29. Nov. 2017

Hohe Zufriedenheit vs. höhere Effizienz

SOZIALVERSICHERUNG – Unter dem Titel „Das Jahr der Effizienzstudien. Was bewegt die Sozialversicherung?“ erläuterten Vertreter verschiedener Institutionen auf einer Podiumsdiskussion ihre Standpunkte. Sie selbst bewegten sich dabei freilich kaum. (Medical Tribune 46/17)

Tauschten Standpunkte aus (v.l.): Achitz, Aubauer, Biach, Neumann.
Tauschten Standpunkte aus (v.l.): Achitz, Aubauer, Biach, Neumann.

Hochrangige Vertreter von Gewerkschaft, Industriellenvereinigung, Hauptverband und BDO Austria erläuterten auf einer Diskussionsveranstaltung in Wien ihren Zugang zur Gesundheitsreform. Mehr oder minder undiskutiert konnte bleiben: die hohe Zufriedenheitsrate der Österreicher mit dem Gesundheitssystem. Wesentlich schwieriger blieb es, die verschiedenen Ansätze in Hinblick auf Effizienzsteigerung auf einen Nenner zu bringen. Im Zentrum der Diskussion stand die Effizienzstudie der London School of Economics. Deren Qualität wurde durchaus anerkannt, interessenbedingt wurde sie jedoch unterschiedlich interpretiert. „Ich glaube, dass die Studie eine sehr gute Betrachtung des österreichischen Sozialversicherungssystems ist, aus der man viel lernen und ableiten kann“, sagte Bernhard Achitz, leitender Sekretär des ÖGB und stellvertretender Vorsitzender des Verbandsvorstandes der Sozialversicherungsträger.

„Natürlich wurde dann bei der politischen Betrachtung nur in den Mittelpunkt gerückt: Was sagt die Studie zur Struktur? Sollen wir alle Sozialversicherungsträger zusammenlegen? Ich glaube, das ist nicht die zentrale Aussage der Studie, sondern da gibt es ganz andere.“ Als da wären: Leistungs- und in weiterer Folge Beitragsharmonisierung sowie Risikostrukturausgleich zwischen Trägern. Achitz machte deutlich, dass die Gewerkschaft die Sozialversicherung als „ihr Kind“ betrachtet: „Wir sehen die Sozialversicherung als wichtige Errungenschaft der Gewerkschaftsbewegung, die Selbstverwaltung als Ausdruck dessen und auch als Ausdruck einer funktionierenden Sozialpartnerschaft. Deswegen sind wir auch relativ empfindlich, wenn sich die Politik da einmischt und große Ansagen macht und vor allem Angriffe auf die Selbstverwaltung reitet.“ Natürlich versuche man immer, sowohl die Kranken- als auch Unfall- und Pensionsversicherung im Sinne der Versicherten weiterzuentwickeln. Dazu seien in den vergangenen Jahren mit dem ‚Masterplan Gesundheit‘ wesentliche Schritte gesetzt worden. Mit regionalen Strukturplänen und Zielsteuerungsvereinbarungen habe man die Koordination zwischen verschiedenen Playern im Gesundheitswesen verbessert. „Wir sind fest entschlossen, diesen Weg weiter zu gehen“, so Achitz.

Viele Träger, aber keine Wahl

Dr. Helwig Aubauer, Bereichsleiter Arbeit und Soziales der Industriellenvereinigung, nahm den politischen Ball auf: „Die Selbstverwaltung zu modernisieren ist aus Gewerkschaftssicht ein wichtiges Thema – dazu nur eine Seitenbemerkung zum ‚Angriff auf die Sozialpartnerschaft‘: Wenn ich mir ansehe, dass im Nationalrat per Gesetz hunderte Kollektivverträge overruled wurden, dann ist das eher ein Angriff auf die Sozialpartnerschaft.“ Aubauers Ansatz: Die Zahl der Sozialversicherungsträger zu reduzieren sei „in Wahrheit ein Thema der Krankenversicherungsträger. Wir haben 18 Krankenversicherungsträger und 15 Krankenfürsorgeanstalten, Letztere für zirka 200.000 Personen.“ Aubauer bringt gesundheitsökonomische Ansätze aufs Tapet, denen zufolge zwei Wege gangbar wären: viele Träger mit Wahlmöglichkeit und Wettbewerb, oder wenige Träger. „Wir haben in Österreich viele Träger, aber keine Wahlmöglichkeit – das ist wahrscheinlich nicht der allerbeste Weg.“ Man müsse darüber nachdenken, wie es gelingt, Menschen in den Gesundheitseinrichtungen so zu begleiten, dass sie an den optimalen Stellen behandelt werden.

Ein Negativbeispiel seien die „überrannten Spitalsambulanzen“. Aubauer: „Mangelnde Transparenz und Vergleichbarkeit zwischen den Trägern haben wir deshalb, weil wir ein vielschichtiges System von Ausgleichsund Finanzierungsmechanismen haben, deren Effizienz zu hinterfragen ist.“ Hauptverbandschef Dr. Alexander Biach setzt Effizienz in Relation zu Produktivität (Letztere definiere das Verhältnis von Output zu Input). „Output heißt Leistungen für die Menschen, Input sind unsere Beiträge, die wir alle zahlen“, so Biach: „Warum wollen wir effizienter sein? Weil wir den Menschen noch bessere Leistungen bieten wollen.“ Und was den Input betrifft: Die Beiträge sollten sich zumindest stabilisieren – man solle ja auch die arbeitsfähige Bevölkerung nicht überfordern. „Man kann aus einem Wald nicht mehr Bäume herausschlagen als drinnen stehen,“ sagt Biach. So solle auch der Input nicht unendlich steigen, sprich: die Beiträge in Zaum gehalten werden.

Viel zu kompliziert sei das duale Finanzierungssystem für die Finanzierung von Krankenkassen oder Spitälern, dazu der Hauptverbandschef: „Die Sozialversicherungen zahlen die niedergelassenen Ärzte, die Medikamente und Heilbehelfe und zusätzlich noch 40 Prozent der Spitalskosten. Die Länder zahlen 60 Prozent der Spitalskosten – aber ich kann als Sozialversicherung nicht mitreden, obwohl ich 40 Prozent zahle.“ „Zersplitterung“ in der Finanzierung macht auch Dr. Thomas Neumann von der BDO Austria GmbH als ein Kernproblem aus. Österreich und Griechenland seien die einzigen EU-Länder, die eine derartige Zersplitterung hätten: „Alle anderen europäischen Länder sind entweder dominant beitragsfinanziert oder dominant steuerfinanziert“, so der Experte.

Zufriedenheit und Kosten

Zur Zufriedenheit der Österreicher mit dem System bemerkt Neumann: „Es ist empirisch belegt: Österreich hat im europäischen Vergleich eine der höchsten Zufriedenheitsquoten. Weil die Menschen subjektiv an dieses Gesundheitssystem glauben.“ Und das ohne große Marketingkosten. Trotz dieser Bestwerte bei Umfragen gäbe es aber keinen gesicherten Qualitätsvergleich. Bei einigen objektiv vergleichbaren Indikatoren schneidet Österreich, wie Neumann betont, gar nicht überragend ab. Bei der Lebenserwartung etwa liege Österreich eher im europäischen Mittelfeld, die gesunden Lebensjahren seien sogar unterdurchschnittlich. Die Kosten pro Kopf hingegen „sind in Österreich sicher relativ hoch“. Schon 2005 gab es aus dem Sozialministerium einen Kostenvergleich zwischen privaten Anbietern und eigenen Einrichtungen der Sozialversicherungen im Reha.Bereich. Die gleichen Leistungen waren bei Einrichtungen der Sozialversicherungsträger doppelt so teuer wie in privaten Einrichtungen (zwischen 96 bis 106 Prozent darüber). „Ich würde meinen, dass das jetzt zwölf Jahre später auch noch so ist – hier wäre ein mögliches Effizienzpotenzial.“

Quelle: Das Jahr der Effizienzstudien. Was bewegt die Sozialversicherung? 19.10.2017, Veranstaltung der Karl Landsteiner Gesellschaft in der Reihe „ZUKUNFT GESUNDHEIT, mumok Wien.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune