8. Mai 2017

Was Krebspatienten zur Misteltherapie bewegt

Die Misteltherapie ist in der Onkologie ein häufig angewandtes komplementärmedizinisches Verfahren. Eine deutsche Studie untersuchte die Beweggründe, warum sich Patienten für oder gegen eine Misteltherapie entscheiden. (Medical Tribune 18/2017)

Der Informationsbedarf zur Misteltherapie ist hoch.
Der Informationsbedarf zur Misteltherapie ist hoch.

Zwei von fünf Krebspatienten im deutschsprachigen Raum nutzen komplementärmedizinische Therapien, Tendenz steigend. Ein sehr bekanntes Verfahren ist die Misteltherapie. Um herauszufinden, welche spezifischen Beweggründe Krebspatienten für oder gegen eine Misteltherapie haben, führten Dr. Kathrin Gschwendtner, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, und Kollegen qualitative leitfadengestützte Interviews mit 88 Krebspatienten durch.

Ein Fünftel nutzt Misteltherapie

Die von der Deutschen Krebshilfe finanzierte Studie – die Autoren geben keine Interessenskonflikte an – schloss als primäre Zielgruppe Patienten mit einer der vier häufigsten onkologischen Diagnosen (Mamma-, Prostata-, Bronchial- und kolorektales Karzinom) ein. Aber auch Patienten mit anderen Krebsdiagnosen wurden rekrutiert. Zudem nahmen nur Patienten aus unterschiedlichen Kontexten „mit schulmedizinischem Hintergrund“ teil (Reha-Klinik, Palliativstation, Selbsthilfegruppe, onkologische Schwerpunktpraxis und mehreren Akutkliniken). Die Haltung von Patienten, die eine standardonkologische Behandlung ablehnen, ist daher nicht in dieser Studie repräsentiert. Von den 88 Patienten nutzten 18 (20,5 %) die Misteltherapie, davon 14 Frauen und vier Männer. 54 Patienten (61,4 %) waren Nichtanwender, davon 32 Frauen und 22 Männer. Die restlichen 16 Patienten machten zur Mistel keine Angaben.

Aus den 18 Anwenderinterviews und den 54 Nichtanwenderinterviews identifizierten die Autoren verschiedene Beweggründe für oder gegen eine Misteltherapie, die sich zwei Themenfeldern zuordnen ließen: „Wahrgenommene Indikation“ und „Abwägungen bei der Entscheidungsfindung“. Zum ersten Themenfeld, der wahrgenommenen Indikation, kristallisierten sich bei den Anwendern zwei wichtige Ziele heraus:

  • eine direkte Einflussnahme auf den Tumor und
  • eine supportive Wirkung.

Zitate dazu waren etwa: „Ich erhoffe, dass die Mistel mir mein Immunsystem stabilisiert […], dass es nicht zum Rezidiv kommt.“ Oder: „Ich habe so das Gefühl, dass die [Mistel] mich so ein bisschen trägt […], unterstützt.“ Beim zweiten Themenfeld – dem Abwägen verschiedener Aspekte – stand die Anwendungssicherheit im Vordergrund. Anwender schätzten die Misteltherapie als sicher ein. Wesentlich zur Entscheidung beigetragen hat für die meisten Patienten die Empfehlung durch Fachpersonal. Vielen Anwendern war die Misteltherapie in einer anthroposophischen Klinik oder von nichtärztlichen Gesundheitsdienstleistern empfohlen worden. Auch Ärzte empfahlen von sich aus oder auf Ansprache hin die Misteltherapie. Alle 18 Anwender haben die Misteltherapie mit einem oder mehreren Ärzten verschiedener Fachrichtungen abgesprochen.

Perspektiven der Nichtanwender

Demgegenüber steht die Wahrnehmung der Nichtanwender: Manche führten die unsichere Studienlage zum Einfluss auf das Tumorwachstum an, andere berichteten von Bekannten, die die Misteltherapie verwendet hatten und trotzdem erneut erkrankt oder gestorben waren. Andere lehnen komplementärmedizinische Verfahren ganz ab: „Das mache ich grundsätzlich nicht.“ Einige hatten zwar kein Interesse an der Misteltherapie, jedoch an anderen komplementärmedizinischen Verfahren.

Zum Teil waren Nichtanwender der Misteltherapie gegenüber neutral bis positiv eingestellt, aber konnten nicht mehr genau sagen, warum sie das Thema nicht weiterverfolgt haben: „Eigentlich hat es mich interessiert.“ Manche glaubten auch, dass die Mistel nicht für ihre Situation hilfreich sei, jedoch bei einer anderen Krebserkrankung, z.B. bei Brustkrebs, Operationen, Chemotherapie, Wiedererkrankungen oder starken Nebenwirkungen.

Auch Nicht­anwender wägten die Sicherheit einer Misteltherapie ab: Sie befürchteten Neben- oder Wechselwirkungen, z.B. eine allergische Reaktion oder Interaktionen mit schulmedizinischen Therapien. Ebenso wurde eine mögliche Förderung des Tumorwachstums befürchtet. Abschreckend waren für manche Patienten auch die täglichen Injektionen. Zudem gaben einige an, dass ihnen Ärzte bei bestimmten Krebs- oder Nebenerkrankungen im Zusammenhang mit einer Fehlfunktion des Immunsystems von einer Misteltherapie abgeraten haben.

So wie bei den Anwendern spielte auch bei den Nichtanwendern die Empfehlung durch Fachpersonal eine große Rolle. Ärzte rieten aus verschiedenen Gründen von der Misteltherapie ab, z.B. wegen befürchteter Wechselwirkungen mit schulmedizinischen Therapien. Manche Ärzte sahen die Misteltherapie nur als Verfahren in der Palliativsituation. Auch wenn das Fachpersonal die Misteltherapie nicht von sich aus vorschlug, hielt das die Patienten davon ab. Einige Patienten erklärten auch, dass sie sich noch informieren wollten, bisher aber noch nicht dazu gekommen seien. In diesem Zusammenhang ärgerten sich welche da­rüber, dass die Informations- und Beratungslage zur Misteltherapie nicht ausreichend sei.

In ihren Schlussfolgerungen betonen die Autoren, dass auch ein Teil der Nichtanwender gegenüber der Misteltherapie positiv eingestellt ist. Die Studie zeigt zudem einen ungedeckten Informationsbedarf zur Mistel und zu komplementärmedizinischen Verfahren allgemein, weswegen ein breites Informations- und Beratungsangebot durch den behandelnden Arzt „unerlässlich“ sei.

Quelle: Gschwendtner KM et al., Forsch Komplementmed. 2016; 23(4): 215–222, doi: 10.1159/000448745

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune