Kolumne Dr. Retschitzegger: In Beziehung sein

Wir alle kennen besondere Erlebnisse unseres beruflichen Lebens, welche uns lange und vielleicht für immer in Erinnerung bleiben. Bei mir ist dies unter anderem die erste Hochzeit eines weit fortgeschritten erkrankten Palliativpatienten und seiner Frau auf meiner Palliativstation vor vielen Jahren. Nie werde ich diese berührende Feier vergessen. Der Mann verstarb nach drei Wochen. Die Ehe dauerte sein Leben lang. Die Liebe als besondere Kraft und wesentliches Element im Leben. Im Leben unserer PatientInnen und in unserem eigenen. Immer noch beeindruckt es mich, wenn ich jetzt „alte“ Paare in meiner palliativgeriatrischen Tätigkeit erlebe. Da sind diese zwei lang vertrauten Menschen im Pflegeheim, die jeden Tag miteinander spielen. „Mensch ärgere dich nicht“ – ja, das traditionelle Brettspiel – und oft auch das andere „Spiel“, das des zwischenmenschlichen Lebens und Erlebens.

Abschied nehmen

Und diese anderen Beiden, seit nahezu 70 Jahren miteinander verheiratet. Eine fortgeschrittene Demenz­erkrankung ist mittlerweile Teil ihrer Beziehung, ihres jahrzehntelangen Paarlebens. Jeden Tag verbringen sie miteinander, nach wie vor. Ich finde, mittlerweile sehen sie sich schon sehr ähnlich, diese Zwei. Natürlich ist das Abschiednehmen Teil dieser Beziehungen, oft unbewusst, oft aber auch bewusst. Auch in dieser hier: Lange Zeit hat „sie“ „ihn“ betreut. Ganz plötzlich hat sich nun der Gesundheitszustand der Frau verschlechtert, und ihr Mann sitzt beim Bett und nimmt emotional Abschied von seiner Frau.

Worauf es ankommt

Und während das Wiener Burgtheater die Theatersaison großartig mit Shakespeares bezaubernder Komödie des jungen Liebens und Lebens „Ein Sommernachtstraum“ eröffnet, kommt mit „Unsere Seelen bei Nacht“ nach dem Bestseller von Kent Haruf ein Film ins Kino, in dem Jane Fonda und Robert Redford sich alt neu verlieben. „Worauf kommt’s im Leben an?“, war die regelmäßige letzte Frage in einer schönen Interviewserie. Leben ist ein In-Beziehung-Sein. Bis zuletzt. Unsere Beziehungen sind, wie sie sind und wie wir sind. Wir können uns jedenfalls glücklich schätzen, wenn es uns gelingt, unsere Beziehungen gut zu leben.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune