31. Mai 2016

Ich bin dann mal fort

Ich sitze vor der Hütte am Bankerl in der Sonne. Mit Anorak und Haubi, obwohl es Mitte Mai ist. Es ist definitiv kühler, als wir es während unseres letzten Winterurlaubs in Tirol im Dezember hatten. In der Hand habe ich ein Glas Sauvignon blanc aus der Südoststeiermark. Ein wundervoller Lagenwein. Etwas, das es 2016 wahrscheinlich nicht geben wird. Denn selbst der sonnigste Kogel ist diesen Mai im Schnee erfroren. Unvorstellbar, was die heurigen Wetterkapriolen für viele Menschen bedeuten werden. Und für die Wirtschaft einer ganzen Region. Als Obst- oder Weinbauer hat man im Moment definitiv Grund für alle möglichen Anfälle. Und auch mein vollstes Verständnis und Mitgefühl. Ich frag mich nur: Warum spinnen all die anderen auch?

Die letzte Arbeitswoche war anstrengend. Abgesehen davon, dass es mehr Angina und grippale Infekt zu behandeln gab als in einem durchschnittlichen Februar, sind die Leute offensichtlich wirklich ziemlich fertig. Mindestens einmal in der Stunde wird eine ganz normale Infektkon­trolle zum psychotherapeutischen Großereignis. Das Wartezimmer wird immer voller und es geht einfach nichts weiter. Es beginnt immer ähnlich. Wenn ich mich vom Patienten verabschieden möchte, kommt die Frage: „Ich hab da noch eine Kleinigkeit, haben Sie noch ein wenig Zeit?“ Natürlich habe ich immer Zeit, und natürlich ist es niemals eine Kleinigkeit. Dafür aber eine ausgewachsene Lebenskrise oder der ganz große Weltschmerz. Also wird geredet, zugehört und viel geheult. Und das Wartezimmer wird noch voller.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune