Medizin-Apps: Die Kosten sind zum Appgewöhnen

Haben Sie schon mal an die Entwicklung einer eigenen App gedacht? Der Schritt sei wohlüberlegt, denn die Kosten sind beträchtlich. Wenn es sich um ein Medizinprodukt handelt, sind die Hürden fast unüberwindbar. (Medical Tribune 07/18) 

Eine gute Idee allein ist zu wenig. Wer eine App auf den Markt bringen will, sollte auch über genügend Kleingeld verfügen.
Eine gute Idee allein ist zu wenig. Wer eine App auf den Markt bringen will, sollte auch über genügend Kleingeld verfügen.

„Das war der Anfang, damit hat alles begonnen.“ Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer, Klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin, MedUni Wien, sitzt in seinem Dienstzimmer und hält ein kleines Büchlein in die Höhe. „Antibiotika & Antiinfektiva“ heißt es, wird liebevoll „der schlanke Thalhammer“ genannt und war mit einer Gesamtauflage von mehr als 100.000 Stück jahrelang ein beliebtes Nachschlagewerk für den infektiologischen Alltag. Inzwischen wurde es abgelöst von einer App, die Thalhammer seit 2013 anbietet. „Der große Vorteil ist, dass die Daten laufend aktualisierbar sind“, erzählt der Experte. Ein angenehmer Nebeneffekt: Thalhammer erspart sich die Druckkosten. Ein Vorteil, der freilich erst längerfristig ins Gewicht fällt. Denn die Kosten für eine App sind beträchtlich. Je nach Ausgestaltung fallen für die Entwicklung 50.000 Euro aufwärts an. Ein technisches Update kostet schnell mehrere zehntausend Euro zusätzlich. Und hier reden wir nur von den Entwicklungskosten, die etwa für eine Agentur anfallen, die eine App technisch umsetzt. Will man eine App gar als zertifiziertes Medizinprodukt auf dem Markt etablieren, wird es noch viel komplizierter und teurer.

Der deutsche Digital- Health-Experte Dr. Markus Müschenich spricht in dem Zusammenhang von zwei Millionen Euro an Kosten – mindestens, wohlgemerkt. Wer eine App als Medizinprodukt anbieten will, müsse im Hintergrund ein hochkomplexes Computersystem vorhalten, das aktuelles Wissen beinhaltet, inklusive Leitlinien der Fachgesellschaften und einem Algorithmus, der die Krankheitsverläufe vorausberechnen kann. „Sie haben gewissermaßen die elektronische Variante eines Health Care Professionals, wobei die gleichen beruflichen Anforderungen gelten müssen wie in der Versorgung vor Ort“, erklärt Müschenich: „Per App muss man das Versprechen einer guten Versorgung genauso einlösen wie ein Arzt in der Praxis oder der Hersteller eines EKG-Geräts.“ Die Entwicklung einer solchen App kann Jahre dauern und die Suche nach Kapitalgebern ist meist schwierig. Dass einzelne Ärzte Apps für die medizinische Versorgung entwickelt haben, sei zwar löblich, für die Zukunft gibt der Experte diesen Entwicklungen aber wenig Chancen. Sie werden sich angesichts der großen Konkurrenz nicht mehr durchsetzen können, so die Befürchtung. Denn große Pharma- und Medizinprodukte-Konzerne hätten zwar die Entwicklung von digitalen Produkten anfangs verschlafen, sie seien jetzt aber auf dem Vormarsch.

Florian Thalhammer FA für Innere Medizin, ZFA für Infektionen & Tropenmedizin – Entwickler der App „Antibiotika & Antiinfektiva“
Florian Thalhammer
FA für Innere Medizin, ZFA für Infektionen & Tropenmedizin – Entwickler der App „Antibiotika & Antiinfektiva“

Thalhammers App ist freilich kein Medizinprodukt, sondern eine Art Nachschlagewerk für Mediziner. Kollegen, die eine App entwickeln wollen, warnt er: „Es wird im Zweifelsfall teurer und auch länger dauern als erwartet.“ Thalhammer spricht aus Erfahrung: „Ich habe meine Sünden abgebüßt.“ Ein Entwickler hatte ihm versprochen, es würde drei Monate dauern, bis die App fertig ist, tatsächlich habe es 500 Tage gedauert. Inzwischen hat Thalhammer seine App überarbeiten lassen und bietet eine Version 2.0 an – u.a. mit intelligenter Navigation, der Verknüpfung von Wirkstoffen und Keimspektren, der Abklärung von Nebenwirkungen sowie Informationen zu Impfungen. Vor allem aber ist die App nun für iPhone und Android erhältlich. Das Update hat weiteres Geld verschlungen. Thalhammer nennt zwar keine Summen, betont aber, insgesamt noch im Minus zu liegen.

„Ich sehe das als eine Art Hobby“, sagt er. In seiner Freizeit wendet er mehrere Stunden pro Monat auf, um die Datenbank zu aktualisieren. Etwa 2500 Gesamtdownloads hat Thalhammer bisher gewinnen können. Für diese müssen User einmalig 33 Euro zahlen, die seien steuerlich absetzbar. Nicht weniger als 40 Prozent davon gehen übrigens an die Anbieter der App-Stores wie beispielsweise Apple. Wer trotz allem das Abenteuer wagt, ist gut beraten, bei der Entwicklung einer App einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, was freilich erst wieder Geld kostet. „Es gilt viele Punkte zu beachten“, erklärt Philipp Schrader von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Spitzauer & Partner: „Das beginnt bei den Marken- und Nutzungsrechten, etwa wenn die App von einem Dritten programmiert wurde oder Inhalte Dritter verwendet werden, geht über den Datenschutz bis hin zum E-Commerce-Gesetz.“ Je nach Dienstleistung sollte es jedenfalls entsprechende Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) geben.

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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune