Kommentar: Falsches Vertrauen zu gefährlichen Quellen

Patienten sind zufrieden mit der Information, die ihnen Dr. Google bereitstellt; doch das ist keine gute Nachricht, sondern führt direkt zu einem Bildungsauftrag für Allgemeinmediziner. (ärztemagazin 2/18)

Mag. Jörg Wipplinger, MA Chef vom Dienst
Mag. Jörg Wipplinger, MA
Chef vom Dienst

Stellen Sie sich vor, Patienten würden das, was Sie ihnen raten, genau gleich bewerten wie das, was ihnen von Verschwörungstheorie-begeisterten Bekannten geraten wird. Wie es wäre, wenn Ihre Patientenaufklärung zu einer schweren Erkrankung konkurrieren müsste mit dem radikalen Gefasel eines Sektenführers. Oder mit den Werbebotschaften eines Scharlatans, der sein Wundermittel verkaufen will. Auch wenn Sie manchmal vielleicht den Eindruck haben, dem wäre so – ganz so weit ist es noch nicht. Der ­Allgemeinmediziner ist noch immer die wichtigste Quelle, wenn es um Gesundheitsinformation geht, auch bei jungen Menschen – die sich sogar häufig wünschen, vom Arzt zu Gesundheitsthemen informiert zu werden, nicht von ihren Eltern oder der Schule.

Im Internet jedoch ist es genau so wie oben geschildert: Millionen von unterschiedlichen Quellen kämpfen auch bei Gesundheitsthemen um Klicks und Aufmerksamkeit. Unabhängige, evidenzbasierte Informationen sind dünn gestreut, kommerzielle, interessensgesteuerte oder auch schlicht inkompetente Informationen überfluten die Nutzer. So weit, so bekannt. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zeigt nun, dass alles noch viel schlimmer ist: Nutzer können vertrauenswürdige Information nicht von katastrophalem Unsinn unterscheiden. Interessanterweise geht die Bertelsmann-Stiftung jedoch nicht mit einem Aufschrei an die Presse und warnt vor mangelnder Gesundheitskompetenz und vor gefährlichen Quellen, sondern betont, „Patienten schätzen Dr. Googles Vielseitigkeit“ und das Internet sei doch besser als sein Ruf. Angeblich finden Patienten Trost und Zerstreuung und sind mit den gefundenen Angeboten zufrieden. Das ist in etwa so, als wäre man mit dem Ergebnis einer Operation zufrieden, die vollkommen überflüssig war. Zufriedenheit aus Unwissenheit.

Ich bin ein Fan des Internets und der evidenzbasierten Medizin, ich glaube an den mündigen Patienten und finde es großartig, dass sich jeder im Internet über seine Beschwerden und über Therapien informieren kann. Umso mehr schockt es mich, dass die Nutzer der Seite des IQWIG (gesundheitsinformation.de) ähnlich wenig vertrauen wie der gefährlichen Desinformationsseite „zentrum-der-gesundheit“. Die Seite des IQWIG ist eine der besten Quellen, wenn es um Gesundheitsinformation geht: Unabhängig, evidenzbasiert, gut verständlich, umfassend. Zentrum-der-Gesundheit ist eine kommerzielle Panikverbreitungsmaschine, die mit Halbwahrheiten Ängste schürt, um Klicks zu generieren und dubiose Produkte aus ihrem Shop zu verkaufen. Wenn Nutzer zwischen diesen weit auseinander liegenden Polen kaum eine Unterscheidung treffen und beiden ähnlich viel Vertrauen schenken, haben wir ein Problem: Dann ist die Gesundheitskompetenz nämlich so schlecht, dass eine Erweiterung der Kompetenz ohne Korrektiv nicht möglich ist. Wenn Nutzer die Qualität der Information nicht einordnen können, dann können sie ihre Gesundheitskompetenz nicht erweitern. Wer den falchen Quellen vertraut, lernt nichts dazu. Ärzte können mit gezielter Information hier gegensteuern.

 Bekanntheit und Vertrauenswerte verschiedener Internetseiten laut Umfrage der BertelsmannStiftung
Bekanntheit und Vertrauenswerte verschiedener Internetseiten laut Umfrage der BertelsmannStiftung

Listen mit Qualitätskriterien für gute Gesundheitsinformation im Internet sind schon von einigen Institutionen zusammengetragen worden. Daraus lassen sich einige Tipps ableiten, die Allgemeinmediziner jenen Patienten mitgeben können, von denen sie merken, dass sie sich häufig im Internet informieren. Dabei gibt es formale und inhaltliche Qualitätskriterien. Zu den formalen zählen:

  • Wer steckt hinter einer Seite? Wenn nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, wer die Seite betreibt, hilft das Impressum weiter. Steht dort ein Verlag, eine Universität, ein Pharmaunternehmen?
  • Wie finanziert sich die Internetseite? Ist alles mit Werbung zugepflastert, wird über einen angeschlossen Shop etwas verkauft, und vor allem: Ist zu erkennen, wer das Angebot finanziert? Wenn der Geldgeber bekannt ist, weiß man um seine Interessenkonflikte.
  • Sind die Autoren angegeben und kann ich deren Qualifikation überprüfen? Sehr gute Gesundheitsseiten geben darüber hinaus bekannt, wie sie ihre Berichte produzieren: Welche Quellen werden verwendet? Erfolgt eine systematische Literatursuche? Gibt es ein Vier-Augen-Prinzip?
  • Ist die Information aktuell? Viele Meldungen tauchen im Internet immer wieder auf, besonders absurde Geschichten werden gerne aufgewärmt.

Die wichtigsten inhaltlichen Qualitätskriterien sind:

  • Sind Quellen angegeben? Jede Behauptung in einem Gesundheitsartikel sollte mit einer Quelle belegt sein.
  • Enthält der Artikel Informationen zu Nebenwirkungen und Alternativen? Gute Gesundheitsinformation ist nicht wertend und nimmt keine Entscheidungen ab, sondern stellt Informationen zur Verfügung, die ein mündiger Patient für eine Nutzen-Risiko-Bewertung braucht. Wird beispielsweise eine Therapie dargestellt, so sollte der Bericht den Nutzen in konkreten Zahlen beinhalten, die Nebenwirkungen, die Kosten und vor allem auch die Alternativen dazu.
  • Ist der Beitrag verständlich, neutral und nicht wertend formuliert? Es gibt einige Phrasen, die grundsätzlich die Alarmglocken läuten lassen sollten, von „absolut nebenwirkungsfrei“ bis hin zu so schwammigen Behauptungen wie „stärkt das Immunsystem“.

Ärzten wird Vertrauen geschenkt, sie haben die Chance, die Kompetenz ihrer Patienten zu verbessern – auch indem sie die Menschen zu kritischeren Medienkonsumenten machen. Das Internet ist nicht mehr wegzudenken, die Menschen werden sich dort ihre Informationen zu ihrer Gesundheit holen; ob das richtige oder irreführende Informationen sein werden, liegt auch in der Hand der Ärzte.