20. Sep. 2017

Karotisstenose nicht immer weiten

Die druckfrische ESC-Leitlinie zu peripheren arteriellen Erkrankungen geht ausführlich auf antithrombotische Medikation ein und bringt eine Abkehr von der pauschalen Empfehlung zur Revaskularisierung bei Karotisstenose. (Medical Tribune 37/2017)

So präsentiert sich eine hochgradige Stenose der Arteria carotis interna im farbcodierten Doppler-Ultraschall.
So präsentiert sich eine hochgradige Stenose der Arteria carotis interna im farbcodierten Doppler-Ultraschall.

Erstmals hat die Europäische Kardiologengesellschaft ESC ihre Empfehlungen zum Management peripherer arterieller Erkrankungen gemeinsam mit den Gefäßchirurgen der European Society for Vascular Surgery (ESVS) erstellt. Eine wichtige Neuerung liegt bereits im Titel. Aus der Leitlinie zur „Peripheral Artery Disease“ sind „Guidelines on the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases“ geworden.

PAD umfasst mehr als nur die pAVK

„Das bedeutet, dass wir uns auf alle Arterien mit Ausnahme der Koronarien beziehen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Petr Widimsky von der Karlsuniversität Prag. Dementsprechend werden in der Leitlinie auch Empfehlungen beispielsweise zur Karotis oder den Nierenarterien separat aufgelistet. Insgesamt schätzt man die Zahl der von diesen Erkrankungen Betroffenen allein in Europa auf mehr als 40 Millionen. Die periphere arterielle Verschlusskrankheit pAVK (also PAD der unteren Extremitäten) ist ein Teil dieser Gruppe von Erkrankungen. Als generelle Maßnahmen bei allen Formen von PAD empfiehlt die Leitlinie den Nikotin-Stopp, gesunde Ernährung und Bewegung sowie medikamentöse Lipidsenkung mit Statinen mit einem LDL-Ziel von weniger als 70 mg/dL. Bei Diabetikern wird strikte glykämische Kontrolle empfohlen, der Blutdruck sollte bei allen Betroffenen unter 140/90 mm Hg gehalten werden. Bei Patienten mit PAD und Hypertonie sind ACE-Inhibitoren oder Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten die Antihypertensiva der Wahl. Widimsky: „Das betrifft die große Mehrheit der PAD-Patienten.“

Erstmals enthält die Leitlinie ein eigenes Kapitel zum Thema antithrombotische Medikation. Hier werden detaillierte Empfehlungen für jeden potenziell betroffenen Körperteil und die einsetzbaren Plättcheninhibitoren und Antikoagulanzien gegeben. So hält die Guideline fest, dass antithrombotische Therapie für alle Patienten mit Karotisstenose indiziert ist – und zwar unabhängig von klinischen Symptomen oder einer möglichen Revaskularisierung. Nach einer Intervention an der Karotis sollte für mindestens ein Monat duale Anti-Plättchen-Therapie gegeben werden. Bei Patienten mit arterieller Erkrankung der unteren Extremitäten ist eine einfache antithrombotische Therapie indiziert, wenn die Patienten symptomatisch sind oder sich einer Revaskularisierung unterziehen. Substanz der Wahl ist Clopidogrel. Dauerhafte Antikoagulation wird nur für Patienten empfohlen, bei denen aus anderen Gründen Indikation besteht. Eine Kombination mit einfacher antithrombotischer Therapie ist möglich und kann nach einer Revaskularisierung sinnvoll sein. Antithrombotische Therapie ist Teil des Managements des symptomatischen PAD.

Wenn zur PAD noch eine ­Herzerkrankung kommt

Ebenfalls neu ist ein Kapitel zum Management kardialer Erkrankungen bei Patienten mit PAD. Dies sind neben der koronaren Herzkrankheit beispielsweise Herzinsuffizienz, Vorhof­flimmern und Klappenerkrankungen. „Patienten mit peripheren arteriellen Erkrankungen leiden häufig auch unter Herzkrankheiten. Leider gibt es dazu sehr wenig spezifische Evidenz aus klinischen Studien. Wir haben daher größtenteils auf Basis von Expertenmeinungen Empfehlungen für diese Krankheitsbilder produziert“, kommentiert Prof. Dr. Victor Aboyans vom Centre Hospitalier Universitaire de Limoges, der Leiter der Task Force. Bei einigen spezifischen arteriellen Erkrankungen gibt es im Vergleich zur Leitlinie von 2011 wichtige Änderungen. Diese betreffen beispielsweise Patienten mit Karotisstenose. Während in der bisherigen Leitlinie für diese Patienten grundsätzlich eine Revaskularisierung gefordert wurde, empfiehlt die neue Guideline Revaskularisierung bei asymptomatischer Stenose jetzt nur noch bei hohem Schlaganfallrisiko.

Schlaganfallraten haben sich deutlich verändert

Die Empfehlung für den Einsatz eines Device zum Schutz gegen Embolien während des Stentings wurden auf IIa hochgestuft. Aboyans: „Diese Änderung ist wichtig. Die Studiendaten, die Vorteile durch die Revaskularisierung zeigen, stammen aus den 90er Jahren. Seitdem sind jedoch die Schlaganfallraten für alle Patienten mit asymptomatischer Karotis­stenose deutlich gesunken – und zwar unabhängig von der Therapie. Es ist also sehr fraglich, wie viel Gültigkeit diese Studienresultate heute noch haben.“ Im Falle der Nierenarterien gibt es nun sogar eine starke Empfehlung gegen die systematische Revaskularisierung, während diese in der Guideline von 2011 noch als Therapieoption angeführt wurde.

Quelle: ESC-Kongress; Barcelona, August 2017

Webtipp
Die Leitlinie steht auf der Webseite der Europäischen Kardiologengesellschaft ESC zum Download bereit:
www.escardio.org (unter „Guidelines“)

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune