27. Apr. 2018Diätologiekongress in Wien

Beim Darmkrebs geht es um die Wurst

Durch entsprechende Ernährung, Bewegung und Gewichtsmanagement könnte jede zweite Darmkrebserkrankung vermieden werden. Eine große Rolle dabei spielt verarbeitetes Fleisch. Dessen Karzinogenität ist aber nicht mit Alkohol oder Rauchen vergleichbar. (Medical Tribune 17/18)

Der Ernährungskongress des „Verbands der Diaetologen Österreichs“ in Wien drehte sich rund um das Thema Darmgesundheit. Vortragende Julia Lobenwein, Diätologin an der Universitätsklinik Innsbruck, ging auf das Thema Darmkrebsprävention ein und brachte den Konsum von Fleisch und Wurst damit in Zusammenhang. Da sich das Präventionspotenzial für das kolorektale Karzinom laut dem World Cancer Research Fund (WCRF) auf 47 % in den USA, 45 % in GB, 41 % in Brasilien und 22 % in China beläuft, lohnt sich ein Blick auf die einflussnehmenden Faktoren. Dazu gehören das Ausmaß an Körperfett, körperliche Aktivität, Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch, ballaststoffreichen Lebensmitteln und Alkohol.* Die starke, länderspezifische Abweichung des Präventionspotenzials könnte laut Lobenwein mit den unterschiedlichen Essgewohnheiten zusammenhängen. Denn vergleicht man die alimentäre Situation in China mit der in westlichen Industrieländern, so werden in dem asiatischen Land beispielsweise mehr Getreideprodukte wie Reis oder Nudeln und weniger verarbeitetes Fleisch konsumiert.

Verarbeitetes Fleisch mit starker Evidenz karzinogen

Auch im Colorectal Cancer Report 2017 gibt der WCRF mit starker Evidenz das erhöhte Risiko durch verarbeitetes Fleisch, alkoholische Getränke, Körperfett und Körpergröße im Erwachsenenalter an. Körperliche Aktivität hingegen gilt als risikosenkender Einfluss der gleichen Evidenzklasse. Unter den risikosteigernden Faktoren mit starker, wahrscheinlicher Evidenz findet sich rotes Fleisch. Risikosenkend mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Zufuhr von Vollkornprodukten, Ballaststoffen, Milchprodukten und Kalzium-Supplementen. Als mögliche Ursachen für das karzinogene Potenzial von Fleisch nennt Lobenwein folgende Faktoren: Die Substanz Häm, welche vor allem in rotem Fleisch vorkommt und eine Lipidperoxidation auslöst, wodurch tumorinduzierende Faktoren gebildet werden.

Auch heterozyklische Amine und polyzyklische, aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), welche durch starkes Erhitzen gebildet werden, gelten als kanzerogen. Zudem nennt Lobenwein Nitrosoverbindungen, welche in gepökelten Fleisch- und Wurstwaren vorkommen. Allerdings ist die Nitrosamin- Aufnahme laut Experten gering einzuschätzen, da einerseits heutzutage weniger Nitrit-Pökelsalz verwendet wird als früher und andererseits den Produkten häufig Ascorbinsäure zugesetzt wird, welche den Umbau von Nitrat zu Nitrosaminen verhindert. Auch der Fettgehalt von Wurstwaren wird als mögliches Dickdarmkanzerogen diskutiert, da es dadurch vermehrt zur Bildung von Gallensäuren kommt. Besonderes mediales Interesse zum Thema Krebspotenzial von Fleisch wurde 2015 geweckt, als die International Agency for Research on Cancer (IARC) Fleisch in die karzinogene Klassifikation aufgenommen hat.

In die Gruppe 1 („Carcinogenic to humans“) wurde verarbeitetes Fleisch wie Salami, Speck oder Wurstwaren gereiht, in die Gruppe 2A („Probably carcinogenic to humans“) rotes Fleisch von Schwein, Lamm oder Rind. Durch die Tatsache, dass Tabakrauch ebenfalls der Gruppe 1 zugeordnet wurde, entstand der Eindruck einer gleich schädlichen Wirkung von Fleischkonsum und Tabakrauchen auf den Organismus. Vergleicht man jedoch Daten der Global Burden of Disease Study 2013, so lässt sich ein deutlicher Unterschied bei den Todesfällen, bedingt durch hohen Fleischverzehr versus Rauchen, erkennen. Denn die Mortalitätsrate durch Rauchen ist weltweit ungefähr neunmal so hoch, wodurch sich das kanzerogene Potenzial dieser beiden Faktoren wieder besser in Relation setzen lässt.

Fleischkonsum und aktuelle Empfehlungen des WCRF

Lobenwein ging auf die aktuellen Empfehlungen des WCRF ein. Der Konsum von verarbeitetem Fleisch – durch Räuchern, Beizen, Salzen oder die Zugabe anderer chemischer Mittel – sollte möglichst vermieden werden, da eine Risikoerhöhung von 18 % je 50 Gramm besteht. Praktisch umgelegt würden diese Zahlen zur Risikoeinschätzung bedeuten, dass bei täglichem Konsum von 50 Gramm der genannten Ware von 1000 Männern im Alter von 65 Jahren insgesamt 28 statt nur 24 erkranken. Bezüglich rotem Fleisch wie Schwein, Rind, Kalb, Schaf oder Ziege empfiehlt der WCRF eine Menge von maximal 500 Gramm pro Woche, wobei sich diese Angabe auf die bereits zubereitete Form bezieht. Zu beachten ist auch die Differenzierung der Fleischsorten, gemeint sind in diesem Fall gezüchtete Tiere und kein Wildfleisch.

Weitere Risikofaktoren für Dickdarmkrebs

  • Alkohol – risikoerhöhend: Signifikante Daten in Bezug auf das Kolorektalkarzinom wurden erst ab einer Menge von 30 Gramm Alkohol pro Tag erfasst (zum Vergleich: 10 Gramm reiner Alkohol entsprechen ungefähr 1/8 Liter Wein oder 0,25 Liter Bier). Als mögliche Mechanismen nennt Lobenwein karzinogene Metaboliten beim Alkoholabbau (z.B. Acetaldehyd), die Bildung freier Radikale sowie eine erleichterte Penetration von Karzinogenen in die Zellen, denn Alkohol agiert hierbei als Lösungsmittel.
  • Körperfett – risikoerhöhend Als Vergleichsparameter wurden Body- Mass-Index (BMI), Taillenumfang und Waist-to-Hip-Ratio herangezogen. Fazit war, dass bei einem BMI > 27 kg/m2 ein erhöhtes Risiko für Dickdarmkrebs vorlag. Als möglicher Zusammenhang gelten zwei Faktoren: Einerseits erhöhte Insulinspiegel bei hoher Körperfettmasse – dies fördert das Zellwachstum und hemmt die Apoptose. Andererseits wird durch einen erhöhten Fettanteil die Inflammation im Organismus stimuliert.
  • Körperliche Bewegung – risikosenkend Körperliche Bewegung aller Art hat einen positiven Einfluss auf das Gewichtsmanagement durch Verminderung des Körperfettanteils und wirkt zudem einer Insulinresistenz und Inflammation entgegen. Außerdem erhöht körperliche Bewegung die Darmperistaltik und senkt so die Transitzeit, wodurch toxische Stoffe schneller ausgeschieden werden können.
  • Spezielle Nahrungsmittel mit risikosenkender Eigenschaft Vollkornprodukte und ballaststoffreiche Lebensmittel wirken sich gesundheitsförderlich bei der potenziellen Entstehung von Dickdarmkrebs aus. Auch Milchprodukte (durch den Gehalt an Kalzium und Milchsäurebakterien) sowie Kalzium- Supplemente gelten als risikosenkende Faktoren, da Kalzium unkonjugierte Gallensäuren im Darm binden kann, welche folglich nicht mehr toxisch an den Enterozyten reagieren. Besonders günstig sind auch Milchbestandteile wie Laktose oder Kasein, da dadurch die Bioverfügbarkeit von Kalzium im Darm erhöht wird.

* World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research: Diet , nutrition, physical activity and colorectal cancer 2017: www.wcrf.org/sites/default/files/Colorectal-Cancer-2017-Report.pdf; www.wcrf.org/int/colorectal-cancer-report-frequentlyasked-questions [abgerufen am 14.03.2018].

35. Ernährungskongress des Verbandes der Diaetologen Österreichs; Wien, März 2018

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune