Die intelligenten Maschinen kommen

Das prägende Thema des Europäischen Radiologenkongresses war die Künstliche Intelligenz. Der Befürchtung, Künstliche Intelligenz könnte à la longue die Radiologen überflüssig machen, wurde entgegengehalten, dass die Chancen und Vorteile überwiegen. (Medical Tribune 12/18)

Am diesjährigen Europäischen Radiologenkongress (ECR 2018) wurde wieder einmal ein neuer Rekord aufgestellt. Noch nie hatte der größte radiologische Kongress Europas, der alljährlich in Wien stattfindet, so viele Teilnehmer: Insgesamt waren es 28.000, darunter auch all jene, welche die Sessions aus der Ferne live online verfolgten. Der Kongress, der längst nicht mehr nur auf Europa beschränkt ist, streckt seine Fühler auch weiter in den Fernen Osten aus: Erstmals werden 500 Vorträge in Mandarin übersetzt und sind dann in einigen Wochen online in China verfügbar.

Keine Gefahr für Radiologen

Das prägende Thema des Kongresses war die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Radiologie. „Die Maschinen kommen: Wie werden sie unsere Zukunft beeinflussen?“, „Künstliche Intelligenz und Radiologie: eine perfekte Kombination?“ oder – ganz sachlich –„Künstliche Intelligenz in der Thoraxbildgebung“ lauteten die Titel einschlägiger Sessions. „Künstliche Intelligenz ist Teil der digitalen Revolution“, erklärte Prof. Dr. Bernd Hamm, Leiter des Instituts für Radiologie der Berliner Charité. Die vielfach geäußerte Befürchtung, Künstliche Intelligenz könnte à la longue die Radiologen überflüssig machen, teilt er nicht: „Künstliche Intelligenz wird die Radiologen nicht ersetzen, sondern ihnen als Werkzeug dienen. Sie wird uns vor allem Routine- Arbeiten abnehmen, die wir ohnehin nicht so gerne tun.“ Gemeint sind etwa die Segmentierung von Tumoren auf Schnittbildern oder die Quantifizierung von Plaques in Schädel- MR-Bildern von Patienten mit Multipler Sklerose. „Künstliche Intelligenz wird unsere Qualität steigern und uns mehr Zeit für komplexere Aufgaben geben. ,Artificial Intelligence‘ wird auch die Sichtbarkeit der Radiologie vergrößern – und das ist gut für unser Fach“, ist Hamm überzeugt.

Metastasen aufspüren

Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen, berichtete in einem Vortrag über Forschungen an seinem Klinikum. So gelang es, bei einer Kohorte von Uteruskarzinom-Patientinnen allein durch PET/MR-Bilder des Karzinoms sowie einiger anderer Parameter mit einer Treffsicherheit von 95 bis 97 Prozent vorherzusagen, ob die Patientinnen bereits Metastasen entwickelt haben. „Da haben wir allein mit KI ganz tief in die Biologie des Tumors geblickt“, betont Forsting. Ähnliche Einblicke lieferte auch ein System, das durch die Analyse radiologischer und Labordaten bei Patienten nach selektiver interner Radiotherapie (SIRT) vorhersagen konnte, wie deren Lebergewebe nach der Therapie wächst. Die Essener Forscher haben auch – auf Basis von nur 50 CT-Scans – ein neuronales Netzwerk darauf trainiert, idiopathische interstitielle Pneumonie zu erkennen, eine radiologisch schwer zu diagnostizierende Erkrankung. Die Diagnosen eines spezialisierten Radiologen erwiesen sich in 72 Prozent der Fälle als korrekt, das KI-Programm lag bei 70 Prozent richtig – und kombiniert erreichten beide gemeinsam eine Treffsicherheit von 77 Prozent.

Good Data statt Big Data

Mit einem scheinbar ganz anderen Thema hat sich Prof. Dr. Marc Dewey, ebenfalls vom Institut für Radiologie der Berliner Charité, auseinandergesetzt: wertbasierte Radiologie („value-based radiology“). Gemeint sind nicht ethische Werte, sondern eine ökonomische Formel: Wert ist gleich Outcome durch Kosten. Bei wertbasierter Radiologie geht es darum, bei geringeren Kosten eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse zu erzielen. „Ich glaube, dass ,value-based radiology‘ eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der gegenwärtigen Probleme spielen wird“, ist Dewey überzeugt. Zum einen könnte mit wertbasierter Radiologie das Problem der zu vielen bildgebenden Untersuchungen bei den falschen Patienten überwunden werden. Dies erfordere die Integration der Krankengeschichte in entscheidungsunterstützende Module wie zum Beispiel den iGUIDE und eGUIDE der European Society of Radiology (ESR).

Zum anderen – damit kommt das eingangs behandelte Thema ins Spiel – berge die Integration von Künstlicher Intelligenz ein großes Potenzial, die Konsistenz in der radiologischen Bildanalyse zu erhöhen und Fehler zu reduzieren. Dazu bedürfe es eines Paradigmenwechsels in der radiologischen Praxis: „Datenwissenschaft und Künstliche Intelligenz müssen durch Technologie nahtlos, praktisch und physisch in den Arbeitsablauf der Radiologen integriert werden“, fordert Dewey. Voraussetzung dafür sind allerdings strukturierte Radiologie-Berichte mit einer festgelegten Auswahl vordefinierter Beschreibungen, ansonsten lassen sich die Daten nicht automatisch analysieren. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir für ,value-based radiology‘ nicht Big Data, sondern ,Good Data‘, also gute Daten, brauchen“, unterstreicht Dewey.

Hybridbildgebung

Ein drittes, auf dem Gebiet der Radiologie höchst aktuelles Thema ist die Hybridbildgebung, also die Kombination verschiedener bildgebender Verfahren. „Die hybride Bildgebung hat in den letzten zehn Jahren das Feld der Krebs-Bildgebung revolutioniert“, betont Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Marius Mayerhöfer, PhD, Facharzt an der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin der Medizinischen Universität Wien. Insbesondere PET/CT, also die Kombination von Positronen-Emissions- Tomographie und Computertomographie, mit dem Glucose-Analog- Radiotracer 18F-FDG ist heute integraler Bestandteil der Managementleitlinien für Patienten mit verschiedenen Krebsarten (z.B. Lymphom), wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der frühzeitigen Bewertung der Tumor-Behandlungseffekte liegt. „Trotz des Erfolgs von 18F-FDG für die Bildgebung bei Krebspatienten gibt es einen klaren Trend zur Entwicklung und klinischen Anwendung neuartiger PET-Radiotracer, die spezifisch für eine bestimmte Krebsart sind, wie z.B. 68Ga-PSMA für Prostatakrebs. Da die PET/CT für die Beurteilung der lokalen Ausbreitung mehrerer Krebsarten (z.B. des Rektumkarzinoms und gynäkologischer Krebsarten) nur von begrenztem Wert ist, wurden hybride MR/PET-Scanner entwickelt, die derzeit in immer mehr Studien mit PET/CT verglichen werden“, erläutert Mayerhöfer.

MR/PET vereint Magnetresonanztomographie und Positronen-Emissions- Tomographie. Darüber hinaus bietet die MR-Komponente der MR/PET eine Fülle an Zusatzinformationen z.B. zu Zelldichte und Blutfluss sowie zur Blutgefäßdichte. „Die Kombination quantitativer Parameter, die aus MRT und PET extrahiert werden, kann nicht nur die nicht-invasive, bildbasierte Charakterisierung der Tumorheterogenität verbessern, sondern auch die Bewertung der Effekte neuartiger Immuntherapien, wie z.B. Checkpoint-Inhibitoren, verbessern“, unterstreicht Mayerhöfer. „Aufgrund dieses multiparametrischen Ansatzes bietet die Hybrid-Bildgebung, insbesondere MR/PET, eine ideale Basis für Radiomics“, sagt der Wiener Radiologe abschließend – womit sich abermals der Kreis zur Künstlichen Intelligenz schließt. Unter Radiomics nämlich versteht man die auf Deep Learning computergestützte Analyse und -interpretation von großen medizinischen (Bild-)Datenbanken.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune