko.

Die zahlreichen Detailanalysen und Berechnungen ergaben nichts Überraschendes: Es stürzten jene Patienten am häufigsten, von denen man es auch erwartet hatte. „Die Analyse der teils sehr zeitaufwendig angefertigten Sturzprotokolle erbringt unserer Meinung nach keinen weiteren Erkenntnisgewinn, der zur Reduzierung der Stürze beitragen könnte“, schlussfolgern daher die Autoren. Sturzassessments erscheinen ihnen zur Sturzprävention geeigneter.

Protokolle abschaffen?

Derzeit werde diskutiert, die Sturzprotokolle gänzlich abzuschaffen oder zumindest auf die Kernaussage – schwere Sturzfolge: Ja oder Nein? – zu reduzieren. Jedoch sei der Widerstand dagegen hoch.

* Haider V, Sturtzel B, Zettl-Wiedner K, Ohrenberger G, Poster: „Erkenntnisse aus Stürzen – ‚Geht’s auch ohne Protokoll?‘“, Forum für Geriatrie und Gerontologie; Bad Hofgastein, März 2018

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune