9. Feb. 2017

Dr. Stelzl: Erst mal Winterruhe

Ich liebe den Beginn des Winters. Den Advent und dann natürlich Weihnachten. Meist schaffen wir es, uns an diesen hektischen Tagen auszuklinken, und flüchten nach Tirol auf einen Bauernhof. Wir genießen die Stille und die Wärme des Kachelofens. Wir befahren menschenleere Skipisten und haben die Berge praktisch für uns alleine. Es gibt Weihnachtslieder und Kekse. Eingemummt in dicke Jacken und flauschige Hauben, schlurfen wir über kleine Weihnachtsmärkte, hören Anklöpfler und futtern Klotzenbrot statt uns über Plastikweihnachtsmänner aus Taiwan und „Last Christmas“ plärrende Lautsprecher zu ärgern. Jedes Jahr freue ich mich elf Monate lang auf meinen Winter.

Kaum ist das Christkind wieder abgeflogen, dämmert es mir jedoch, dass das erst der Anfang war. Und was jetzt kommt, ist nicht gerade meine Lieblingsjahreszeit. Trotzdem kommt sie auch alle Jahre wieder. Und alle Jahre wieder schimpfe und mosere ich über das Gleiche. Es ist kalt, es ist finster, es gibt zu viel Arbeit, alle haben entweder die Grippe oder irgendwelche Psychokrisen. Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels, keine kommenden Feiertage und der nächste Urlaub ist weit entfernt im Sommer. Alles ist grau, alles ist hässlich, mir ist ständig kalt und der Boden in der Ordi wird jedes Jahr ein Stückchen kaputter. Ich mag nicht.

R wie Restkälte

Der Jänner ist grau, der Februar braungrau und der März ist sowieso das Schlimmste. Denn dann sind bei allen die Serotoninspiegel so weit runtergefahren, dass die ganze Welt spinnt. Und danach wird es auch noch nicht wirklich warm, man kann immer noch keine Küchenkräuter auf der Terrasse pflanzen und es kann sogar im Mai noch einmal schneien. Ich mag nicht.

Doch was wäre die Lösung? Johanniskraut, Tageslichttherapie, Escitalopram oder Umziehen in wärmere Gefilde? Freundin M. macht Dauervertretung, da immer irgendeiner der umliegenden Kollegen krank ist, leidet still vor sich hin und verspricht sich selbst einen Thermenurlaub. Um dann dort im warmen Wasser hocken zu bleiben und nie wieder in die Kälte zurückzukommen. Oder wahlweise auf Kap Verde oder Mauritius zu versumpern.

Freundin K., ihres Zeichens Psychotherapeutin, könnte Tag und Nacht durchtherapieren. Tut es aber nicht, da Therapeuten etwas besser gelernt haben, auf sich zu achten, als andere „helfende“ Berufe. Und Freundin N., die ist Psychiaterin, rechnet, wann es sich finanziell frühestens ausgeht, das Handtuch zu werfen und in Pension zu gehen. Mein Mann rotzt vor sich hin und grummelt und der Kater verschläft das ganze Elend. Mitten im Bett, sodass garantiert keiner mehr so richtig und gemütlich Platz hat.

Dies ist das alljährlich gleiche Szenario, das sich durch meine Winter zieht. Lediglich unsere Hüttenkatzen, reine Freigängertiere nur mit Unterschlupf im Heu scheinen vom allgemeinen Frust und der allgemeinen Unzufriedenheit verschont zu sein. Im Herbst haben sie sich eine dicke Fettschicht angefressen, jeder hat 30 Prozent an Körpergewicht zugenommen und sie haben traumhafte Winterpelze entwickelt. Sie sind wunderschön. Nicht zu vergleichen mit adipösen Haustieren. Sie sind majestätische Viecher und Naturgewalten. Und die Einzigen, die sich klaglos in die Dynamik der Jahreszeiten fügen und anpassen. Auch wenn sie in dem Moment, da wir die Haustüre öffnen, doch versuchen, hereinzuhuschen und ihre dreißig Sekunden am Ofen abzubekommen. Ein bisschen Genuss muss sein.

cartoon_winter

Und irgendwann, mit sieben Kilo flauschiger Schnurrkugel im Arm, habe ich kapiert: Der Winter ist schön. Er kann auch schön sein für mich. Aber nicht, wenn ich weiter darüber jammere, und schon gar nicht, wenn ich etwas draus machen will, das nicht ist. Es gibt doch wenig Schöneres als einen strahlend blauen Himmel an einem eisig kalten Tag. Schnee, der in der Sonne glitzert wie Millionen kleiner Diamanten, und die klirrende Kälte, die so richtig in die Gesichtshaut beißt. Und dann das Gefühl, daheim vorm Ofen oder über der Fußbodenheizung langsam wieder auf­zutauen, mit einer großen Tasse Tee in der Hand.

Oder auch diese trüben, grauen Wintertage. Ein Blick aus dem Fenster zeigt eine Landschaft wie aus einer anderen Zeit. Wie ein Schwarzweißfilm ohne Farbtupfer präsentieren sich ein grauer Himmel, eine weiße Schnee­decke und in verschiedenen Grau- und Schwarzschattierungen Häuser und Bäume. Auf den Pflanzen klebt Raureif wie weißer Samt. Und beim Aufstehen ist es noch still und finster und bereits am Nachmittag schon wieder. An unseren Fenstern hängen Strohsterne, die elektrische Beleuchtung bleibt abgedreht, Kerzen geben ein warmes und freundliches Licht.

Natürlich muss ich raus und arbeiten, das ist schon okay so. Aber ich muss sonst nix. Keine Aktivitäten setzen, nix planen, nix leisten. Nur ein bisschen walken gehen, um mich durchzubewegen, aber keine sportlichen Höchstleistungen. Kein Zählen von Grünportionen pro Tag, sondern warme Suppen und gut gewürzte Eintöpfe. Schokolade, weil sie der Seele guttut. Bikini­figur? Falsche Jahreszeit. Es spricht nichts gegen Winterspeck und Winterschlaf. Ich kuschle mich daheim in einen dicken, alten, ausgeleierten Kaschmirpulli und trage wahlweise UGG-Boots oder drei Paar Socken. An den Fenstern hängen immer noch die Strohsterne, dahinter ist der Himmel graublau. Die Sterne bleiben, habe ich beschlossen, bis die ersten Spatzen am Fensterbrett sitzen. Jetzt ist erst mal Winterruhe.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune