23. Dez. 2017

Dr. Stelzl: Solidarischer Geräte-Suizid bei Vollmond

Manche Wochen wecken schon am Montagmorgen den Wunsch, sie mögen endlich zu Ende gehen. Zum Beispiel die gerade aktuelle. Es beginnt am Montag um halb acht, der Beste aller Ehemänner und ich sind gerade in der Ordination eingetroffen, wo die Beste aller Assistentinnen bereits mit laufenden PCs auf den kommenden Patientenansturm wartet. Der Beste aller Ehemänner bemerkt, dass der Boiler nicht läuft. „Hast du den ausgeschaltet?“ „Nö, ganz im Gegenteil, hab ihn übers Wochenende wieder einmal extra heiß aufgedreht, damit wir die Legionellen gründlich durchkochen.“

Ein Blick in den Sicherungskasten zeigt eine runtergefallene Sicherung. „Ich drück das Ding wieder rauf, und dann haben wir bald wieder warmes Wasser.“ Meine ich. Famous last words. Es macht klack, der Schalter ist oben, und peng und er ist wieder unten. Leider hat der Boiler auf seinem Suizid auch die Beleuchtung, die Computer und vor allem die GINA-Box mit ins Verderben gerissen.

Nach einigen sehr hektischen Minuten – wir sind erstmals in unserem Ordinationsleben glücklich, dass uns gleich die ersten zwei Vorsorgepatienten versetzt haben – laufen die Computer wieder. Licht gibt’s auch, abzüglich ein paar nicht überlebenswichtiger Spots, die durchgebrannt sind. Warmwasser wird es noch die nächsten Wochen keines geben, aber wer braucht das schon im Winter. Naiv wie ich bin, dachte ich, dass man so ein Boilerding in 20 Minuten tauschen könnte. Stimmt aber nicht. Der alte wird ausgelassen, Tonnen von Kalkscherben werden herausbröseln und dazwischen tröpfeln Wassermassen raus. Und dann muss das neue Ding dran und wieder eingelassen werden. Veranschlagte Zeit: drei Stunden. Geht natürlich nicht während der Ordination, am Abend oder Wochenende. Also Kaltwasser.

Die vom Stromausfall mitbeleidigte GINA-Box braucht zwar keine drei Wochen, bis sie endlich gnadenhalber wieder hochfährt. Aber lange genug, um uns den Unmut diverser Patienten zu sichern, die einfach nicht verstehen, warum sie keine Rezeptbewilligungen oder Krankmeldungen kriegen können und warum wir auch keinen behandeln können, den wir nicht kennen und damit auch seinen Versicherungsstatus nicht. Etwas später, ich kann endlich wieder einigermaßen arbeiten (heute ist Laborgroßkampftag), macht die Zentrifuge eigenartige Geräusche. Genau genommen macht sie gar keine Geräusche, was ja das eigentlich Eigenartige ist: solidarischer Suizid meiner technischen Geräte.

N wie Notfälle

Die Woche geht weiter, viele kranke Leute, Kaltwasser, Leihzentrifuge und, weil’s so schön ist, auch noch ein dringender Termin in der Autowerkstatt. Eigentlich bin ich am Wochenende tot. Aber zur Belohnung hab ich Ärztenotdienst. Also hocke ich mich im Morgengrauen ans Telefon in der Zentrale, welches bald zu klingeln beginnt und für die nächsten zwölf Stunden auch nicht mehr aufhören will. Vollmond haben wir auch. Laut Studien beeinflusst das angeblich das Verhalten der Menschen nicht. Aber diese Studien sind sicher nicht bei uns im Ärztenotdienst gemacht worden. Sonst wären sie wahrscheinlich anders ausgefallen. Eine der ersten Anruferinnen ist süße 20 und hat sich gerade beim Zähneputzen in den Hals geschaut. Da hinten am Zapferl ist es ganz rot. Sie fragt, ob sie gleich den Notarzt holen soll. Nein, bitte nicht. (Auch bitte nicht auf die Klinik gehen!) Einfach in unsere Ambulanz kommen!

Danach ein junger Mann voller Besorgnis um seine offensichtlich an Absencen leidende Lebenspartnerin. Das Antiepileptikum, das sie regelmäßig nehmen muss, sei im Mai abgelaufen. Wo kriegen sie jetzt am Wochenende ein neues her? „Gerne können Sie bei uns in der Ambulanz ein Rezept holen“, beruhige ich ihn. Und verkneife mir alle Fragen zum Thema, was mit dem Antiepileptikum im letzten halben Jahr war, bevor sein Ablaufdatum am Wochenende zum Notfall geworden ist. Danach ruft eine Dame an wegen ihrer Mutter und schreit mich zuerst mal zusammen, dass ich jetzt schon – Zumutung! – die Dritte wäre, mit der sie sprechen müsste. Im Rahmen des Deeskalationsprozesses finde ich die Ursache des Problems. Wenn man von auswärts anruft, muss man für Graz halt 0316 wählen. (Na, das ist ja mal was Besonderes.) Da die Dame weder bei ihrer Mutter weilt, noch Genaues über den Zustand der alten Dame weiß, möchte ich mit dieser selber reden. Sehr ungehalten gibt sie mir die Nummer. Ich finde es wirklich wichtig, dass eine Kollegin die Frau visitiert, was die noch einmal anrufende Tochter dazu animiert, mich wieder anzupflaumen.

Danach ein junger Mann. Die Schwiegermutter hätte sich gestern mit dem Gemüsemesser ganz tief in den Finger geschnitten. Es blutet nicht mehr, die Beweglichkeit ist ok, erfahre ich. In welche Notfalleinrichtung sie fahren könnte? Da offenbar weder Gasbrand noch Amputation drohen, entgegne ich, dass das nicht nötig sei. Aber es tut ja noch weh! (Wer hätte das gedacht?) Die Nächste meint, sie braucht ein Antibiotikum wegen eines HNO-Infekts. Sie würde ihre Schwester vorbeischicken. „Da müssen Sie schon selber kommen.“ „Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe meine Kinder gebadet!“ „Na ja, dann warten Sie halt ein bisschen und packen sie schön warm ein wie sonst auch zum Spazierengehen.“ Will sie nicht. Sie schickt die Schwester. „Na, dann geben sie ihr auch Ihre Nase und Nebenhöhlen mit. Dann sehen wir, was wir für Sie tun können.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune