Wenn der Sex schmerzt

Frauen mit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sind oft in einer Negativspirale gefangen, aus der es schwierig ist, auszusteigen. Ein Sexverbot bringt meist eine spürbare und sofortige Entlastung. (Medical Tribune 49/17)

Um den Teufelskreis für die Frau und ihren Partner zu unterbrechen, kann der Hausarzt durchaus der richtige Ansprechpartner sein.
Um den Teufelskreis für die Frau und ihren Partner zu unterbrechen, kann der Hausarzt durchaus der richtige Ansprechpartner sein.

Entgegen der landläufigen Meinung sind von der Vulvodynie nicht so sehr postmenopausale Patientinnen mit Östrogenmangel betroffen, sondern vor allem jüngere Frauen: Der chronische, mindestens drei Monate bestehende Schmerz im Vulvabereich mit oft unklarer Ursache ist unter 20- bis 29-Jährigen mehr als viermal so häufig als bei Frauen über 50 Jahren. Die Zahlen zeigen, wie erschreckend hoch die Prävalenz dieser tabuisierten Erkrankung ist: „In einer amerikanischen Studie wurden mehr als 19.000 Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren befragt, ob sie schon einmal Vulvaschmerzen von mehr als drei Monate Dauer gehabt hatten“, berichtet Dr. Elia Bragagna, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik und Sexualtherapeutin in Wien. „7–8 % der Befragten bejahten die Frage.“ Noch vier- bis achtmal häufiger als die Vulvodynie sind gelegentliche Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

17 Ärzte bis zur Diagnose

Betroffene Frauen können sehr emotional sein und die Beschwerden hochdramatisch schildern. Wenn Allgemeinmediziner mit diesem Krankheitsbild überfordert sind und Gynäkologen, die nicht auf diesem Gebiet geschult sind, keine Antworten liefern können, passiert es allzu schnell, dass die Patientinnen in die „Psycho-Ecke“ abgeschoben werden. Bedenklich ist, dass nur jede zweite Frau mit Vulvodynie überhaupt ärztlichen Rat sucht. Doch auch dieser Schritt ist noch lange keine Garantie für eine richtige Diagnose und Therapie. In der Praxis wird die Suche nach Hilfe oft zu einer Odyssee: In der amerikanischen Umfrage hatten 23 % der Frauen schon drei oder vier Ärzte aufgesucht und 18 % bereits zumindest fünf Mediziner konsultiert. So kommt zum Schmerz oft noch das Gefühl von Erniedrigung oder Verlassenheit. „Ich kenne einen Fall, in dem die Patientin sich sogar an 17 Ärzte gewandt hatte, bevor die Diagnose einer Vulvodynie gestellt wurde“, schildert Bragagna.

Wenn die Vulvaschmerzen nicht vorschnell als psychisch bedingt abgetan, sondern von geschulten Gynäkologen abgeklärt werden, finden sich in einem hohen Prozentsatz klinisch relevante Krankheitsbilder: Häufige Diagnosen sind Lichen sclerosus, Lichen planus oder Dermatitiden. Aber auch psoriatische oder tumoröse Veränderungen können mitunter Ursache einer Vulvodynie sein. Fatal ist, dass jede zweite Frau trotz Beschwerden beim Geschlechtsverkehr weiter mit ihrem Partner schläft. „Die Frauen wollen damit ihren Partner erfreuen oder meinen, ihm Sexualität zu schulden, wenn er schon treu ist“, so einige der Erklärungen, die skandinavische Forscher dafür erhielten. Ebenfalls ein wesentlicher Punkt: Geschlechtsverkehr zu haben, wird auch als Zeichen dafür gesehen, eine normale Frau zu sein. Bragagna hebt zudem neurobiologische Zusammenhänge hervor: „Geschlechtsverkehr erzeugt durch die Ausschüttung von Oxytocin und Vasopressin auch Bindung. Die Frauen wollen nicht riskieren, diese Bindung zu verlieren.“

In einer holländischen Studie wurde untersucht, was im Körper einer Frau passiert, wenn sie Angst hat: Zu den charakteristischen Veränderungen gehört, dass die Lubrikation sofort gestoppt wird und der Beckenboden „in Abwehrhaltung“ geht. Ein ähnlicher Mechanismus wird in Gang gesetzt, wenn Geschlechtsverkehr wiederholt Schmerzen bereitet: Es kommt beim nächsten Mal zu Sex ohne Lubrikation und mit ganz engem Beckenboden. „Dadurch entstehen noch mehr Schmerzen und die Negativspirale wird verstärkt“, erläutert Bragagna. „Betroffene Frauen bekommen manchmal schon Herzrasen oder Panikattacken, wenn der Mann das Zimmer betritt.“ Dem Partner bleibt das in der Regel nicht verborgen. Lustlosigkeit oder Angst, die Frau zu berühren, belasten die Sexualität zusätzlich.

Netzwerker gefragt

Spätestens an dieser Stelle wäre es wichtig, den Kreislauf zu unterbrechen und therapeutisch zu intervenieren. „Hier sollten wir Allgemeinmediziner ins Spiel kommen“, so die Sexualtherapeutin. Hausärzte sind nach Gynäkologen die wichtigsten Ansprechpartner für sexuelle Probleme. „Jeder neue Patient sollte erfahren, dass der Allgemeinmediziner auch für seine sexuelle Gesundheit zuständig ist.“ Die Sexualität kann direkt im Gespräch angesprochen werden oder indirekt durch das Auflegen von Broschüren oder Zeitschriften im Wartezimmer. Ein ideales Einstiegstool ist der Gesundheitsfragebogen der ÖGAM (s. unten), in dem auch das Sexualleben thematisiert wird. Ideal ist es, wenn die Patientin nicht ständig weitergereicht wird, sondern der zuerst angesprochene Arzt auch der fallführende bleibt und ein gutes interdisziplinäres Team aufbaut.

Der enge Zusammenhang zwischen Körper, Psyche, sozialer Umwelt und Sexualität muss sich auch in der Behandlung widerspiegeln: Mit der optimalen Therapie der Grundkrankheit in Zusammenarbeit mit Gynäkologen ist es nicht getan: Die Patientinnen müssen auch lernen, mit dem Schmerz umzugehen. „Die sexualtherapeutische Begutachtung und Therapie muss ebenfalls integraler Bestandteil der Behandlung sein“, betont Bragagna. „Und bei der Vulvodynie gilt: Kein Geschlechtsverkehr bis zur Schmerzfreiheit!“ Therapeutisches Ziel ist es, anstelle von angstbesetzten, Schmerz verstärkenden sexuellen Begegnungen zusammen mit dem Partner ein neues Sexualverhalten zu erarbeiten.

Links zum Thema

VIVE (Verein Interdisziplinäre Interessensgemeinschaft für Vulvaerkrankungen): http://www.vive.co.at
Sexualmedizinische Praxis Graz: http://www.sexmed.at
ÖAK-Zertifikat/Diplom Sexualmedizin: https://www.arztakademie.at/sexualmedizin-lehrgang
Gesundheitsfragebogen der ÖGAM: https://oegam.at/system/files/gesundheitsfragebogen_2013.pdf

48. Kongress für Allgemeinmedizin; Graz, November 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune